Konzernverantwortung in weiter Ferne

Schweiz
Zu lasche Bestimmungen, zu viele Schlupflöcher: Die Befürworter der gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative kritisieren die neue Verordnung der Regierung, die am
1. Januar in Kraft getreten ist.

Die Initiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, bekannt als Konzernverantwortungsinitiative (KVI), ist Ende 2021 in der Volksabstimmung trotz 50,7 Prozent Ja-Stimmen an der nötigen Kantonsmehrheit gescheitert. Den Gegenvorschlag des Bundesrats (der Regierung) hatten KVI-Befürworter bereits im Abstimmungskampf als zu schwach kritisiert. Nun ist er als „Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit“ seit dem 1. Januar in Kraft. Die über 20.000 kritischen Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung, die während der Vernehmlassung 2021 eingereicht wurden, haben keine bedeutenden Veränderungen am neuen Gesetz bewirkt. 

Im Dezember schrieb die Regierung in einer Medienmitteilung von „zwei wichtigen Neuerungen“ und betonte, dass es sich um eine international abgestimmte Gesetzgebung handle, die sich an der heute geltenden EU-Regulierung orientiere. Gemäß Bundesrat ist neu, dass Schweizer Unternehmen über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung und über die dagegen ergriffenen Maßnahmen Bericht erstatten müssen. Damit werde Transparenz geschaffen. Zudem müssten Unternehmen in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien besondere Sorgfalts- und Berichtserstattungspflichten einhalten. 

Chantal Peyer, politische Beraterin bei HEKS (Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz), sieht das anders – wie auch die anderen Mitglieder der Koalition für Konzernverantwortung. Die neue Verordnung schwäche den ursprünglichen Gegenvorschlag zur KVI, schreibt sie auf Anfrage. Das neue Gesetz werde das „menschenrechtliche Verhalten von Schweizer Firmen“ nicht verändern. Die einzige Neuerung gegenüber dem ursprünglichen Gegenvorschlag sei die Sorgfaltsplicht im Bereich der Kinderarbeit. Anstatt jedoch eine klare Einhaltung dieser Pflicht zu fordern, habe der Bundesrat eine Reihe von Ausnahmen in die Verordnung aufgenommen, die ihre Tragweite mindere. Außerdem sieht die Verordnung keine Sanktionsmöglichkeiten vor. Peyer: „Es gibt keinen wirklichen politischen Willen, Kinderarbeit zu beenden.“ 

Sorgfaltspflicht zur Kinderarbeit mit vielen Lücken

Der nach der Vernehmlassung eingefügte Artikel 8 zum „Offensichtlichen Verdacht von Kinderarbeit“ verlangt auch von kleinen und mittleren Unternehmen eine Sorgfaltspflicht. Doch ein „offensichtlicher Verdacht“ bestehe nur, wenn bereits Gerichtsverfahren zu einem Fall stattgefunden haben oder Berichte dazu vorliegen, zum Beispiel von der Internationalen Arbeitsorganisation. Zeugenaussagen von Angestellten oder von NGOs würden nicht ausreichen.

Bei Mineralien aus Konfliktländern legt die Verordnung die jährlichen Einfuhr- und Bearbeitungsmengen fest, bis zu denen ein Unternehmen von der Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht befreit ist. Die neuen Bestimmungen beschränken sich dabei auf Gold, Tantal, Wolfram und Zinn. Ein Beispiel: Ein Unternehmen kann hundert Kilogramm Gold pro Jahr importieren oder bearbeiten, ohne unter die Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht zu fallen. Die festgelegten Schwellenwerte richteten sich laut Bundesrat nach EU-Richtlinien.

Peyer verweist auf einen Bericht von Fachleuten für die EU zur 2015 verabschiedeten Richtlinie zur Berichterstattung von Unternehmen zu Fragen, die nicht die Finanzen betreffen, also etwa zur Sorgfaltspflicht. Der Bericht ist zum Schluss gekommen, dass diese Berichterstattungspflicht zwar die Transparenz der Firmen in Bezug auf Einhaltung der Menschenrechte und ähnliche Fragen erhöhe, die Lage in der Praxis aber nicht verbessere. „Die Schweizer Regierung behauptet jedoch das Gegenteil“, sagt Peyer. Sie fordert, dass die Schweiz ihre Bestimmungen anpasst, sobald die EU ihr geplantes Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette verabschiedet.
 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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