Warum preiswert nicht bil lig ist

Herausgeberkolumne
Die „True Cost Initiative“, an der auch Misereor mitwirkt, soll die „wahren Kosten“ der Herstellung von Nahrungsmitteln messbar und vergleichbar machen. Dann würde sichtbar, dass die konventionelle Produktion vielfach teurer ist als soziales und ökologisches Wirtschaften.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von Misereor.
„Gut und günstig“ sollen Lebensmittel sein, die wir einkaufen. Eine große Supermarktkette hat gar eine Marke so benannt, unter der ganz unterschiedliche Produkte angeboten werden – vom Aufbackbrötchen bis zum Schokopudding. Doch was heißt das eigentlich, „günstig“? Dass der Reis, der Honig oder der Erdnussriegel unseren Geldbeutel möglichst wenig belasten, wenn wir an der Supermarktkasse stehen? Dass die Lebensmittel also besonders billig sind? Oder dass sie im wahrsten Sinne preiswert, also ihren Preis wert sind?

Wortspielerei? Nein. Der Unterschied ist groß. Wir würden eine ganz andere Rechnung aufmachen, wenn wir konsequent „preis-werte“ Lebensmittel produzieren und kaufen würden. Es wären Lebensmittel, bei deren Produktion sorgsam mit Mensch und Natur umgegangen wird. Bei der Luft, Böden und Wasser geschont und den Arbeiterinnen und Arbeitern ein angemessener Lohn gezahlt wird.

Billig produzierte Lebensmittel dagegen haben auf dem Etikett zwar niedrige Preise, kommen uns und unsere Enkel aber unterm Strich teuer zu stehen. Heute werden bei herkömmlicher Produktion die sozialen und ökologischen Kosten eines Produkts nicht oder zu wenig berücksichtigt. Da Preise den Konsum beeinflussen und Menschen in der Regel eher zur preisgünstigeren Variante greifen, hat unser gegenwärtiges Bilanzierungssystem schädliche soziale und ökologische Folgen. Damit schaden wir dem Leben von Menschen, Pflanzen, Tieren und Ökosystemen. So, wie wir derzeit Preise berechnen, erzielen Unternehmen zwar wirtschaftliches Wachstum, aber wir zerstören dabei unsere Lebensgrundlagen.

Zum Wohle aller verwalten

„Die Umwelt ist ein kollektives Gut“, schreibt Papst Franziskus in der Enzyklika „Laudato si‘ von 2015. Ein Erbe der gesamten Menschheit und eine Verantwortung für alle. Wenn sich jemand etwas aneigne, dann nur, um es zum Wohle aller zu verwalten. Doch viel zu oft sieht es anders aus. Momentan müssen Landwirtschaft und Konsumentinnen und Konsumenten nicht dafür aufkommen, dass sie globale Gemeingüter wie Wasser, Luft und Boden mit ihrer Produktionsweise verschmutzen. Diese Kosten tauchen nirgendwo auf, aber wir zahlen sie als Gemeinschaft – etwa in Form von Steuerzahlungen und Wasserrechnungen für die Wiederaufbereitung von Grundwasser.

Die Landwirtschaft in ihrer derzeitigen Form ist für etwa ein Viertel der von Menschen verursachten weltweiten Treibhausgas­emissionen verantwortlich. Die intensive Landwirtschaft verschmutzt häufig Trinkwasser und dezimiert die Artenvielfalt durch flächendeckende Anwendung von Pestiziden. Für Millionen Beschäftigte im Agrarsektor reicht der Lohn, den sie bekommen, dabei kaum zum Überleben. Die versteckten Kosten in Form von sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Schäden zahlen vor allem diejenigen, die ökonomisch schwächer gestellt sind. Billig ist für sie kein Gewinn. Und wird uns alle teuer zu stehen kommen.

Die „wahren“ Kosten sichtbar machen

Anlässlich eines „welt-sichten“-Hefts, das von Sterben und Tod handelt, lässt sich dem, was Leben fördert, und dem, was Leben behindert, nachspüren. Handelsstrukturen, Anbaumethoden und Bepreisungen können Leben fördern und Leben behindern. Vor zwei Jahren hat sich eine Initiative gegründet, die statt billiger Preise preis-werte Lebensmittel fördern möchte. Der sogenannten „True Cost Initiative“ gehören zwölf Mitglieder an – darunter Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen wie Misereor und ein nachhaltiges Geldinstitut. Ihr Ziel ist es, mit einer neuen Form der Rechnungslegung die „wahren“ Kosten der Herstellung landwirtschaftlicher Produkte sichtbar, messbar und damit vergleichbar zu machen.

Damit werden auch die Leistungen der Landwirte und Landwirtinnen sichtbar. Denn wenn jemand in Bodenverbesserung investiert, schlägt das in der Wahre-Kosten-Bilanz positiv zu Buche. Und das könnte dann steuerlich relevant werden und für Investoren, Versicherer und Ratingagenturen wichtige Hinweise auf den Wert eines Unternehmens geben. Wenn das Schule macht, könnten wir auch im Supermarkt sehen, dass die Lebensmittel, die ökologisch und sozial nachhaltig erzeugt werden, sogar vergleichsweise günstiger sind als die herkömmlichen. Und zwar günstig nicht im Sinne von billig, sondern von „ihren Preis wert“.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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