Brauchen wir ein Lieferkettengesetz?

Ute Grabowsky/Photothek.net
Die Bundesminister Gerd Müller (links) und Hubertus Heil - hier in einer äthiopischen Textilfabrik - lassen ein Lieferkettengesetz erarbeiten.
Pro und Kontra
Für Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen führt kein Weg daran vorbei: Deutsche Unternehmen, die im Ausland tätig sind, müssen haftbar gemacht werden, wenn sie nichts gegen schwere Missstände in ihren Lieferketten tun. Denn freiwillig ändere sich nichts. Für Wirtschaftsverbände ist das der falsche Weg: Firmen könnten unmöglich alle Zulieferer kontrollieren. Und sie dürften nicht bestraft werden für etwas, das sie nicht beeinflussen können.

Pro: Selbst Unternehmen wollen ein Gesetz

Der Dammbruch bei einer Eisenerzmine im brasilianischen Brumadinho mit vielen Toten, das Massaker an Bergarbeitern im südafrikanischen Marikana, der Brand in einer Textilfabrik in Pakistan und der Export giftiger Pestizide nach Indien und Paraguay: Die Liste der Menschenrechtsverletzungen in Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen ist lang. In vielen Fällen waren sie vorhersehbar, in einigen wahrscheinlich vermeidbar: durch genaues Hinsehen, Risikoprüfung, Gegenmaßnahmen, Transparenz und Beschwerdestellen – sprich: durch angemessene menschenrechtliche Sorgfalt.

Nicht mehr und nicht weniger verlangen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von allen Unternehmen weltweit. Als diese im Jahr 2011 im UN-Menschenrechtsrat verabschiedet wurden, waren Unternehmen voll des Lobes für den „pragmatischen Ansatz“. Die Wirtschaft sei „entschlossen, ihre Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte wahrzunehmen“, versprachen damals die Internationale Handelskammer und die Internationale Organisation der Arbeitgeber, zu der auch die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) gehört.

Stand heute: Nach einer Analyse des Business and Human Rights Resource Center erfüllt kein einziges der 20 größten deutschen Unternehmen die Mindeststandards der UN-Leitprinzipien. Zu demselben Ergebnis kommen Germanwatch und Misereor in einer Untersuchung von 15 großen Unternehmen des deutschen Agrarsektors. Und selbst das von der Bundesregierung beauftragte Gutachten im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte bescheinigt nur einem Fünftel der Unternehmen eine ausreichende Sorgfalt.

Jetzt, da die Bundesminister Hubertus Heil (Arbeit) und Gerd Müller (Entwicklung) per Lieferkettengesetz regeln  wollen, was die BDA im Jahr 2011 versprochen hat, entrüstet sich deren Vorsitzender Ingo Kramer über diesen „großen Unfug“. Mit einem Gesetz für alle Unternehmen, sagte Kramer, „stehe ich ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis“. So maßlos diese Empörung ist, so haltlos sind Argumente.

Es geht um Entschädigung, nicht um Haftstrafen

Zwar umfasst die Sorgfaltspflicht prinzipiell alle Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette. Zivilrechtliche Haftung soll aber nur dann eintreten, wenn ein Unternehmen selbst zu einer Menschenrechtsverletzung beiträgt, die vorhersehbar und durch angemessene Sorgfalt vermeidbar gewesen wäre. Das ist eine hohe juristische Hürde. Die Rechtsfolge bestünde zudem im Ausgleich des erlittenen Schadens und nicht in einer Haftstrafe.

Menschenrechtliche und ökologische Sorgfalt ist anders als die BDA behauptet sehr wohl praktikabel. Sorgfaltsmaßnahmen müssen der Wahrscheinlichkeit und Schwere einer Menschenrechtsverletzung sowie der Größe und dem Einflussvermögen eines Unternehmens angemessen sein. Dass sich selbst DAX-Unternehmen bis heute nicht umfassend zu Menschenrechten bekennen oder keine einzige menschenrechtliche Folgenabschätzung durchgeführt haben, ist kein Nachweis überzogener Anforderungen. Es offenbart schlichtes Desinteresse im Management und das Scheitern einer bloß freiwilligen Corporate Social Responsibility.

Auch mit Nachteilen im globalen Wettbewerb ist nicht zu rechnen, denn bislang ist Deutschland nicht Vorreiter, sondern Nachzügler. Frankreich hat bereits ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfalt in Lieferketten beschlossen, Großbritannien immerhin gegen moderne Sklaverei und die Niederlande gegen Kinderarbeit. Auch auf Ebene der EU und der Vereinten Nationen wird über die Einführung verbindlicher menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten diskutiert. Dieselben Unternehmensverbände, die ein internationales level playing field – also gleiche Bedingungen für alle – fordern, leisten erbitterten Widerstand gegen jedes internationale Regelwerk, das dazu beitragen könnte.

Die BDA gibt vor, mit ihrer Ablehnung eines Lieferkettengesetzes die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Dabei steigt wöchentlich die Anzahl der Unternehmen, die ebendieses Gesetz öffentlich fordern, darunter Tchibo, Rewe, ­Hapag-Lloyd und Nestlé. Sie wollen Rechtssicherheit. Und sie wollen, dass Mehrkosten für Umwelt und Menschenrechte ihnen nicht länger zum Wettbewerbsnachteil gereichen. Die Unternehmensverbände sollten aufhören, nur Blockierer zu vertreten. Und der Bundeswirtschaftsminister sollte den Unternehmen zuhören, nicht nur deren Verbänden.

Kontra: Nicht realisierbare ­Forderungen

Die 2011 im UN-Menschenrechtsrat einstimmig beschlossenen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte genießen gerade in Deutschland eine hohe Akzeptanz. Die Menschenrechte sind dabei nicht nur ein humanes Anliegen von größter Bedeutung. Wegen ihrer globalen Geltung korrespondieren sie eng mit der weltweiten Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, ohne die verlässliches wirtschaftliches Handeln nicht möglich ist. Deshalb achtet und befolgt die deutsche Wirtschaft die Menschenrechte in ihrem Zuständigkeitsbereich, hat aber auch großes Interesse daran, dass Zulieferer sie achten und staatliche Institutionen sie kontrollieren und durchsetzen.

Die deutsche Wirtschaft engagiert sich seit Jahren sehr aktiv bei der Wahrnehmung ihrer Corporate Social Responsibility (soziale Unternehmensverantwortung) und für Nachhaltigkeit. Nicht wenige Unternehmen haben eigens vollständige Abteilungen und/oder Stabsstellen eingerichtet, die sich ganz diesen Themen widmen. Daraus haben sich viele Sektorinitiativen wie das Textilbündnis, Together for Sustainability, Chemie³ oder Bettercoal entwickelt, um eine übergreifende Zusammenarbeit zu ermöglichen und Hebelwirkungen über eigene Produktionsstätten hinaus zu nutzen. Nicht zufällig genießen deutsche Unternehmen im Ausland vor allem auch bei Arbeitnehmern einen sehr guten Ruf und sind als Arbeitgeber beliebt und gefragt. Sie wenden – anders als etliche Wettbewerber – im Ausland regelmäßig deutlich bessere als lokal übliche Arbeits- und Umweltstandards an. und tragen wesentlich zur nachhaltigen Entwicklung an Auslandsstandorten bei.

Nun gibt es Überlegungen, wonach Unternehmen für die gesamte Produktionskette – vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel – auch bei unabhängigen dritten Unternehmen im Ausland und sogar gegenüber anderen staatlichen Stellen die Menschenrechtsdurchsetzung garantieren und für Fehlverhalten Dritter im Ausland haften sollen. Das wäre völlig absurd und nicht realisierbar. Dieser Ansatz verkennt völlig, dass etliche Großkonzerne bereits in der ersten Zulieferstufe über 100.000 direkte Zulieferer haben und die weiteren, davor liegenden Zulieferstufen Millionen Unternehmen umfassen. So umfassend kann kein Unternehmen kontrollieren und garantieren. Es kann nicht an die Stelle der für Rechtsdurchsetzung verantwortlichen Staatsinstitutionen treten.

Die Folgen wären besonders für die Armen fatal

Wer dies in unverantwortlicher Weise Unternehmen aufzubürden versucht, zwingt diese, sich aus vielen Staaten mit herausfordernder Menschenrechtslage aus reinem Selbstschutz zurückzuziehen. Die Folgen wären besonders für die Armen fatal: Der globale Handel würde dramatisch beschädigt und viele Beschäftigte in Entwicklungs- und Schwellenländern würden ihre Arbeit verlieren. Selbständigen, kleinen und mittelgroßen Unternehmen aus solchen Risikoländern würde der Zugang zu globalen Lieferketten versperrt. Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft e.V., der insgesamt 85 Prozent des deutschen Afrikageschäfts abdeckt, hatte sich deshalb für ein „Klares Nein zum Wertschöpfungsgesetz“ ausgesprochen. Was noch mehr irritiert: Ein solches Gesetz würde die umfassenden – und richtigen – Bemühungen der Bundesregierung konterkarieren, Unternehmen für ein Engagement und Investitionen vor Ort in Afrika zu gewinnen.

Genau aus diesen Gründen sehen die UN- und OECD-Standards explizit (!) keine Haftung nur auf Grund von Geschäftsbeziehungen vor. Sie bestimmen eindeutig: „Die Verantwortung soll aber nicht von dem Verursacher eines negativen Effekts auf das Unternehmen verlagert werden, mit dem der Verursacher eine Geschäftsbeziehung unterhält“, heißt es in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen. Mit lautem Geschrei wird aber genau dies immer wieder propagiert – und oft unter Berufung auf die Standards, die exakt das ausschließen. Im Kontrast zu solch absurden und kontraproduktiven Forderungen steht der konstruktive Ansatz des „stay and improve“ (bleiben und verbessern) statt der Folge des „cut and run“ (beenden und abziehen) bei unrealisierbaren Vorschriften. Er ist gerade bei einem Engagement in Staaten mit herausfordernder Menschenrechtslage anzuraten.

Unternehmen sollen Standards im Ausland verbessern – dafür auch im Rahmen des Möglichen Druck auf Geschäftspartner ausüben. Sie können und sollen aber niemals für etwas haften, auf das sie keinen unmittelbaren Einfluss haben. Forderungen nach „Haftungen“ für globale Lieferketten – vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel – sind deshalb ungerechtfertigt. Sie lassen die Welt nicht zusammenwachsen, sondern wieder zerfallen. Die ersten Opfer wären die Armen auf der Welt.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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