Verschiedene Kirchen, gemeinsame Werte

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Ökumene
Ökumene ist eine Art kirchliches Pendant zur Zusammenarbeit der Nationen. Auch ihre Strukturen sind in der Krise. Doch in vielen Initiativen an der Basis ist die Idee lebendig – etwa im Nahen Osten.

Spätestens seit der Jahrtausendwende ist die Ökumene in der Krise. Zumindest sehen das die Ökumeniker so. Das sind diejenigen in den Kirchen, die überzeugt sind, dass Christen mehr erreichen können, wenn sie sich über Konfessionsgrenzen hinweg zusammentun und nicht jede Kirche allein vor sich hinwurschtelt. Aus dieser Überzeugung und auf dem Hintergrund zweier verheerender Weltkriege sind im 20. Jahrhundert überall auf der Welt ökumenische Strukturen entstanden – auf internationaler, regionaler, nationaler und lokaler Ebene.

Die größte ökumenische Organisation mit den meisten Beteiligten ist der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK). Er wurde 1948 gegründet. Heute sind dort 348 Kirchen aus mehr als 120 Ländern Mitglied: solche aus verschiedenen evangelischen Traditionen wie Lutheraner und Methodisten, anglikanische Kirchen, orthodoxe wie die Russische Orthodoxe Kirche, altorientalische wie die Kopten in Ägypten und auch einige Pfingstkirchen. Die katholische Kirche gehört dem ÖRK nicht an.

Der ÖRK hatte einmal eine große Zeit, in der er zeigen konnte, dass Kirchen Weltpolitik beeinflussen können, wenn sie auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten. Der Kampf gegen das Apartheid-Regime in Südafrika ist das prominenteste Beispiel. Während Anfang der 1970er Jahre kirchliche Basisgruppen in Deutschland und anderen westlichen Ländern dazu aufriefen, keine Früchte aus Südafrika zu kaufen, sorgte der ÖRK mit seinem Antirassismusprogramm dafür, dass das Thema auf die Tagesordnung der Kirchenleitungen kam. So wurde an Küchentischen diskutiert, ob der Verzicht auf Orangen aus Südafrika Auswirkungen auf die Machtverhältnisse am anderen Ende der Welt haben könnte. Und Synoden, also Kirchenparlamente, berieten darüber, ob und mit wie viel Geld sie das ÖRK-Programm unterstützen wollten.

Mit dem Geld leistete der ÖRK nicht nur humanitäre Hilfe für Opfer von Rassismus, sondern unterstützte auch die Widerstandsbewegungen ANC in Südafrika und SWAPO in Namibia. Das war umstritten, denn beide Organisationen schreckten im Kampf gegen die Apartheid nicht vor Gewalt zurück. Doch der ÖRK und die Basisgruppen trieben die Diskussionen weiter und sorgten dafür, dass am Ende am Thema Apartheid niemand mehr vorbeikam. Das Ende des Regimes in Südafrika 1994 war schließlich der Beweis, dass die Ökumene in der Tat dazu beitragen kann, die Welt zu verbessern.

Wenig Wirkkraft

Das Beispiel gilt seither aber auch als Gradmesser für die Wirkkraft der Ökumene. Und da sieht sie heute im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren ziemlich blass aus. Das mag zum einen an der Komplexität ihrer Strukturen liegen; das führen Fürsprecher ökumenischer Zusammenarbeit gerne ins Feld, wenn nach langen Abstimmungsprozessen der kreißende Berg nur ein Mäuslein gebiert. Zum anderen aber fehlen der Ökumene offenbar die Themen, bei denen sie zeigen kann, was ihr Mehrwert ist.

Sicher vergeht kaum ein Tag ohne eine Verlautbarung aus dem ÖRK oder anderen ökumenischen Institutionen – sei’s zum Klimaschutz, zur Flüchtlingsfrage, zu Armut und Hunger oder zu Gesellschaftsthemen. Alles, was die Welt bewegt, bewegt auch die Ökumene. Doch zu allen diesen Fragen melden sich andere säkulare, staatliche oder internationale Organisationen gleichermaßen zu Wort. Was die ökumenische Stimme von ihnen unterscheidet, ist oft nicht wirklich zu erkennen.

Autorin

Katja Dorothea Buck

ist Religionswissen- schaftlerin und Journalistin in Tübingen.
Es fehlen jedoch nicht nur die Themen. Es mangelt häufig auch an einem breiten Engagement für die Ökumene – vor allem in den westlichen Kirchen. In der Aufbruchstimmung der 1970er und 1980er Jahre war es noch relativ einfach, Synoden davon zu überzeugen, Geld in die Hand zu nehmen, um eigene ökumenische Expertise und Strukturen zu schaffen. Heute ist Ökumene längst kein Selbstläufer mehr. Die damals entstandenen Ökumene-Zentren und Ökumene-Referate müssen immer wieder Budgetkürzungen hinnehmen. Denn wenn Kirchen sparen, tun sie das gern bei der Ökumene. Der haftet unter Synodalen häufig das Etikett an, das Steckenpferd von ein paar Wenigen zu sein, die gern in andere Länder fahren. Wichtiger seien die „eigenen“ Themen direkt vor der Haustür. Dass überzeugte Ökumeniker bei einer solchen Haltung die Krise bekommen, ist nachvollziehbar.   

Ökumene findet nicht nur in Europa statt

Da hilft manchmal der Blick über den eigenen Tellerrand. Ökumene findet nicht nur in Europa statt. In Afrika gibt es derzeit ein schönes Beispiel, wie eine ökumenische Institution ihre Möglichkeiten nutzt, um ein großes, für alle Menschen auf dem Kontinent wichtiges Thema anzustoßen: Die All Africa Conference of Churches (AACC), der 169 Kirchen mit rund 120 Millionen Christen angehören, hat sich zum Hauptpromoter der „Agenda 2063: The Africa we want“ erklärt. Diese Agenda hat 2013 die Afrikanische Union als ein strategisches Konzept entwickelt, mit dem der Kontinent in den kommenden 50 Jahren wirtschaftlich und sozial umgestaltet werden soll. Ziel ist ein vereinigtes, wohlhabendes und friedliches Afrika, das von den Völkern selbst bestimmt wird und eine dynamische Kraft auf der Weltbühne darstellt. Wenn das Vorhaben Erfolg haben soll, muss es von vielen getragen werden.

Seit einigen Jahren stellt die AACC ihre Möglichkeiten in den Dienst dieser Agenda. Sie nutzt ihre Kontakte sowohl in die Politik als auch in die Gesellschaft, um das Konzept auf allen Ebenen bekanntzumachen. Im November 2014 hatte die AACC zum Beispiel Politiker und Religionsführer aus ganz Afrika zu einer Konsultation nach Nairobi eingeladen, um die Umsetzung der Agenda 2063 für die erste Zehnjahresphase auf den Weg zu bringen. Das Abschlussdokument ist ein vorbehaltloses Bekenntnis zu den Zielen der Agenda und eine Selbstverpflichtung der Beteiligten, eine aktive Rolle bei der Umsetzung einzelner Vorhaben zu spielen.

Auch außerhalb Afrikas muss die Agenda bekannt werden. Hier spielt die AACC ihre Beziehungen zu internationalen kirchlichen Partnern aus. Unlängst hatte das Evangelische Missionswerk Deutschland Vertreterinnen und Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft nach Deutschland eingeladen. Sie stellten die Agenda 2063 auf verschiedenen Veranstaltungen vor und konnten mit den Menschen überlegen, ob auch die deutsche Zivilgesellschaft bei der Transformation Afrikas eine Rolle spielen kann.

Sich mit anderen Christen als Teil eines großen Ganzen sehen

Wer Ökumene allerdings nur unter dem Aspekt ihrer Institutionen versteht, wird ihr nicht gerecht. Anders als der Multilateralismus ist die Ökumene nicht nur eine Form der praktischen Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure. Im christlichen Verständnis ist sie zuallererst der Auftrag an alle, die das Evangelium ernst nehmen, sich als Glieder des Leibes Christi zu verstehen. Frei übersetzt heißt das, sich mit anderen Christen als Teil eines großen Ganzen zu sehen, obwohl sie anders ticken und ihren Glauben anders leben.

Das kann mitunter schwieriger sein, als auf Orangen aus Südafrika zu verzichten. Denn es heißt, dass man zum Beispiel akzeptieren muss, dass die eigene Theologie und die eigene Art, Gottesdienst zu feiern, nicht besser sind als die des anderen und dass man anderen zugesteht, aufgrund ihres Lebenskontextes zu anderen politischen Überzeugungen zu kommen. So verstanden ist die Ökumene ein Lernprozess, sich mit anderen auseinanderzusetzen und sich ihnen dabei trotz aller Unterschiede verbunden zu fühlen.

Damit haben Kirchen ein Gegenmittel für große Probleme des 21. Jahrhunderts in der Hand. Denn immer dann, wenn jemand lernt, dass er nichts verliert, wenn er sich auf einen anderen einlässt, dass er von anderen vielleicht etwas Neues lernen kann, wirkt er Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus entgegen. Hier könnten Kirchen ansetzen und neben den etablierten Austauschprogrammen und Konferenzen weitere Räume des ökumenischen Lernens schaffen. Damit die Ökumene ein Thema für die breite Masse der Gläubigen wird, braucht es Vorbilder. Kirchenführer könnten zum Beispiel vorangehen und nicht nur dem Kollegen von der anderen Konfession medienwirksam die Hand schütteln oder gemeinsame Statements veröffentlichen. Sie sollten auch ehrlich von der Herausforderung sprechen, die die Andersartigkeit des Gegenübers mit sich bringt, erzählen, was sie in der Auseinandersetzung mit anderen gelernt haben und warum sie überzeugt sind, darauf nicht verzichten zu können.

Fünf verschiedene Konfessionen teioen sich die Grabeskirche

Das fällt vielen Kirchenführern schwer. Der Nahe Osten mit seinen vielen verschiedenen Kirchentraditionen wird gerne herangezogen, um Schwierigkeiten in der ökumenischen Zusammenarbeit aufzuzeigen. Bestes Beispiel dafür ist die Grabeskirche in Jerusalem, die auf dem Felsen errichtet ist, auf dem Jesu Kreuz gestanden haben soll. Diese Kirche teilen sich fünf verschiedene Konfessionen, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder heftig über der Frage zerstritten haben, wer wann wo und wie lange seine Messe feiern darf. Nur ein minutengenauer Zeitplan verhindert weiteren Zank. Ökumenisch vorbildlich ist das nicht.

Das Gleiche gilt für die vielen verschiedenen Kirchen in Syrien während des Krieges. Man hätte meinen können, dass Not und Bedrängnis die Kirchenführer zusammenrücken ließen. Weit gefehlt. In den vergangenen acht Jahren haben sie es nicht geschafft, mit einer Stimme für die Christen in dem Land zu sprechen. Erklärbar ist dies allenfalls damit, dass die Angst der jeweiligen Oberhäupter um ihre eigene Kirche so existenziell ist, dass für den Blick über den Tellerrand keine Kraft bleibt.

Anders sieht es zum Glück an der Basis aus. In vielen Fällen haben sich unterschiedliche Gemeinden zusammengetan, um zum Beispiel Binnenflüchtlinge mit dem Nötigsten zu versorgen. Anders als unter den Kirchenfürsten hat der Krieg in Syrien auf Gemeindeebene an manchen Orten zu einem Umdenken geführt. In Latakia zum Beispiel haben sich die Jugendleiter der presbyterianischen, maronitischen und katholischen Kirche zusammengetan, um sich gegenseitig zu unterstützen. In einem Krieg, in dem aus Nachbarn plötzlich Feinde geworden waren, wollten sie trotz der unterschiedlichen Prägungen miteinander im Gespräch bleiben. Sie haben die sogenannte Hand-in-Hand-Gruppe gegründet, besuchen sich seither gegenseitig im Gottesdienst, nehmen an den Jugendtreffen der anderen teil und organisieren große gemeinsame Treffen für die Jugend. Auch ermutigen sie die jungen Leute, an Weihnachten oder Ostern im Kirchenchor der anderen Kirchen mitzusingen. Auf diese Weise bekommt Ökumene eine Leichtigkeit, die sie mancherorts längst verloren hat. Von einer Krise kann dann nicht mehr die Rede sein.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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