Hawala lässt das Geld auch in der Krise fließen

Ty Wright/Bloomberg via Getty Images
Ghanas Zehn-Cedi-Schein ist etwa 1,40 Euro wert – offizielle Geldtransfers ins Ausland sind viel teurer.
Geldüberweisungen
Im Schatten von Corona und Wirtschaftssanktionen erlebt die seit Jahrhunderten verbreitete informelle Überweisungsmethode in Westafrika einen Boom.

Nach Angaben der Weltbank fließen Jahr für Jahr 40 Milliarden US-Dollar von Privatpersonen im Ausland nach Subsahara-Afrika. Der westafrikanische Staat Mali steht, was die Höhe solcher sogenannten Rücküberweisungen betrifft, an neunter Stelle. Im Jahr 2018 erhielt das Land Auslandstransfers in Höhe von über einer Milliarde Dollar. Das entspricht sechs Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, wobei die Corona-Pandemie zu einem deutlichen Rückgang dieser Transfers geführt hat. Zudem sind andere, manchmal illegale Kanäle der Geldversendung in dieser Zahl nicht berücksichtigt. Wären sie es, könnte die Gesamtsumme Schätzungen zufolge die offiziellen Zahlen um das Doppelte bis Dreifache übertreffen.

Nach dem Militärputsch in Mali im August 2020 verhängte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) strenge Wirtschaftssanktionen gegen das Binnenland. Über Monate konnte offiziell kein Geld in das oder aus dem Land transferiert werden. Doch die Betroffenen wussten sich bald zu helfen und stiegen tausendfach auf Hawala um, ein Verfahren zur Geldüberweisung, das auf persönlichem Vertrauen beruht und dessen Ursprung im Indien des 8. Jahrhunderts liegt. So kam der Geldfluss nicht zum Erliegen.

„Uns konnte man nicht stoppen, da es uns offiziell gar nicht gibt, Sanktionen treffen uns nicht“, erklärt Konate Ibrahima, ein Hawala-Broker, Hawaladar genannt, mit Sitz in Malis Hauptstadt Bamako. „Vor den Sanktionen wurden wir von vielen misstrauisch beäugt, sie bevorzugten offizielle Kanäle. Als die dann aber wegbrachen, waren wir die einzige Möglichkeit.“

Kein Computersystem, keine Ausweise

Auf dem offiziellen Markt für Geldüberweisungen in Afrika südlich der Sahara sind vor allem Western Union und MoneyGram präsent, die zusammen etwa 20 Prozent des Volumens abdecken. Aber es gab schon immer auch informelle Möglichkeiten. Hawala bedeutet auf Arabisch so viel wie „Vertrauen“; seit alters her setzen Händler in Asien und am Golf darauf. Es macht den Transfer von Geld möglich, ohne Scheine oder Münzen bewegen zu müssen. Ein Kunde, der eine bestimmte Summe in eine andere Stadt oder ein anderes Land überweisen möchte, kontaktiert einen Hawaladar, übergibt ihm den fraglichen Betrag in bar gegen eine Gebühr und nennt Name und Kontaktdaten des Empfängers. Der Makler kontaktiert seinen Ansprechpartner in der Nähe des Empfängers und übermittelt ihm die Formalitäten der Auszahlung. Das ist alles. Man benötigt weder ein Computersystem noch Kontrollcodes oder Ausweise wie bei herkömmlichen Überweisungen.

Boubacar Seck, ein aus dem Senegal stammender Unternehmer mit Sitz im marokkanischen Agadir, sieht Ähnlichkeiten zur sogenannten Interbankenabrechnung, die Geldinstitute untereinander praktizieren. „Wir führen Buch über die eingehenden und ausgehenden Zahlungen und berechnen, ob es ein Plus oder ein Minus gibt“, sagt er. „Ein Minus bedeutet, dass das Netzwerk einem Hawaladar etwas schuldet. Diese Person wird dann aus einer eingehenden Transaktion bezahlt. Wenn jemand Waren im Ausland kaufen möchte, gibt er uns das Geld, unser Partner dort wickelt die Transaktion ab und schickt das Gewünschte. Manchmal kommt der Auftrag auch von einer Familie, die das Schulgeld ihres Sohnes nach Marokko oder Tunesien schicken möchte. Sie übergibt uns das Geld, und es wird dem Jungen sofort ausbezahlt. Für Außenstehende mag das kompliziert klingen, aber für uns ist das Alltag.“

Autor

Kingsley Kobo

ist Journalist von der Côte d’Ivoire. Er berichtet über Politik, Technik, Umwelt, Wirtschaft, Sport, Kultur und Lifestyle im frankophonen Westafrika. Dieser Beitrag ist zuerst bei „Quartz Africa“ erschienen.
Das System hat unterschiedliche Namen in verschiedenen Ländern. In Afrika scheint jedes Land seine eigene Bezeichnung dafür entwickelt zu haben. In Niger heißt es Nita, in Mali, im Senegal und auf den Komoren Fax und in Somalia Xawala. Aber wo auch immer es praktiziert wird, das System beruht ausschließlich auf Vertrauen und Beziehungen, was wenig Raum für Betrug lässt: Wer sich mit dem Geld eines anderen davonmacht, wird geächtet und hat kaum noch eine Chance, Kunden zu bekommen.

Als im August 2020 Sanktionen gegen Mali verhängt wurden, war Hawala der „einzige Ausweg“, sagt Konate Ibrahima, Hawaladar in Bamako. „Unser Netzwerk wickelte Hunderttausende Mali betreffende Transaktionen innerhalb Afrikas, mit Europa und selbst Nordamerika ab. Sogar Regierungsbeamte haben unser System genutzt.“

Der Wechselkurs beeinflusst die Transaktionen nicht

Neben der Möglichkeit, Sanktionen zu umgehen, bietet das Hawala-System seiner wachsenden Zahl von Stammkunden laut Ibrahima noch weitere Vorteile. „Wir berechnen zwischen drei und fünf Prozent pro Überweisung, im Gegensatz zu offiziellen Agenturen, die zwischen zehn und zwölf Prozent und für Überweisungen zwischen afrikanischen Staaten fast 20 Prozent verlangen“, erklärt Mamadou Diawara, ein Hawaladar aus Guinea. „Zudem können wir jeden Betrag überweisen. Es gibt kein Tageslimit von 3000 oder 5000 Dollar, wie es andere Anbieter vorschreiben. Unsere Transaktionen werden auch nicht durch den Wechselkurs beeinflusst.“

Die Hawaladare heben auch hervor, dass ihr System sicherer sei, als Bargeld mit sich herumzutragen. „Geschäftsleute bevorzugen inzwischen diese informelle Methode, um Geld über die Grenze zu bewegen, denn es ist sehr riskant, mit großen Geldbeträgen zu reisen. Häufig übersteigen die Summen auch die Limits der Beträge, die sich über formelle Gelddienste abwickeln lassen. Und normale Banküberweisungen sind einfach zu langsam, ganz zu schweigen von den hohen Gebühren“, sagt Housseni Houeibib, ein Finanzanalyst an der Universität von Nouakchott Al Aasriya in Mauretanien. „Die meisten internationalen Transportunternehmen bieten heute Hawala-ähnliche Finanzdienstleistungen für Reisende an, um ihnen das Mitführen von Bargeld zu ersparen.“

Zufriedene Kunden

Das System ist auch in Ländern beliebt, die eigentlich keine Auslandsüberweisungen zulassen, beispielsweise Äquatorialguinea, Gabun, Nigeria und Ghana. Dort kann man zwar Auslandszahlungen empfangen, aber über offizielle Kanäle kein Geld über die Grenze versenden. Entsprechend greifen Kunden aus diesen Ländern gerne auf Hawala zurück, das in West- und Zentralafrika über ein stabiles und aktives Netzwerk verfügt, so Sébastien Ngwem, Hawaladar aus Libreville, der Hauptstadt von Gabun. „Unser Netzwerk verbindet Zentralafrika mit Westafrika und hat sich insbesondere seit der Corona-Pandemie explosionsartig entwickelt. Denn jetzt verschicken die Menschen häufiger Geld, als es auf Reisen mit sich zu führen“, sagt Ngwem. „Wir bearbeiten Aufträge aus Gabun, Äquatorialguinea, Kamerun, den beiden Kongos und Guinea-Bissau nach Nigeria, Benin, Togo, der Côte d’Ivoire, Ghana, Mali, Burkina Faso, Guinea und Senegal. Das funktioniert reibungslos, unsere Kunden sind sehr zufrieden.“

Da es keine offizielle Buchführung gibt, ist es schwierig, den Umfang der über Hawala innerhalb Afrikas abgewickelten Geldtransfers zu beziffern. Die Zentralbank der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA), der acht Länder angehören, gibt an, dass auf diese Weise jährlich über 450 Millionen Dollar den Besitzer wechseln. Housseni Houeibib hält diese Zahl angesichts der wenigen Alternativen eher für zu gering.

Ein Vertreter von Leonard Transport, einem Speditionsunternehmen in der Côte d’Ivoire, das die Strecke von Abidjan über Accra in Ghana bis Lomé in Togo bedient, erklärt, im vergangenen Jahr Hawala-Transaktionen von etwas mehr als 2,7 Milliarden CFA-Francs (4,8 Millionen US-Dollar) abgewickelt zu haben. Ob die Behörden über all diese Aktivitäten im Bilde sind? Werden die Betreiber kontrolliert? Der 46-Jährige glaubt, dass die Beamten Bescheid wissen, aber noch nie jemanden belangt hätten.

„Wer nicht zum Netzwerk gehört, kann nur schwer feststellen, was wir tun“, sagt Sébastien Ngwem, der Makler in Libreville, Gabun. „Es gibt keinen Grund, jemanden zu verhaften, nur weil er mir Geld übergibt oder ich ihm. Und es besteht keine Möglichkeit, uns Steuern aufzuerlegen, weil wir nirgendwo registriert sind. Im Übrigen nehmen sogar manche Regierungsbeamte unsere Dienste in Anspruch.“

Risikofrei ist Hawala allerdings nicht

Die Behörden argumentieren, Hawala lade zu Manipulationen ein und werde von Betrügern genutzt. „Wenn wir einen hohen Geldbetrag erhalten, blockieren offizielle Überweisungsunternehmen entweder die Transaktion und schicken das Geld zurück oder verlangen Erklärungen, die wir nicht liefern können“, sagt ein 26-Jähriger, der Hawala tatsächlich für unsaubere Aktionen nutzt und sich bereit erklärt hat, darüber zu reden, wenn er anonym bleibt.

Die anderswo hohen Gebühren, Wirtschaftssanktionen und routinemäßigen Beschränkungen seitens der Geldtransferunternehmen machen Hawala für immer mehr Kunden attraktiv. Der an der Côte d’Ivoire ansässige Betrüger sagt, seine letzte Transaktion – 30.000 Dollar aus Europa – sei sicher über Hawala abgewickelt worden. Jean Marie Djoum aus Kamerun hingegen wandte sich an Hawala, nachdem Gelder, die für die Krankenhausbehandlung ihrer Mutter bestimmt waren, von der Transferagentur blockiert wurden. Einige Vermittlungsunternehmen schränken regelmäßig Überweisungen in bestimmte Länder ein, wenn dort Betrugsfälle bekannt werden.

Risiken gibt es durchaus: Es ist nicht einfach, überhaupt Kontakt zu Hawaladaren aufzunehmen, weil sie keine Büros unterhalten; und der Gedanke, einem Fremden einen höheren Geldbetrag auf Vertrauensbasis zu überlassen, schreckt viele ab. Dabei, so Patrick Amegbor, ein pensionierter Risikoanalyst der togoischen Bank für Handel und Industrie, „ist es gerade das Wesen von Hawala, nicht offiziell zu sein. Wenn man ein Büro anmietet, muss man Steuern zahlen und wie die offiziellen Agenturen die Richtlinien der Regulierungsbehörde befolgen. Wer einen Dienst wie unseren nutzt, bringt ein gewisses Maß an Vertrauen mit, das traditionell die Basis dieses Systems ist.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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