Angst vor den Protestanten

ferhat bouda/vu/laif

Weihnachts­gottesdienst in einer Haus­kirche in der Kabylei im Nordosten Algeriens.

Algerien
Innerhalb eines Jahres haben die algerischen Behörden zwölf der insgesamt 46 evangelischen Kirchen im Land geschlossen. Begründung: Die Kirchengebäude seien nicht registriert. Insider sehen die Schließungswelle aber vor dem Hintergrund der allgemeinen Unruhen im Land.

Für die kleine evangelische Minderheit in Algerien ist es ein herber Schlag. Mehr als ein Viertel ihrer Kirchen wurde in den letzten Monaten geschlossen. Mitte Oktober traf es gleich drei auf einmal. Die Sicherheitskräfte zerrten die Menschen aus dem Gottesdienst auf die Straße und versiegelten die Türen der Gebäude, wie auf Videoclips im Internet zu sehen ist. Der Vorwurf lautete, die Protestanten würden sich nicht an algerisches Recht halten. Seit 2006 ist in Algerien ein Gesetz in Kraft, das allen nicht muslimischen Gemeinschaften vorschreibt, ihre Kultstätten offiziell genehmigen zu lassen. Auch kann das Verteilen von nicht muslimischen Glaubensschriften mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden, was in den letzten Jahren mehrfach geschehen ist. Das Gesetz war damals gegen die zunehmenden Konversionen vom Islam zum Christentum gerichtet gewesen.

Offenbar hat es bisher aber wenig Wirkung gezeigt. Denn die Konversionszahlen in Algerien steigen: Während es bis 1980 so gut wie keine Protestanten in dem Land gab, sind es heute nach offiziellen Angaben etwa 30.000, was bei einer Gesamtbevölkerung von fast 42 Millionen (davon 99 Prozent muslimisch) eigentlich verschwindend wenig ist. Doch seien die offiziellen Zahlen stark untertrieben, sagt M., ein Mitarbeiter der Église Protestante d’Algérie (EPA), des 1974 gegründeten und staatlich anerkannten Dachverbands aller evangelischen Gemeinden in dem nordafrikanischen Land. M., der anonym bleiben will, geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Protestanten ein Vielfaches ausmacht. „Man kann nur diejenigen zählen, die in ihrer muslimischen Nachbarschaft offen zugeben können, dass sie konvertiert sind.“ Das sei vor allem in der Kabylei unter den Berbern möglich, die sich schon immer gegen den arabisch-muslimischen Mainstream in Algerien aufgelehnt hätten und seit vielen Jahren für die Anerkennung der Berber-Kultur und ihrer Sprache kämpften. „In den anderen, den arabischsprachigen Landesteilen können viele Konvertierte ihren Glauben nur heimlich ausüben“, sagt M., der selbst 1987 konvertiert ist.

"Zum ersten Mal mit einem religiösen Pluralismus konfrontiert"

Die Kirchenschließungen machen eine Gesetzeslücke im algerischen Recht deutlich. Nach der Verabschiedung des Gesetzes 2006 wurde nie festgelegt, welchen Bedingungen die Registrierung einer Kirche unterliegt und wer dafür zuständig ist. Das Religionsministerium sieht sich nur für Fragen der islamischen Mehrheitsreligion als Ansprechpartner. „Viele Gemeinden haben schon vor Jahren versucht, ihre Kirchen genehmigen zu lassen, und Unterlagen bei unterschiedlichen Behörden eingereicht“, berichtet M. Keine habe je eine Eingangsbestätigung bekommen. Amnesty International und Human Rights Watch kritisieren, dass die kleine Minderheit der Protestanten in Algerien in einem rechtlich nicht geregelten Raum belassen werde und dadurch ihre Versammlungsfreiheit eingeschränkt sei.

Die nicht geregelte Registrierung betreffe nicht nur die evangelischen Kirchen, sondern auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen, sagt die Politikwissenschaftlerin Maria Josua vom Institut für Nahost-Studien des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. „Seit 2014 müssen sich alle zivilgesellschaftlichen Organisationen registrieren lassen, können dies aber nicht, weil es kein offizielles Formular und auch keine Adresse gibt, an die sie ihr Gesuch richten können“, sagt sie. Die Regierung verweigere die Genehmigungen, um jederzeit die Kontrolle über diese Gruppen zu haben und sie mit Verweis auf geltendes Recht verbieten zu können, wenn sie es für nötig halte.

Dass die Regierung ausgerechnet jetzt so hart gegen die Protestanten vorgeht, kann vor dem Hintergrund der allgemeinen Unruhen im Land gesehen werden. „Die Behörden versuchen, von den eigentlichen Problemen abzulenken und einen Keil in die Gesellschaft zu treiben“, vermutet M. Evangelische Christen stellten die algerische Identität in Frage. Die wenigen Katholiken im Land seien vor allem Ausländer, erklärt M. „Wir Evangelischen dagegen sind fast ausschließlich Einheimische, die vom Islam konvertiert sind. Durch uns ist die algerische Gesellschaft zum ersten Mal mit einem religiösen Pluralismus konfrontiert.“

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