Ein Visum wird zum Gnadenakt

FETHI BELAID/AFP via Getty Images
Tunesische Frauen stellen in der französischen Botschaft in Tunis einen Visumsantrag. Vor allem Afrikaner sehen sich vielen Hürden bei der Visavergabe gegenüber, wenn sie nach Deutschland einreisen wollen, um etwa bei Konferenzen zu sprechen.
Auswärtiges Amt
Wer aus dem globalen Süden nach Deutschland reisen will, um etwa bei Konferenzen zu sprechen, hat es schwer. Denn die Visavergabe wird zunehmend restriktiver gehandhabt, vor allem in Afrika. Das erschwert auch die Entwicklungszusammenarbeit. Kritiker sprechen von „Schikane“.

In der deutschen Visastatistik taucht Liberia gar nicht auf. Vermutlich, weil der Antrag in Ghana zu stellen ist. Wer nach Monaten frühmorgendlicher Besuche auf der Website des dortigen Konsulats einen Termin erheischt, muss in Monrovia das Flugzeug besteigen, um in Accra vorstellig zu werden. Das kann bis zu drei Tage Aufenthalt bedeuten – selbst für einen hochqualifizierten Chirurgen, der eine Krankenhausabteilung zu leiten hat. Ob die Einreiseerlaubnis rechtzeitig für den Kongress in Deutschland erteilt wird? Ungewiss. 

Dabei geht es nicht um Arbeitsmigration, und politisch wird eigentlich erhöhter Austausch angestrebt. Der Wunsch, kurzzeitig, befristet und möglichst wiederholbar mit einem Schengen-Visum nach Deutschland zu reisen, scheint aber für viele verwegen. Für Antragstellende aus Afrika liegen die Hürden höher als aus Lateinamerika und den meisten Ländern Asiens. „Allein einen Termin zur Antragstellung zu ergattern, gleicht in vielen Ländern einem Glücksspiel“, sagt ein Betroffener.

Eingeladene werden unwürdig behandelt

Hört man sich dazu bei Aktiven der deutschen Entwicklungsarbeit um, ist der Befund einhellig: Es wird immer aufwändiger und komplizierter, Vertreterinnen von Partnerorganisationen, Fachleute oder Speaker für Vorträge, Seminare, Konferenzen ins Land zu holen. Die Visavergabe werde zunehmend restriktiver gehandhabt, insbesondere in Afrika. So restriktiv, dass die Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt (BfdW) vorhaben, ihre Sorgen Ende August beim diesjährigen Treffen mit dem Auswärtigen Amt im Forum Menschenrechte vorzubringen. 

„Es gibt eine Menge handfester Probleme, die unsere Arbeit massiv einschränken“, sagt Peter Meiwald, Abteilungsleiter Afrika und Nahost beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor. „Wir müssen uns darauf verlassen können, dass Eingeladene auch kurzfristig einreisen dürfen und nicht erst Monate nach Beantragung eines Termins. Das ist unwürdig, kontraproduktiv und gibt ein peinliches Bild von unserem Land.“

Überlange Wartezeiten für Visa-Termine werden im Bundestag immer wieder kritisch hinterfragt. Auf Anfrage der Unionsfraktion nannte das Auswärtige Amt jüngst für China etwa vier Wochen Wartezeit, für die USA bis zu zehn und für Indien bis zu elf Wochen. Boniface Mabanza Bambu von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA), der den Nachbarkontinent im Blick hat, sagt: „Viele sehen sich Terminangeboten im zuständigen Konsulat gegenüber, die zwischen fünf und acht Monaten nach dem gewünschten Zeitraum der Einreise liegen.“ Das sei Schikane. Auf die Antragstellung folgen weitere Wochen oder Monate des Wartens bis zur Bewilligung – oder Ablehnung.

Schikanen vor allem für Afrikaner

Die ist in Afrika weit wahrscheinlicher als in Asien, mit Ausnahmen wie Pakistan oder Sri Lanka. Laut der EU-Statistik 2022 für Schengen-Visa sind von 27 Ländern, für die über 30 Prozent der  beantragten Visa nicht gewährt werden, 16 afrikanisch – an der Spitze Algerien (48 Prozent), Nigeria (46) und Senegal/Ghana (je 44). Schaut man auf die bei deutschen Vertretungen antragsstarken Länder Asiens wie Thailand, dann lag die EU-Ablehnungsquote unter 10, für Länder aus Südamerika bei gut 20 Prozent. Wie hoch der Anteil abgelehnter Visaanträge je Land ist, hält das AA unter Verschluss. Die EU weist für Deutschland 2022 nur eine gesamte Ablehnungsquote von 16,2 Prozent aus bei einer Million Anträgen – 2017 waren es 7,6 Prozent bei doppelter Antragszahl. Im Schengen-Raum lag der Durchschnitt der Ablehnungen zuletzt bei 17,9 Prozent der Anträge nach 8,2 Prozent in 2017 – auch ein Indiz für eine zunehmende Abschottung. 

Dabei wollen Kritiker wollen dem Auswärtigen Amt noch nicht einmal den Vorsatz unterstellen, Einreisen möglichst zu begrenzen. Als skandalös wird vielmehr die Art der Prüfungen empfunden: Die angeforderten Unterlagen, um Rückkehrgründe zu belegen, erreichten das Volumen einer Doktorarbeit, schildert Mabanza. Zu dokumentieren sind Bankkonten, die Wohnsituation, die familiäre Bindung, Arbeitseinkommen und Mittel für den Aufenthalt in der EU. Wenn die Krankenversicherung einen Tag weniger als die Aufenthaltsdauer abdecke, werde damit schon eine Ablehnung begründet. „Ganze Bevölkerungen stehen unter Generalverdacht, nicht zurückkehren zu wollen“, beklagt Mabanza. Je jünger die Antragsteller, desto größer der Verdacht, sie wollten sich in Europa absetzen. 

Zu häufig werde unterstellt, man wolle nur einreisen, um die Sozialsysteme auszunutzen, bestätigt Meiwald. „Das ist aus verweigerten Anträgen abzulesen.“ Frauen ohne Trauschein und nachweisliche Einkünfte seien besonders benachteiligt, Bewohner von informellen Siedlungen ohne begleitende Betreuung von NGOs chancenlos. 

Bei Firmen in der Warteschleife

Kritisch sehen Misereor wie auch Brot für die Welt, dass Antragsprüfungen zunehmend an Agenturen ausgelagert werden. Das Auswärtige Amt liegt nach eigenen Angaben bei „Bearbeitungskapazitäten“ zur Visumsvergabe um 200 Stellen unter dem Soll von 1415 Ganztagsstellen und arbeitet in 56 Staaten mit externen Dienstleistern wie der international tätigen Firma VFS-Global zusammen, über die 2022 rund eine Million Visaanträge eingereicht wurden. 

Die Prozeduren werden dadurch erfahrungsgemäß nicht schneller, obwohl das AA dies beteuert. Auch die Erreichbarkeit für Nachfragen zum Stand der Bearbeitung wurde bemängelt. Wenn in Kirchenkreisen Konferenzen die Absage drohe, weil Eingeladenen aus Afrika das Visum fehlte, dann half bislang laut Meiwald noch der Gang zu einem Bundestagsabgeordneten, der dann bei der fraglichen Botschaft intervenierte. Nun trage das Outsourcing dazu bei, „dass es diese Möglichkeiten bald nicht mehr gibt“.

Vor allem im französischsprachigen Westafrika stehen das Europäische Visa-Zentrum (ex-„Maison Schengen“) in DR Kongo oder große Dienstleistungsbüros in der Kritik, die – personell dominiert von den ehemaligen Kolonialmächten Belgien und Frankreich – Visa-Anträge für mehrere EU-Staaten prüfen. „Diese Büros sind eine Reproduktion der kolonialen Verbindungen“, klagt Mabanza. „Die Beschäftigten dort haben koloniale Denk- und Handlungsmuster. Und sie wissen auch nicht, was die EKD oder die Bischofskonferenz ist.“

Partnerschaft als hohle Phrase?

Aus NGO-Sicht ist die restriktive Visavergabe ein eklatantes Beispiel, wie die politischen Ansprüche der Ampel-Regierung und ihre Praxis auseinanderklaffen. Gerade die neue feministische Außenpolitik lege einen erweiterten Begriff von Sicherheit und Partnerschaftlichkeit zugrunde. Die Vergabepraxis von Kurzzeit-Visa sei damit unvereinbar, sie sei vom Gutdünken einzelner Mitarbeiter abhängig, die meist unter starkem Druck stünden. 

Auch wenn nicht vorsätzlich eine restriktive Handhabung vorgegeben werde, „wäre andersherum die Ansage einer kohärenten Praxis wünschenswert“, sagt Meiwald: „Also umsetzen, was politisch postuliert wird.“ Mitarbeitende könnten für einen menschenrechtlichen Blick auf die Visavergabe sensibilisiert werden. Entwicklungspolitisch tätige NGOs wünschten sich zudem Standardverfahren, wenn sie Partner oder Experten zu Seminaren oder Treffen mit Politikern nach Deutschland holen wollen. So seien für exponierte, bedrohte Menschenrechts- oder Klimaaktivisten Visa für wiederholte Einreisen erforderlich, damit sie notfalls kurzfristig ausreisen könnten. 

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Danke für diesen hervorragenden (und leider) so wahren Bericht. Es ist eine Schande, wie Deutschland sich in dieser Hinsicht aufspielt. Ich habe da schon sehr viel erlebt. Nur ein Beispiel: ein Freund von mir, Kameruner, Besitzer/Inhaber einer Privatschule, wollte in Deutschland einen Kleinbus für den Transport seiner Schüler/innen kaufen. Der Mann hat Familie, 1 Tochter studiert in USA, die andere in Frankreich, ist gut situiert und keineswegs daran interessiert, in unserem ach so gelobten Land um Asyl zu suchen, das hat er gar nicht nötig. Er hat alle Papiere ordnungsgemäß ausgefüllt und sogar seine überzeugenden Kontoauszüge vorgelegt. Visum abgelehnt. Begründung: „es bestünde die GEFAHR (!), dass er in Deutschland bleiben wolle“. Ich kann nur sagen: ich schäme mich.

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Wir haben als gemeinnütziger Verein im Jahr 2022 achtzehn Visa-Anträge gestellt (zuständig dafür die Französische Botschaft, weil die Deutsche Botschaft in Haiti keine Visa ausstellen darf), davon sind zehn Visa abgeleht worden. Die Antragstellenden konnten nicht eine Rückkehr nicht nachweisen. Wir soll man eine Rückkehr nachweisen, wenn man nicht "rausgelassen" wird? Beim D-Visum blockiert das Ausländeramt. Hier ist die sehr kooperative Botschaft in Santo Domingo (DomRep) zuständig. Das Ausländeramt begründet die Ablehnung eines 12 monatigen Deutschkurses mit der Bemerkung, das diese Sprachkenntnisse auch online erworben werden können.

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Ich würde gerne meine Geschichte auf dieser Konferenz vortragen. Ich komme aus Österreich, aber da schaut es nicht anders aus. Wir machen jetzt seit 4 Monaten ein Theater mit, das Wort Schikane ist der treffende Ausdruck dafür. Nachforderungen über Nachforderungen, teilweise doppelt. Für die Sicherheit der Rückkunft reicht weder der Mietvertrag, noch der Arbeitsvertrag, noch Landbesitz, oder die Kontoauszüge. Meinerseits wurde sogar eine EVE vorgelegt, sicher ist sicher.......Nichts ist ausreichend. Und wir reden hier von einem ***Touristenvisum.

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