ACTA durch die Hintertür

Anfang Juli hat das EU-Parlament den Vertrag zum Schutz von geistigem Eigentum ACTA abgelehnt und damit erstmals einen von EU-Regierungen und der Kommission ausgehandelten internationalen Vertrag zu Fall gebracht. Aber noch am Tag zuvor billigte das Parlament eine neue Zollrichtlinie, die stark erweiterte Kontrollen vorsieht, um die Einfuhr „illegaler“ Markenprodukte zu unterbinden. Zudem will Brüssel Marken- und Urheberrechte international über Freihandelsverträge durchsetzen.

Die breite Ablehnung im Parlament war vor allem von der heftigen öffentlichen Empörung über Klauseln im ACTA-Vertrag veranlasst, die auf die Zensur des Internet zielten. Zudem waren die Parlamentarier darüber aufgebracht, dass ein ausgewählter Club von Regierungen der Industrieländer geheim den Vertragstext abgesprochen hatte, der zur Regel für die gesamte Wirtschaftswelt werden sollte. Die EU-Kommission hingegen hatte immer wieder abzuwiegeln versucht. Handelskommissar Karel De Gucht sagte noch in einer der jüngsten Debatten, der Vertrag enthalte zur Kontrolle von Internet-Inhalten nichts, was nicht ohnehin schon in der EU rechtsgültig sei.

Doch diese Beruhigung ging an den Kernpunkten der Kritik an ACTA vorbei: Problematisch an dem Vertrag war zum einen, dass mit ihm zivilrechtliche Vorgänge über die Nutzung von geistigem Eigentum ins Strafrecht verschoben worden wären. Zum anderen machte die Beschwichtigung De Guchts endgültig klar, dass ACTA gar nicht zur Regelung EU-eigener Angelegenheiten gedacht war, sondern vor allem darauf abzielte, die Konkurrenz in anderen Ländern einzuschüchtern.

Dabei verfügt die EU heute schon über viele Mittel, um gegen „gefälschte“ und „illegale“ Produkte vorzugehen – und die Palette soll noch erweitert werden: So hat der EU-Gipfel Ende Juni den Weg für einen Gerichtshof zur EU-weiten Durchsetzung des Patentschutzes freigemacht. Und die in der EU schon seit zwei Jahrzehnten gültige Registrierung von Handelsmarken soll „modernisiert und an das Zeitalter des Internet angepasst“ werden. Zudem berät die Kommission derzeit mit Vertretern von Firmen, die audiovisuelle Inhalte vermarkten, darüber, wie die Fahndung nach illegalen Kopien verbessert werden könnte.

Zur Krönung des Pakets bemüht sich die EU-Kommission um die Abschottung des wohlgeschützten Binnenmarkts und um die Ausweitung der Schutzmaßnahmen für Rechte an geistigem Eigentum in die auswärtigen Beziehungen. So hat die Richtlinie zur Verschärfung der Zollkontrollen beinahe in Rekordzeit den Verfahrensgang der EU-Institutionen passiert; das EU-Parlament billigte den Text am 3. Juli mit beinahe ebenso großer Mehrheit mit der es einen Tag darauf ACTA ablehnte. Der Zoll bekommt damit ausdrücklich die Kompetenz, nach Verletzungen geistiger Eigentumsrechte zu fahnden, wenn ein Verdacht vorliegt. Zwar gelobt die EU-Kommission, es sei nicht beabsichtigt, nun auch im Gepäck von Einreisenden nach gefälschten oder illegalen Produkten zu suchen, doch im Text der neuen Richtlinie findet sich diese Zusicherung nicht.

Hinzu kommen noch erweiterte Kompetenzen und Handlungsspielräume für die Zollbehörden angesichts der „explosiven Zunahme“ (EU-Kommission) von über das Internet vermittelten Geschäften und Postsendungen. So gibt es ein „vereinfachtes Verfahren“ zur Zerstörung von kleinen Sendungen, sobald der Verdacht auf eine Rechteverletzung vorliegt. Der Zoll soll sich über die Anbieter derartiger Sendungen kundig machen dürfen.

Gescheitert ist im EU-Parlament der Antrag von linken und grünen Fraktionen, in die Richtlinie eine Klausel einzusetzen, die den unbehinderten Transit von Nachahmer-Medikamenten gewähren sollte. In den vergangenen Jahren wurden an EU-Grenzen Dutzende Generika-Sendungen aus Indien für die Aids-Behandlung in Afrika beschlagnahmt, weil Zöllner in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland die außerhalb der EU eindeutig legalen Medikamente für „illegal“ hielten.

Die EU verhandelt derzeit nach Angaben der EU-Kommission über die Einsetzung von Eigentumsrechten in bilateralen Handelsabkommen. Im Freihandelsvertrag mit Korea ist dies schon gelungen – zur vollen Zufriedenheit des EU-Unternehmerverbands BusinessEurope. Die Verhandlungen mit Indien hingegen stecken fest. Zwar hatte die indische Regierung Kompromissbereitschaft bei der Ausfuhr von generischen Medikamenten signalisiert, doch wenn die Vorgaben der EU zur Durchsetzung von Patent- und Lizenzrechten auch im Land selbst gelten würden, dann würden sich in Indien laut dem katholischen Entwicklungswerk Misereor die Kosten für Krebs- und Aids-Behandlung „drastisch verteuern“.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2012: Auf der Flucht
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