Nullsummenspiel fürs Klima

Ob der Clean Development Mechanism zu Klimaschutz und Entwicklung beiträgt, ist umstritten

Von Lambert Schneider und Manuel Bogner

Industriestaaten und Unternehmen können über den Clean Development Mechanism (CDM) Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern finanzieren und erhalten dafür Emissionsgutschriften. Damit können sie, wenn sie ihr Kontingent zum Ausstoß von Treibhausgasen überschreiten, dies sehr kostengünstig ausgleichen. Zugleich soll der Mechanismus in den Projektländern eine klimafreundliche Entwicklung fördern. Doch in der Praxis tauchen erhebliche Probleme auf, die das Vertrauen in seine Wirksamkeit schwächen.

Der Clean Development Mechanism (CDM) ist Teil des internationalen Klimaabkommens von Kyoto, das die Industrieländer zur Reduzierung ihrer Treibhausgas-Emissionen verpflichtet. Er eröffnet ihnen die Möglichkeit, einen Teil ihrer Verpflichtungen nicht zu Hause, sondern mit Investitionen in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern zu erfüllen. Denn für das Klima ist es unerheblich, ob eine Tonne CO2 in Indien oder in Deutschland eingespart wird. Aber für die Industriestaaten ist es günstiger, wenn es in Indien passiert. Der CDM soll den Industriestaaten helfen, die Kosten zur Erreichung ihrer Klimaschutzziele zu senken. Zudem soll er die nachhaltige Entwicklung in den Gastländern fördern: Entwicklungsländer sollen von Investitionen in saubere Technologien profitieren.

Der CDM ist im Prinzip ein Nullsummenspiel für die Atmosphäre. Für eine Tonne CO2, die in einem Entwicklungsland eingespart wird, erhält ein Industriestaat eine Emissionsgutschrift, die es erlaubt, eine Tonne CO2 mehr auszustoßen. Damit die Bemühungen zum Klimaschutz nicht untergraben werden, muss gewährleistet sein, dass CDM-Projekte zusätzlich sind: Es muss nachgewiesen werden, dass das Klimaschutzprojekt ohne die Einnahme aus dem Verkauf der Emissionsgutschriften nicht verwirklicht worden wäre. Andernfalls würden Gutschriften für Maßnahmen ausgestellt, die sowieso umgesetzt würden und damit nicht zusätzlich Emissionen reduzieren. Dann könnte das Industrieland seine Emissionen durch die Gutschriften steigern, ohne dass die entsprechende Menge an Treibhausgasen in einem Entwicklungsland wirklich eingespart worden wäre. Global betrachtet würde das den Ausstoß klimaschädlicher Gase erhöhen.

Um das zu verhindern, muss ein CDM-Projekt bis zu seiner Realisierung einen langen Weg durch verschiedene Instanzen nehmen (siehe Grafik). Der Projektentwickler beschreibt zunächst in einem Project Design Document (PDD), mit welcher Technologie er Emissionen einsparen und wie er zu einer nachhaltigen Entwicklung im Gastland beigetragen will. Nachdem das Gastland bestätigt hat, dass das Projekt zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt, wird das Dokument von einem unabhängigen Zertifizierungsunternehmen, einer so genannten Designated Operational Entity (DOE), geprüft. Fällt diese Validierung positiv aus, wird das Projekt dem CDM-Exekutivrat vorgelegt, einem UN-Gremium mit Sitz in Bonn. Hier wird die endgültige Zustimmung oder Ablehnung erteilt.

Nach der Verwirklichung des Projektes werden die Emissionsminderungen von den unabhängigen Prüfern regelmäßig überwacht und in Berichten zusammengefasst. Dazu werden die Emissionen des Projekts mit einem vorher definierten Referenz-Szenario verglichen, das die Entwicklung der Treibhausgasemissionen ohne das Projekt wiedergibt. Bei einem Windkraftpark dient beispielsweise die CO2-Intensität des nationalen Stromnetzes als Referenz-Szenario. Die Differenz zwischen dem CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde des Windkraftparks und dem Referenz-Wert ergibt die Emissionsminderung.

Nach einer weiteren Prüfung dieser Berichte durch ein Zertifizierungsunternehmen kann schließlich ein Antrag an den CDM-Exekutivrat zur Ausgabe der Emissionsgutschriften gestellt werden. Die Gutschriften werden in einem elektronischen Register der UN geführt und können an Industriestaaten oder Unternehmen aus diesen Ländern verkauft werden. Elf Jahre nach der Annahme des Kyoto-Protokolls hat sich der CDM zu einem globalen Milliardenmarkt entwickelt. Im Frühjahr 2008 hat der Exekutivrat das Tausendste Projekt zugelassen. Weitere 2000 Projekte werden derzeit von Zertifizierungsinstituten geprüft und warten auf ihre Genehmigung. Es wird erwartet, dass bis Ende 2012 Emissionsgutschriften mit einem Wert von rund 30 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Käufer von Emissionszertifikaten sind in erster Linie Regierungen. Die europäischen Regierungen wollen bis 2012 eine halbe Milliarde Gutschriften erwerben und haben etwa 2,9 Milliarden Euro dafür bereitgestellt. Spanien, die Niederlande und Belgien sind die größten Käufer. Unternehmen sind die zweite wichtige Kundengruppe im CDM-Markt. Im Rahmen des europäischen Emissionshandels können sie den Mechanismus in erheblichem Umfang nutzen, um ihr Emissionsbudget zu erhöhen: Sie kaufen CDM-Gutschriften, die sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen einsetzen können. Während einige Konzerne wie der Energieversorger RWE selbst Projekte entwickeln, kaufen andere Emissionsgutschriften bei Banken und Brokern. Die freiwillige Kompensation (siehe Beitrag auf Seite 27) spielt bisher auf dem Markt noch eine untergeordnete Rolle. Ein Beispiel dafür ist der „klimaneutrale“ Flug, bei dem zusätzlich zum Ticket Emissionsgutschriften für den verursachten CO2-Ausstoß gekauft werden können.

Der CDM hat einen neuen globalen Markt für Klimaschutzprojekte und den Handel mit Emissionsgutschriften geschaffen. Auf diese Weise werden Investitionen in innovative Technologien in Entwicklungsländern gefördert. Die Entwicklung von CDM-Projekten ist besonders dort lohnend, wo eine große Menge Treibhausgas zu geringen Kosten reduziert werden kann. Indien und China vereinigen derzeit etwa zwei Drittel der CDM-Projekte und Emissionsgutschriften auf sich. Daneben wird in geringerem Maße in andere asiatische und südamerikanische Länder investiert, nur zwei Prozent aller Projekte finden sich in Afrika. Der weltweit häufigste Projekttyp sind erneuerbare Energien, darunter vor allem Wind- und Wasserkraft sowie Biomasse.

Die meisten Gutschriften produzieren jedoch Projekte, bei denen unerwünschte Nebenprodukte wie Gase aus Industrieprozessen zerstört werden. Denn diese Nebenprodukte haben eine sehr hohe Klimawirkung. Eine Tonne des Gases HFKW-23, das bei der Herstellung von Kältemitteln für Klimaanlagen entsteht, wirkt sich zum Beispiel ebenso schädlich aus wie 11.700 Tonnen CO2. Die Kosten für die Zerstörung von HFKW-23 liegen unter einem Euro pro Tonne, eine Gutschrift ist jedoch mindestens das Zehnfache wert. Das ist sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer solcher Gutschriften ein lukratives Geschäft.

Zugleich wirft das aber die Frage auf, inwieweit der CDM dem Ziel dient, Treibhausgase kostengünstig zu reduzieren. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Zusätzlichkeit der Projekte. Doch gerade die wird sehr kritisch beurteilt. Das Öko-Institut schätzt in einer Studie, dass die Zusätzlichkeit bei etwa 40 Prozent der bis Mitte 2007 zugelassenen Projekte unwahrscheinlich oder zumindest fragwürdig ist. Wissenschaftler der Stanford University gehen sogar davon aus, dass bis zu zwei Drittel der Projekte nicht zusätzlich sind, also auch ohne die Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionsgutschriften verwirklicht worden wären.

Die Schwierigkeiten hängen mit den Methoden zum Nachweis der Zusätzlichkeit zusammen. Dazu zählt zum einen die Investitionsanalyse: Der Projektentwickler muss darlegen, dass sich das Projekt ohne den Verkauf von Emissionsgutschriften wirtschaftlich nicht rentiert oder eine andere Investition attraktiver ist. Eine weitere Möglichkeit ist die Analyse möglicher Hemmnisse. In diesem Fall muss der Projektentwickler zeigen, dass Hemmnisse existieren, die die Verwirklichung des Projekts behindern und die nur mit Hilfe des CDM überwunden werden können. Dazu zählen das Fehlen von Infrastruktur, der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie Investitionshindernisse: Der Strom aus erneuerbaren Energien kann nicht mit Kohlestrom konkurrieren und ist daher auf die Einnahmen aus den Gutschriften angewiesen. Drittens ist eine „common practice“ Analyse möglich. Der Projektentwickler weist in diesem Fall nach, dass die eingesetzte Technologie, etwa Stromerzeugung aus Biomasse, in der Region neu ist und daher besonderer Förderung durch den CDM bedarf.

Diese „Beweisführungen“ sind in der Praxis oft schwer nachzuvollziehen und zu beurteilen. An einigen Beispielen wird deutlich, wie anfällig diese Ansätze für Missbrauch sind. So wurde bei einem indischen Windkraftprojekt vorgerechnet, dass der interne Zinssatz (ein Maß für die Rendite eines Projektes) durch den Verkauf der Emissionsgutschriften nur wenig von 7,36 Prozent auf 7,87 Prozent steigt. In diesem Fall fällt es schwer zu glauben, dass der CDM eine entscheidende Rolle bei der Planung des Projekts gespielt hat, zumal der Projektentwickler angegeben hatte, die Investition lohne sich erst ab einer Verzinsung von 10,75 Prozent. Trotzdem wurde das Projekt genehmigt. Häufig werden auch Hemmnisse angeführt, die wenig glaubwürdig erscheinen. Einige Projektdokumente von Wasserkraftwerken in China erklären beispielsweise, dass während des Baus finanzielle Probleme aufgetaucht seien und der Bau ohne die Einnahmen aus den Emissionsgutschriften nicht fortgeführt werden könne. Diese Argumentation ist fragwürdig, wenn bereits erhebliche Summen in den Bau investiert wurden und hohe Einnahmen aus dem Stromverkauf bei einer Fertigstellung erwartet werden können. Bei anderen Projekten wird argumentiert, dass das eigene Management schlichtweg nicht willens ist, in das Projekt zu investieren, oder dass es Risiken gibt wie Wechselkurs- oder Preisschwankungen. Anhand solcher Argumente kann kaum beurteilt werden, ob ein Projekt die CDM-Förderung benötigt oder ohnehin umgesetzt würde.

Projekte, bei denen der Baustart bereits zehn Jahre zurückliegt, können unmöglich nur aufgrund des CDM geplant worden sein. Der Bau des Tala-Wasserkraftwerks in Bhutan begann im Jahr 1996. Als es bereits acht Monate Strom lieferte, beantragte der Projektentwickler im Dezember 2007 die Zulassung zum CDM. In diesem Fall konnte der CDM bei der Investitionsentscheidung keine Rolle gespielt haben, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal auf dem Papier existierte. Dennoch hat das Projekt die Validierung überstanden und liegt zurzeit dem CDM-Exekutivrat zur Genehmigung vor.

Die fehlende Zusätzlichkeit schadet vor allem dem Klima, weil Gutschriften für Emissionen vergeben werden, die auch ohne diese Gutschriften eingespart worden wären. Umstritten ist aber auch, inwieweit der Mechanismus sein zweites Ziel erreicht, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im Gastland zu leisten. Denn nur ein geringer Teil der CDM-Projekte trägt zur Armutsbekämpfung oder zu einer verbesserten Lebens- und Umweltsituation in den Gastländern bei. Vielmehr sollen einige Projekte sogar gegenteilige Effekte haben. Von einem Biomasse-Projekt in Indien wird berichtet, dass die Betreiber Kahlschlag in großem Maßstab betreiben, um genug Holz für die Stromerzeugung zur Verfügung zu haben. Abgesehen von dem Umweltschaden fehlt dieses Holz der lokalen Bevölkerung, die es zum Kochen benötigt.

Die Probleme bei der Umsetzung des CDM sind auch eine Folge mangelnder Kontrolle durch die Unternehmen, die Projekte unabhängig prüfen sollen. Zurzeit sind 18 von ihnen beim CDM-Exekutivrat akkreditiert, unter anderem aus Großbritannien, Japan, Deutschland und den Niederlanden. Bei der Konzipierung des CDM wurde erwartet, dass sie die Projekte strikt und genau auf die Einhaltung aller Regeln prüfen. In der Praxis ist dies jedoch häufig nicht der Fall. Denn die Projektentwickler können die Prüfer frei wählen und bezahlen sie auch. So entsteht eine finanzielle Abhängigkeit der Zertifizierungsunternehmen vom Projektentwickler und ein Wettbewerbsdruck, der dazu führen kann, dass für einzelne Projektprüfungen wenig Zeit aufgewendet wird. Diese Schwäche des Systems könnte dadurch umgangen werden, dass der CDM-Exekutivrat die Zertifizierung bezahlt. Eine entsprechende Forderung hat unter anderem bereits der Deutsche Bundestag erhoben. Darüber soll beim nächsten Klimagipfel im Dezember in Posen verhandelt werden.

Lohnt es sich also überhaupt, über eine Fortführung des CDM nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls im Jahr 2012 nachzudenken? Bereits jetzt müssten wesentliche Korrekturen vorgenommen werden, um die ursprünglichen Ziele des Mechanismus nicht zu konterkarieren. Eine mögliche Option ist die Einführung eines „sektoralen CDM“. Die Grundidee ist folgende: Die Regierung eines Landes erhält Emissionsgutschriften, wenn es ihr durch politische Maßnahmen gelingt, den Ausstoß von Treibhausgasen in einem gesamten Sektor, beispielsweise dem Verkehr, unter eine vorher definierte Grenze zu senken. Auf diese Weise wird die schwierige Beurteilung der Zusätzlichkeit auf Projektebene umgangen.

Eine weitere Option beim sektoralen CDM ist, nur einen Teil der eingesparten Emissionen als Emissionsgutschriften anzuerkennen. Wenn China beispielsweise im Verkehrssektor eine bestimmte Menge CO2-Emissionen einspart und für die gleiche Menge Emissionsgutschriften verkaufen darf, gewinnt das Klima nichts. Wohl aber, wenn es nur für die Hälfte der eingesparten Menge Gutschriften verkaufen darf.

Der CDM hat sich innerhalb weniger Jahre erfolgreich zu einem eigenen Markt für „Verschmutzungsrechte“ etabliert. Das hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für den Klimawandel in Entwicklungsländern zu erhöhen und Unternehmen dazu zu bewegen, Klimaschutz bei ihrer Investitionsentscheidung über den CDM mitzubedenken. In manchen Sektoren hat durch den CDM eine wirkliche Trendwende stattgefunden. So konnten zum Beispiel durch zahlreiche Deponiegasprojekte die besonders klimaschädlichen Methanemissionen gemindert werden.

Insgesamt bleibt die Bilanz jedoch ernüchternd. Die Wirkung für das Klima und eine nachhaltige Entwicklung in den Gastländern scheint mehr als fraglich. Das System, die Zusätzlichkeit von einzelnen Projekten zu beweisen, ist anfällig für Missbrauch.  Der CDM sollte deshalb umgehend reformiert werden. So sollte zum Beispiel Projekten mit hohem Wert für eine nachhaltige Entwicklung des Gastlandes Vorrang gegeben werden.

Lambert Schneider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Öko-Institutes mit Schwerpunkt Energie und Klimaschutz.

Manuel Bogner studiert Umweltmanagement an der Freien Universität Berlin und schreibt seine Masterarbeit beim Öko-Institut über Auswirkungen des CDM in China.

welt-sichten 10-2008

 

erschienen in Ausgabe 10 / 2008: Klimaschutz: Welche Instrumente wirken?
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