Fachleute kritisieren neue Sahel-Politik

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dpa/Picture Alliance
Verteidigungsminister Boris Pistorius (links) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) werden am Flughafen von Gao in Mali von der Bundeswehr empfangen. Deutschland will seine Soldaten bis Anfang 2024 aus dem Sahel-Land abziehen.
Berlin
Nach der Entscheidung, die Bundeswehr aus der Blauhelmmission in Mali abzuziehen, will die Bundesregierung auch das zivile Engagement verändern. Auf die „Neuausrichtung“ der Sahel-Politik reagieren Fachleute allerdings ernüchtert.

Zum Zeichen, dass die konfliktträchtige Sahel-Region trotz des Rückzugs der Bundeswehr aus Mali weiter unterstützt wird, haben die Ressorts für Verteidigung, Äußeres und Entwicklung eine Art Neustart verkündet. So will die Bundesregierung zum einen die militärische Partnerschaftsmission der EU im Niger unterstützen und dort Spezialkräfte ausbilden. Zum anderen will sie mit zivilen „Stabilisierungsmaßnahmen“ und humanitärer Hilfe aus dem Auswärtigen Amt Krisenursachen angehen. Das Entwicklungsministerium schließlich will mit gezielter Hilfe für Jobs und Ausbildung „dazu beitragen, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen“ – also jungen Menschen Perspektiven eröffnen und sie so von bewaffneten Gruppen fernhalten. 

So wirbt Entwicklungsministerin Svenja Schulze unter anderem in Washington für eine „Sahel-Plus-Initiative“, die auch westafrikanische Küstenländer wie den Senegal, die Côte d’Ivoire, Ghana, Togo und Benin einbezieht. Zusätzlich will sie in der Sahel-Allianz – einem Dach für Hunderte Projekte von 18 Geberländern und Organisationen – im Sommer den Vorsitz übernehmen, um die Allianz straffer zu koordinieren und, wie sie betont, lokalen Bedürfnissen besser gerecht zu werden. 

Diese „Neuausrichtung“ löst aus Sicht erfahrener Sahel-Fachleute die politischen Versprechen nicht ein. Die Reaktionen reichen von Erstaunen über die Dürftigkeit der Inhalte bis zu Entsetzen über eine verpasste Chance, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, etwa aus dem Scheitern in Afghanistan. „Es ist bemerkenswert, wie sämtliche Kritikpunkte an der konventionellen Außenpolitik und Entwicklungsarbeit schlicht ignoriert werden“, sagt etwa Helmut Asche, der schon vor drei Jahren ein radikales Umdenken in der Sahel-Politik gefordert hat

Baerbock will einen Flächenbrand verhindern

Wohl scheint durch die offizielle Erklärung die Erkenntnis, dass in der Region Staaten zerfallen, Extremisten die Oberhand gewinnen und die Gewalt unter rivalisierenden Gruppen eskaliert. Doch Wissenschaftler wie Asche schmerzt es, wenn Außenministerin Annalena Baerbock nun erklärt, sie wolle einen Flächenbrand verhindern, ohne dass ihre Leute darstellen könnten, was grundsätzlich anders gemacht werden soll. Immerhin warnen Asche und seine Kolleginnen im Sahel-Ausschuss der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD) seit Jahren vor genau dieser Abwärtsspirale, sollte die fehlgeleitete zivil-militärische Strategie fortgesetzt werden.

Die Afrikanisten raten zum einen zu einer Abkehr von der militärischen Logik in der Sahel-Politik. Zum anderen plädieren sie dafür, nicht die Regierungen und Staatsorgane, sondern zivile Institutionen und Organisationen sowie nichtstaatliche Sicherheitskräfte als primäre Ansprechpartner in den Blick zu nehmen. Es gelte, die Lage auf lokaler Ebene als Ausgangspunkt zu nehmen. Dort begehre die Bevölkerung gegen einen abwesenden, gewalttätigen oder korrupten Elitenstaat auf. Dennoch halte die Bundesregierung an der staatszentrierten Perspektive fest, kritisiert Asche, wo doch spätestens seit dem Putsch auch in Burkina Faso 2022 klar sei, dass dies in die Irre führe. 

Simone Schnabel von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sieht die Kritik ihrer Länderstudie zu Mali und Niger für den Beirat Zivile Krisenprävention vom vergangenen Jahr bestätigt. Statt gemeinsame Handlungsoptionen auszuloten, stelle jetzt wieder jedes Ministerium seine Strategie ins Schaufenster, sagt sie. „Eine übergeordnete, länderspezifische Gesamtstrategie mit dem Ziel von nachhaltigem Frieden bleibt die Regierung schuldig. Es bleiben konkurrierende Verständnisse, wie Stabilität erreicht werden soll.“

Niger als Stabilitätsanker?

Schnabel gibt zudem zu Bedenken, dass die Bundesregierung nun den Niger als zentralen Partner für das deutsche Engagement und als Stabilitätsanker der Region darstellt. Das reflektiere zu wenig den repressiven Staatsapparat dort, der regelmäßig Meinungs- und Versammlungsfreiheit missachte. Zudem müsse eine kohärente Strategie auch den in den Niger ausgelagerten EU-Grenzschutz und dessen nachteilige Folgen für die Bevölkerung berücksichtigen.

Die Friedensforscherin sieht die Sahel-Plus-Initiative vor allem aus der Not geboren: Dass die Gewalt in Mali und Burkina Faso zunehme und in beiden Ländern das Militär an der Regierung sei, erschwere den Zugang für die Entwicklungszusammenarbeit; als Konsequenz weiche man auf die Nachbarländer aus.

Das Entwicklungsministerium betont schon seit längerem, es fördere im Sahel schon länger regierungsferne Projekte zugunsten dezentraler Strukturen. Weil dies häufig in Partnerschaft mit nichtstaatlichen Organisationen geschieht, hat das Netzwerk Fokus Sahel verärgert darauf reagiert, dass die Zivilgesellschaft vor dem Vorpreschen der Ministerin nicht konsultiert wurde. Das Papier zu „Sahel Plus“ greife viel zu kurz und schüre wenig Hoffnung auf Veränderung, sagt Koordinatorin Grit Lenz. Wolle Ministerin Schulze in der Sahel-Allianz einen Unterschied machen, bräuchte sie konkrete Reformideen, so Lenz, etwa für mehr Partizipation. Denn vor Ort werde die Allianz kaum wahrgenommen – und wenn, dann eher mit Ernüchterung.

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