Einblick in Smartphones von Geflüchteten

picture alliance/dpa/TASS/Sergei Bobylev
Diese Frau in einem Aufnahmezentrum bei Genf hat Asyl beantragt. Sollen die Behörden deshalb ihr Handy auslesen dürfen?
Bürgerrechte
Künftig sollen Schweizer Behörden zur Abklärung der Identität von Asylsuchenden deren elektronische Datenträger durchsuchen dürfen. Die große Parlamentskammer hat im Mai der umstrittenen Gesetzesänderung zugestimmt. Damit wird die digitale Privatsphäre von Geflüchteten missachtet

Begründet wird die Maßnahme mit Problemen bei der Identitätsfindung: Bei bis zu 80 Prozent der Asylbewerberinnen und Asylbewerber kann die Identität nicht festgestellt werden, weil sie keine Ausweispapiere haben. Auf Smartphone oder Tablets versprechen die Behörden sich Hinweise auf das Herkunftsland.

Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR sowie zahlreiche NGOs, etwa die Schweizerische Flüchtlingshilfe, bezeichnen die Entscheidung als schweren Eingriff in die Privatsphäre. Dem schließt sich auch der eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) der Schweiz an. Er hatte in einer Stellungnahme an die Staatspolitische Kommission des Nationalrats, der großen Kammer, bereits vor einem Jahr „Bedenken grundsätzlicher Natur“ geäußert. Mit der Praxis werde zweierlei Recht geschaffen: Während für das Einziehen der Handys von Asylsuchenden kein Rechtsentscheid nötig sein wird, dürfen die elektronischen Geräte von Straftätern nur bei schweren Gesetzesverstößen und begründetem Tatverdacht geprüft werden.

Eingriff in die digitale Privatsphäre von Asylsuchenden

Der Nationalrat begründet diesen Eingriff mit der geltenden Mitwirkungspflicht der Asylbewerber, nach der diese ihre Identität offenlegen müssen. Diese soll nun in einer Gesetzesrevision um einen Passus ergänzt werden, der die Auswertung elektronischer Datenträger erlaubt. Die Regierung, der Bundesrat, hatte sich in einer Stellungnahme bereits für die Änderung ausgesprochen, der Entscheid der kleinen Kammer steht noch aus.

Der Verein Digitale Gesellschaft Schweiz, der die Grundrechte in der digital vernetzen Welt verteidigt, kritisiert die geplante Gesetzesänderung. Vereinssprecher Martin Steiger bezweifelt, dass die Auswertung von elektronischen Datenträgern zielführend ist, wie er auf Anfrage sagt. Es sei für Asylsuchende einfach, den Zugriff zu verhindern: etwa durch ein defektes oder gesäubertes Gerät oder in dem sie vorgeben, das Passwort nicht mehr zu kennen. Betroffen wären laut Steiger folglich ausgerechnet jene Asylsuchenden, die sich nicht mit solchen Mitteln gegen den Eingriff in ihre digitale Privatsphäre wehren können oder wollen. „Man muss sich in Erinnerung rufen, dass Asylsuchende keine Beschuldigten in einem Strafverfahren sind, auch wenn sie häufig so behandelt werden“, so Steiger.

Zwar betonen die Befürworterinnen und Befürworter der Gesetzesänderung, die Datenauswertung werde nur mit Einverständnis der Asylsuchenden erfolgen und es werde kein Zwang angewendet werden. Allerdings ist im Gesetzestext festgehalten: „Verweigert die asylsuchende Person die Einsicht in ihr Mobiltelefon oder ihren Laptop, wird dies im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung beim Entscheid über das Asylgesuch berücksichtigt.“ Eine solche Verweigerung könne „letztlich dazu führen, dass das Asylgesuch abgelehnt oder abgeschrieben wird“. 

Erfahrungen aus Deutschland zeigen: Der Nutzen ist gering

Peter Meier, Leiter Außenpolitik der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), schreibt dazu in einer Stellungnahme: „Freiwilligkeit? Von wegen. Unerwähnt bleibt bei diesem Argument auch, dass Asylsuchende bereits heute von sich aus Handy- und Computerdaten als Beweismittel geltend machen können.“

Die Schweiz stünde mit der Gesetzesänderung nicht alleine, andere europäische Staaten haben ähnliche Regelungen. So analysiert beispielsweise seit 2017 das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Herkunfts- und Identitätsbestimmung Daten von elektronischen Geräten. Der Nutzen ist nach Recherchen der Gesellschaft für Freiheitsrechte Deutschland gering. So sei das Auslesen der Datenträger bisher in einem Viertel der Fälle bereits technisch gescheitert, und nur bei 1,8 Prozent der erfolgreichen Auswertungen hätten sich Widersprüche zu den Angaben der Asylsuchenden ergeben. In allen übrigen Fällen habe der Test das bestätigt, was Asylsuchende vorgetragen hatten. 

Das Schweizer Staatssekretariat für Migration hatte vor dem Beschluss des Nationalrats lediglich eine kurze Pilotstudie durchgeführt. Ergebnis: In 15 Prozent der Fälle wurden nützliche Hinweise zur Identität oder zum Reiseweg der betroffenen Personen auf den Handys gefunden. Für Peter Meier von der SFH rechtfertigt diese mögliche Erfolgsquote nicht den Eingriff in die Privatsphäre. Er bemängelt auch, dass die Gesetzesänderung erst nach drei Jahren evaluiert werden soll.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2021: Entwicklung wohin?
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