Mord durch unterlassene Hilfeleistung

Abschottung
Menschenrechtler haben EU-Politiker für ihre Flüchtlingspolitik angeklagt. Zu Recht, findet Melanie Kräuter.

Sie werfen ihnen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor: Zwei Anwälte haben vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage gegen führende EU-Politiker eingereicht. 245 Seiten lang ist die Strafanzeige, die die Menschenrechtsanwälte Omer Shatz und Juan Branco zusammengestellt haben. Darin heißt es, die EU sei durch ihre Politik verantwortlich für „den Tod Tausender Menschen durch Ertrinken“ sowie die Gefangennahme, Versklavung, Folter und Ermordung von Flüchtlingen. Damit meinen sie die 18.000 Menschen, die seit 2014 im Mittelmeer gestorben sind, und die menschenunwürdigen Zustände in den Gefangenenlagern in Libyen. Die von der EU ausgebildete und ausgerüstete libysche Küstenwache bringt Bootsflüchtlinge zurück ins Land. Für die Juristen handelt es sich hierbei um „illegale Zurückweisung“ nach internationalem Recht, da ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht.

Die Europäische Union weiß von all dem, unternimmt aber kaum etwas dagegen. „Mord durch unterlassene Hilfeleistung“ nennen das die Anwälte. Statt ein effektives Asylsystem und etwa „humanitäre Visa“ zu etablieren, setzt die EU auf Abschottung: Zur Migrationsabwehr hat sie Abkommen mit repressiven Regimen wie in Libyen und dem Sudan geschlossen. Doch die EU-Gelder fließen in die Taschen korrupter Politiker oder Milizen, die vom Menschenschmuggel profitieren. Das „Grenzmanagement“ ist zum Geschäftsmodell geworden.

Mit dem Auslaufen der Operation „Sophia“ im März hat die EU die staatliche Seenotrettung quasi eingestellt, zugleich wird die private strafrechtlich verfolgt. Die humanitäre und rechtliche Pflicht, Menschenleben zu retten, wird zum Verbrechen erklärt. Italien hat vor Kurzem sogar ein Gesetz auf dem Weg gebracht, mit dem Rettern Strafen von bis zu einer Million Euro drohen, wenn sie unerlaubt mit ihren Schiffen in italienische Hoheitsgewässer fahren.

Mitschuldig am Massensterben

Ob der Internationale Strafgerichtshof wirklich die Ermittlungen aufnimmt, wird sich zeigen. Skeptiker glauben nicht, dass er sich gegen große Beitragszahler wie Deutschland stellen wird. Doch die Anwälte haben Recht: Durch ihre Tatenlosigkeit machen sich europäische Politiker mitschuldig am Massensterben im Mittelmeer und an den Verbrechen in libyschen Gefangenenlagern. Die Strategie der EU, ihr Flüchtlingsproblem „outzusourcen“, ist gescheitert. Sie muss endlich selbst Verantwortung übernehmen.

Statt die europäischen Mittelmeeranrainer alleinzulassen, brauchen diese Länder finanzielle und logistische Unterstützung. Es muss klar sein, dass Flüchtlinge auf alle EU-Staaten verteilt werden. Zur Not auch erst einmal über eine „Koalition der Willigen“, solange sich die osteuropäischen Staaten querstellen. Langfristig muss die EU legale Wege der Migration schaffen, damit würde auch die Schlepperkriminalität eingedämmt. Die Lebensperspektiven in den Herkunftsländern zu verbessern, ist wohl ein frommer Wunsch, aber genau hier liegen die Ursachen für Flucht und Migration ­– und die müssen angegangen werden. Zuallererst aber muss die EU die Seenotrettung wieder stärken: Denn die Rettung von Menschenleben steht außer Frage.

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Dieser Artikel ist dem Magazin "Welt-Sichten" nicht würdig. Was Sie besser wie alle anderen wissen müßten ist, daß diese Männer, die die untauglichen Boote besteigen nicht die ärmsten sind und die EU erpressen. NGO-Schiffe fungieren als Schlepper oder als nützliche Idioten. Diese jungen Glücksritter stürzen unsere Großstädte immer mehr ins Chaos. Frau Kräuter wohnt möglicherweise auf dem Land und hat das noch nicht mitbekommen.

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Sehr geehrte Frau Meier,

danke für Ihren Kommentar. Ich glaube allerdings, dass Sie es sich zu einfach machen, wenn Sie das Problem so verallgemeinern. Der oft zitierte sogenannte Pull-Faktor, also dass die Menschen zur Flucht ermuntert werden, weil sie wissen, dass sie von NGOs gerettet werden, ist nicht belegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Flüchtlinge (auch Frauen und Kinder) für eine Fahrt in untauglichen Schlauchbooten ihr Leben riskieren, nur in der Hoffnung, dass ein NGO-Boot sie rettet. Es ertrinken immer noch Menschen, weil Hilfe nicht rechtzeitig kommt! Die menschenunwürdigen Zustände in den Gefangenenlagern von Libyen sind unter anderem von den Vereinten Nationen gut dokumentiert - daher weiß die EU davon und nimmt es aber so hin. Inwiefern die Flüchtlinge, wie Sie schreiben, unsere Großstädte ins Chaos stürzen, ist mir nicht klar. Und nein, ich lebe nicht auf dem Land. Für mich sind Menschenrechte nicht verhandelbar, daher gibt es keine Alternative dazu, diese Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Aber es stimmt, die EU müsste Wege finden, dass die Menschen gar nicht mehr gezwungen sind, überhaupt zu fliehen bzw. es muss ein System geschaffen werden, dass humanitäre Visa vorsieht und legale, geprüfte Migration ermöglicht. Doch da ist ganz viel Engagement gefragt und nicht Abschottung und Tatenlosigkeit.

Viele Grüße, Melanie Kräuter

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erschienen in Ausgabe 9 / 2019: Mission und Macht
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