„Gari ist in Nigeria eine Art Fast Food“

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Maniok
In Westafrika liefert Maniok ein Grundnahrungsmittel – und hat für Kleinbauern viele Vorteile. Die Wurzel enthält nur Stärke und muss aufwändig verarbeitet werden, sonst ist sie giftig. Wa­rum Maniok dennoch ein Hauptnahrungsmittel in Nigeria ist, wie Frauengruppen es auf den Markt bringen und welche Züchtungen unnötig sind, erklärt der Experte Peter Ay.

Wie wichtig ist Maniok für die Ernährung in Nigeria?
Sehr wichtig. Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO produziert Nigeria um die 50 Millionen Tonnen Maniok pro Jahr, mehr als von jeder anderen Wurzelfrucht. Für die ärmere Bevölkerung, auch in der Stadt, ist es eine sehr wichtige Nahrungsquelle. Menschen aus dieser Gruppe essen es wahrscheinlich jeden Tag. Dabei ist Maniok nicht, wie viele denken, ein traditionell afrikanisches Produkt: Es stammt aus Südamerika, die Portugiesen haben es während des Sklavenhandels vor rund 400 Jahren nach Afrika gebracht. Es hat sich dann über ganz Afrika verbreitet. Dazu beigetragen haben auch nomadische und halbnomadische Hirten der Fulani, die den sesshaften Bauern, auf deren Land sie ihre Tiere weiden durften, Setzlinge mitbrachten. So sind auch einige Sorten aus Ghana nach Nigeria gekommen.

Ist es aufwendig, Maniok zuzubereiten?
Bei frisch geernteten Knollen ja. Maniok enthält Giftstoffe; wenn die Pflanzenzellen verletzt werden, setzen sie Blausäure frei – einige Sorten weniger, andere sehr viel. Man muss verarbeiten, um die Giftstoffe zu reduzieren und den Verzehr ungefährlich zu machen. Traditionell werden die Wurzelknollen in Behältern oder am Rand eines Baches zum Fermentieren in Wasser getaucht, nach wenigen Tagen werden die weich gewordenen Wurzeln mit der Hand zerkleinert, auf Zementplattformen oder Steinen ausgebreitet und in der Sonne getrocknet. Entweder wird der getrocknete Maniok nun im Mörser zerstampft oder mit einer Motormühle gemahlen. Alle Verarbeitungsschritte tragen zum Entweichen der Giftstoffe bei. Aber die heute beliebteste Verarbeitung ist zu Gari: Der Maniok wird mit Reiben oder besonderen Maschinen geraspelt, durch Pressen entwässert und über Feuerstellen in Pfannen geröstet.

Warum ist Gari so beliebt?
Gari kann man lange lagern und ähnlich wie Getreide vermarkten. Zum Essen mischt man es mit heißem Wasser, es entsteht so etwas wie fester Kartoffelbrei. Gari wird in verschiedenen Geschmacksrichtungen angeboten, die vor allem durch die Länge der Fermentation bestimmt werden. So sind in der Industriemetropole Lagos die sauren, lange fermentierten Varianten populär. Gari ist in Nigeria eine Art Fast Food und zählt zu den preiswertesten Grundnahrungsmitteln. Inzwischen findet man es deshalb auch auf städtischen Märkten im Norden Nigerias, wo eigentlich Hirsearten als Grundnahrungsmittel etabliert sind. Hirse ist weniger ertragreich als Maniok und deshalb teurer.

In welchen Regionen Nigerias wächst Maniok vor allem?   
Am meisten wird es im Gürtel in der Mitte des Landes angebaut. Maniok wächst am besten, wo es 600 bis 1200 Millimeter im Jahr regnet. Die Pflanze ist aber trockenheitsresistent und kann mit ihren Speicherwurzeln mehrere Monate ohne Regen überleben. In der Hauptanbauzone wächst Maniok auch auf schlechten Böden. In Agrarsystemen, in denen Flächen gerodet und dann eine Zeit lang bebaut werden, ist Maniok oft die letzte Frucht, bevor die Böden zur Erholung der Brache überlassen werden.

Wird Maniok zusammen mit anderen Kulturen angepflanzt?  
Bauern mit großen Flächen haben eine ganze Bandbreite von Produkten. Aber Kleinbauern, besonders wenn sie wenig Zugang zu Land haben, bauen vor allem Mais und Maniok an, allenfalls begleitet von ein paar Gemüsearten. Am gängigsten ist beides gleichzeitig auf demselben Feld: Nach dem Pflanzen von Maniok wird Mais gesät, der schnell über den Maniok hinauswächst. Die sich ausbreitenden Maniokblätter beschatten den Boden und bremsen das Wachstum von Unkraut, was den Bauern erheblichen Arbeitsaufwand erspart. Der Mais kann nach drei bis vier Monaten geerntet werden, Maniok bleibt bis zur Ernte ein bis anderthalb Jahre auf dem Feld.

Wie aufwendig ist der Anbau?  
Wenn man hohen Ertrag will, muss man den Boden bearbeiten, etwa mit Dämmen, wie wir sie vom Kartoffelanbau kennen. Aber Maniok kommt ohne Mineraldünger aus, der in Nigeria knapp ist. Industrieller Dünger steigert die Erträge von Mais deutlich, aber beim Maniok wird damit eher das Wachstum der Stämme und Blätter gefördert. Und gedüngte Wurzeln haben oft einen höheren Wassergehalt, was den Gari-Ertrag verringert. Zudem nutzen gerade Kleinbauern Maniok gern als Reserve für karge Zeiten: Sie bauen auf entlegenen Feldern, die sie kaum bearbeiten, die giftigsten Sorten an. Die heißen zum Beispiel „Affentöter“, weil sie Affen Bauchschmerzen verursachen. Die Speicherwurzeln kann man im Boden lassen, bis man sie braucht – bis zu fünf Jahre. Der hohe Giftgehalt und die Fasern in den langen Wurzeln verlangen dann eine sorgfältige und aufwendige Verarbeitung. Aber wenn man nichts anderes zu essen hat, ist das trotzdem wertvoll.

Trägt der Verkauf von Maniok zum Geldeinkommen bei?  
Ja. Wichtig dafür sind Verkehrsanbindungen zu lokalen Verarbeitungsstellen und zu städtischen Märkten. Im weiteren Umland von Städten können Bauernfamilien mit Maniok sogar viel Geld einnehmen. In mehreren Gebieten hat sich ein System herausgebildet, bei dem Gruppen von Frauen aus nahe gelegenen Anbaugebieten die Verarbeitung und Vermarktung übernehmen. Sie kaufen Maniok im Voraus, schon bevor die Felder bestellt werden. Bauern mit leichtem Zugang zu Land, das sind vor allem Männer, nutzen die Vorauszahlung wie einen Kredit, den sie für Rodungsarbeiten und den Anbau von Mais und Maniok verwenden. Den Mais ernten sie für den Eigenbedarf oder Verkauf, den Maniok verarbeiten die Frauengruppen gleich nach der Ernte, wofür sie meist Personal anstellen. Zu den Gruppen gehören oft spezialisierte Marktfrauen, die das frische Gari auf städtischen Märkten verkaufen. An einigen Fernstraßen wie der Autobahn zwischen Benin City und Lagos haben sich besondere Gari-Märkte etabliert, wo Herstellerinnen auch Sonderwünsche erfüllen.

Könnten Fabriken das nicht kostengünstiger?  
Es gab mehrere Versuche, Gari-Fabriken einzurichten, zeitweise auch mit staatlicher Förderung und Entwicklungshilfe. Im Rahmen der Grünen Innovationszentren fördert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit 2015 jetzt wieder die industrielle Maniokverarbeitung. Bisher haben aber alle Großanlagen ihre Produktion wieder eingestellt. Einer der Hauptgründe ist, dass die Maniokwurzeln bei der Ernte leicht beschädigt werden und anfangen, unkontrolliert zu gären. Die Verarbeitung muss innerhalb von höchstens drei Tagen anfangen, und bei den großen Mengen, die Fabriken benötigen, ist diese Frist fast immer zu kurz; hohe Verluste sind die Folge. Transporte und Zwischenlagerung fallen bei den Frauengruppen nicht an, weil die dezentral arbeiten. Fabriken müssen zudem hohe Qualitätsstandards einhalten, weil ihre Produktion vor dem Verbrauch länger lagert als beim dezentralen Direktverkauf.

Gab es Versuche, moderne Anbaumethoden einzuführen?
In der Agrarförderung der nigerianischen Regierung hatte Maniok lange eine untergeordnete Rolle. Aber generell wurden Anbaumethoden nach dem Beispiel der Industrieländer gefördert. So propagierte ein Projekt der Universität Ibadan den Maisanbau in Monokultur. Ich habe damals, ab 1974, für eine Promotion über lokale Anbausysteme drei Jahre in einem nigerianischen Dorf gewohnt. Die Bauern dort haben im ersten Jahr Mais allein angebaut, im zweiten Jahr wieder zuammen mit Maniok. Sie erklärten, das erspare einmal Unkraut bekämpfen. Ich habe dann einen indonesischen und einen nigerianischen Fachmann überzeugt, das näher zu untersuchen. Sie fanden, dass die Bauern recht hatten: Mais wurzelt tief und Maniok flach, beide machen sich wenig Konkurrenz. Sie zusammen anzubauen, spart Arbeit und bringt, wenn man den Geldwert betrachtet, mehr Einkommen. Außerdem bemessen die Bauern ihre Erträge pro Arbeitsaufwand, während Standardmessungen in der Forschung vor allem den Ertrag pro Flächeneinheit vergleichen.

Hat das IITA Maniok gezielt gezüchtet?
Ja, das tut die Maniokabteilung bis heute. Ein Hauptziel ist, die Erträge zu steigern. Ich bin 1981 am IITA eingestellt worden, um die Bauern zu überzeugen, dass IITA-Sorten ertragreicher waren. Bei den Versuchen am Institut schnitten die gezüchteten Sorten auch immer sehr gut ab, aber das lag auch daran, dass sich der Ernte­zeitpunkt am Geschäftsjahr des Instituts orientierte. Bauern ernten aber nach Bedarf und lassen den Maniok meist bis zu 18 Monaten und länger im Boden. Außerdem haben sie häufig den höheren Wassergehalt der Neuzüchtungen kritisiert. Ich habe herausgefunden, dass IITA-Sorten einen viel kleineren Anteil an der Gesamtproduktion von Maniok hatten, als das Institut behauptete. Inzwischen hat es aber Sorten entwickelt, die für bestimmte Zwecke besonders geeignet sind und sich deshalb durchgesetzt haben. Eine Sorte ist zum Beispiel besonders gut, um weißes Mehl zu gewinnen, was sich auch als Zumischung für Brotteig eignet und deshalb einen höheren Preis erzielt.

Hat man auch versucht, den Nährwert zu verbessern?
Ja, eine Zeit lang wollte man den Eiweiß- und den Vitamingehalt erhöhen. Jetzt wird das mit Gentechnik wieder versucht, das ist ein neuer Hype. Ich habe das schon immer als Irrweg und riskant angesehen. Zwar enthält verarbeitete Maniokwurzel im Grunde nur Stärke. Aber das zu ändern ist unnötig, weil man von der gesamten Mahlzeit her denken sollte. Zu einer Maniokmahlzeit gehören Soßen, die Fleisch, Trockenfisch oder Ei und vor allem Gemüse enthalten und damit Eiweiß und Vitamine liefern. Wichtiger waren Forschungen an der Resistenz gegen Krankheiten und der Kontrolle von Schädlingen. Mitte der 1980er Jahre wurde Maniok in ganz Afrika massenhaft von Schmierläusen befallen. Sie waren aus Südamerika eingeführt worden und hatten in Afrika keine natürlichen Feinde. Da hat das IITA zusammen mit dem Team des Schweizer Biologen Hans Herren eine biologische Bekämpfung entwickelt: Mit einer aus Brasilien stammenden Schlupfwespe und einer Marienkäferart, die gezielt Maniok-Schmierläuse befallen, hat man die Epidemie unter Kontrolle bekommen.

Müssen die Bauern das Saatgut der gezüchteten Sorten kaufen?
Nein. Maniok wird vermehrt, indem ein Stück vom Stamm, meistens rund 30 bis 40 Zentimeter lang, in den Boden gesteckt wird, wo es nach wenigen Tagen Wurzeln ansetzt. Auch die gezüchteten Sorten können die Bauern so selbst nachziehen und mit anderen tauschen. Inzwischen hat sich aber auch ein Handel mit Stecklingen für größere Flächen etabliert wie die, die von den Frauengruppen abgeerntet werden. Es gibt Bauern, die inzwischen mehr Geld mit Pflanzgut erzielen als mit der Produktion von Wurzeln.

Wird Maniok auch exportiert?
Aus Nigeria und anderen afrikanischen Ländern kaum. Afrikanische Länder haben einen hohen Maniokeigenbedarf. Auf dem Weltmarkt werden Maniokprodukte vor allem als Tierfutter und Industriestärke nachgefragt. International gehandelt werden Maniokmehl und Maniokstärke, die als Tapioka bei uns als Tierfutter bekannt ist und vor allem aus Thailand kommt.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2018: Mehr als Reis und Weizen
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