Schweizer Reedereien entsorgen Schiffe in Südasien

Hier trägt ein Arbeiter einen Gaszylinder an einem ausgemusterten Schiff vorbei, welches in der Werft vom indischen Alang auseinandergenommen und verschrottet wird.
REUTERS/Amit Dave
Viele Schiffe werden an Stränden von Indien, Pakistan oder Bangladesch abgewrackt. Hier trägt ein Arbeiter im Mai 2018 einen Gaszylinder an einem ausgemusterten Schiff vorbei, welches in der Werft vom indischen Alang auseinandergenommen und verschrottet wird.
Konzernverantwortung
Während in Deutschland das Lieferkettengesetz in Kraft getreten ist, fehlt es in der Schweiz an einem wirksamen Gesetz zur Konzernverantwortung. So können Schweizer Reedereien weiterhin ungestraft Schiffe an den Stränden Südasiens entsorgen – zum Leidwesen der dortigen Arbeiter und Umwelt. 

Die Schweiz ist zwar ein Binnenstaat, aber dennoch einer der größten Reederei-Standorte weltweit. Mindestens tausend Schiffe werden von hier aus gemanagt, schätzt Rechtsexperte Mark Pieth, der mit Kathrin Betz ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Schweiz zu den größten Entsorgern gehört. Im Jahr 2019 etwa verkaufte die Reederei MSC mit Sitz in Genf das Containerschiff „MSC Mirella“ an einen Zwischenhändler. Der änderte Name und Flagge und ließ das Schiff dann laut einer Recherche der „NZZ“ am indischen Strand von Alang verschrotten. 

Siebzig Prozent der Schiffe auf den Weltmeeren enden an einem von drei Stränden in Südasien: im Indischen Alang, in Gadani in Pakistan oder in Chittagong in Bangladesch. Aus der Schweiz sind dort zwischen 2009 und 90 Schiffe gelandet, berichtet die Organisation Public Eye. Die Wrackplätze in Alang, Gadani und Chittagong sind für ihre verheerenden Praktiken bekannt. Ohne Schutzausrüstung zerlegen die Arbeiter dort die Schiffe und kommen mit Schadstoffen wie Asbest oder Quecksilber in Berührung. Jedes Jahr sterben Menschen, weil bei Unfällen Metallteile auf sie fallen, durch Explosionen oder Feuer. Auch für die Umwelt ist das Abwracken verheerend: Die giftigen Substanzen fließen ungefiltert ins Meer

Gescheitere Konzernverantwortungsinitiative

Dass bis heute Schiffe aus der Schweiz dort abgewrackt werden, liegt auch daran, dass wirksame Gesetze für Konzernverantwortung fehlen. Einige Schweizer Organisationen haben deshalb im Dezember eine Petition eingereicht, zwei Jahre nach dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative an der Urne. Sie fordern die Regierung und das Parlament auf, eine ähnliche Regelung einzuführen, wie sie jetzt in Deutschland in Kraft tritt und in der EU geplant ist. „Der Bundesrat hat stets gesagt, die Schweiz solle keinen Alleingang machen bei der Konzernverantwortung“, sagt Chantal Peyer, politische Beraterin beim Hilfswerk HEKS. „Jetzt aber kommt das EU-Reglement. Es ist also Zeit für die Schweiz, sich zu bewegen.“

Die Praxis der Schiffsabwrackung ist kaum reguliert. Zwar hat die Schweiz das Basler Übereinkommen ratifiziert, das die Entsorgung von gefährlichen Abfällen regelt und auch das Abwracken von Schiffen betrifft. Doch die Reedereien können das Abkommen umgehen, indem sie einfach nicht melden, wenn ein Schiff seine letzte Fahrt antritt. Denn ein Schiff gilt erst als Abfall, wenn die Entsorgungsabsicht klar ist.

Die EU erlaubt das Abwracken von Schiffen unter europäischer Flagge seit 2013 nur noch in zertifizierten Werften. In der Schweiz jedoch ist eine gesetzliche Verschärfung bis heute nicht in Sicht. 2019 forderte die grüne Nationalrätin Lisa Mazzone den Bundesrat auf, ein strengeres Gesetz zu erlassen. Die Regierung wies das zurück – zu wenige Schiffe würden unter Schweizer Flagge fahren. 

Umweltgesetz schreibt jährliche Meldepflicht vor

Tatsächlich fahren drei von vier Schiffen weltweit unter sogenannten Billigflaggen, vor allem aus Panama, Liberia und den Marschallinseln. Dieses System ermöglicht es Reedereien, Gesetze zu umgehen. Denn die Flaggenstaaten sind unter anderem zuständig dafür, Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Sicherheitsstandards an Bord zu kontrollieren. Die Reedereien können die Flaggen frei wählen und suchen sich bevorzugt solche, die am wenigsten kontrolliert werden.

Autorin

Meret Michel

ist Schweiz-Korrespondentin bei "welt-sichten".
Doch dass die Schweiz rechtlich keinen Einfluss auf Schiffe unter fremder Flagge habe, die von hier aus gesteuert werden, weisen Pieth und Betz in ihrem Buch „Seefahrtsnation Schweiz“ zurück. Das Umweltgesetz etwa schreibe eine jährliche Meldepflicht für Firmen vor, die an der Entsorgung von gefährlichen Stoffen wie etwa Asbest oder Quecksilber beteiligt sind – auch in Drittstaaten. Das Problem sei, dass diese Pflicht offenbar nicht eingefordert werde. 

Ein starkes Konzernverantwortungsgesetz könnte es Betroffenen ermöglichen, in der Schweiz zu klagen. Denn das Abwracken falle unter die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft Menschenrechte, erklären Pieth und Betz. Die Schweiz und hier ansässige Unternehmen müssten dafür sorgen, dass es beim Abwracken nicht zu Menschenrechtsverletzungen komme. 

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erschienen in Ausgabe 1 / 2023: Im Protest vereint
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