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Zivilgesellschaft in Israel
Auf Kritik am Militär reagiert Israels Regierung dünnhäutig. Das gefährdet die demokratische Streitkultur des Landes, befürchtet Tillmann Elliesen.

Die einzige Demokratie im Nahen Osten – so sieht Israel sich gerne. Zu Recht, und das Schönste an dieser Demokratie ist ihre Streitlust. Die Israelis fetzen sich mit großer Hingabe über Gott, die Welt und vor allem über ihr schwieriges Land, seine Politik und seine Zukunft. Ein schlecht gelauntes „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wie bei uns gibt es nicht in Israel. Es darf gestritten werden, über alles.

Aber wie lange noch? Die derzeit in Jerusalem amtierende Regierung ist drauf und dran, diese Stärke der israelischen Demokratie zu zerstören. Seit Jahren diffamiert sie Kritiker und formuliert Gesetze und Vorschriften, die es Andersdenkenden in Politik, Gesellschaft und Kultur schwerer, wenn nicht unmöglich machen sollen, ihre Sicht der Dinge in die Diskussion einzubringen.

Zwei aktuelle Beispiele: Zurzeit läuft der wunderbare Film „Foxtrot“ des israelischen Regisseurs Samuel Maoz in hiesigen Kinos. In dem Streifen geht es um ein Ehepaar in Tel Aviv, das sich um seinen Sohn sorgt, der als junger Soldat an einem Checkpoint an einer einsamen Landstraße seinen Wehrdienst leistet. „Foxtrot“ ist Kino auf höchstem Niveau: großartige, mitunter surreale Bilder, ausgezeichnete Schauspieler und eine Geschichte, die unter die Haut geht. Der Film ist ein kunstvoller Kommentar zur gegenwärtigen Lage Israels und hat verdient den wichtigsten Filmpreis des Landes gewonnen.

Regierung übt Druck auf Filmfestival aus

Die Regierung sieht das anders und würde „Foxtrot“ wohl am liebsten verbieten, wenn sie könnte. Die Kulturministerin Miri Regev hat erklärt, der Film beschmutze das Bild der israelischen Armee und sei nicht würdig, Israel zu repräsentieren. Regev, die den Film gar nicht ganz gesehen hat, zeigte sich deshalb erleichtert, dass „Foxtrot“ dieses Jahr dann doch nicht in die Endausscheidung für den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film gekommen ist. Auf die Macher eines israelischen Filmfestivals im Frühjahr in Paris übte die israelische Regierung Druck aus, „Foxtrot“ nicht als Eröffnungsfilm zu zeigen – zum Glück ohne Erfolg.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Zweites Beispiel: Vergangene Woche billigte das israelische Parlament ein Gesetz, nach dem zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mehr in Schulen Vorträge oder Informationsveranstaltungen anbieten dürfen, wenn sie sich dafür einsetzen, dass Vergehen israelischer Soldaten strafrechtlich verfolgt werden. Israelische Kommentatoren sind sich einig, dass dieses Gesetz speziell auf die renommierte Menschenrechtsorganisation Breaking the Silence zielt. Die von ehemaligen Soldaten gegründete Organisation sammelt und veröffentlicht seit vierzehn Jahren Informationen und Dokumente über die israelische Besatzung im Westjordanland. Ziel des Gesetzes ist offenbar, jungen Israelis diese Informationsquelle zu verschließen.

Viele Israelis – nicht nur Anhänger der Regierung – reagieren empfindlich, wenn aus dem gemütlichen Deutschland heraus ihr Land und die israelische Politik kritisiert werden. Mit gutem Grund, denn oft ist diese Kritik weltfremd, unfair und manchmal auch antisemitisch. Aber so wie die Regierung in Jerusalem im eigenen Land gegen andere Meinungen vorgeht, muss man zu dem Schluss kommen: Sie scheint nicht mehr viel Wert darauf zu legen, das sich Israel derzeit noch die einzige Demokratie des Nahen Ostens nennen kann.

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