Lob der Stadt

Im vergangenen Jahr hatte sich die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht noch für eine Stärkung der ländlichen Entwicklung ausgesprochen – manche hatten das als lang überfällige Rückbesinnung der Entwicklungspolitik auf die Landwirtschaft gedeutet. Doch jetzt sieht die Bank das Heil vor allem in den Städten: Sie seien die Triebfedern jedweden Fortschritts, heißt es in ihrem diesjährigen Entwicklungsbericht. Fachleute reagieren irritiert: Viele Fragen bleiben unterbelichtet.      

„Wirtschafsgeografie neu gestalten“ (Reshaping Economic Geography) lautet der Titel des World Development Report 2009, der einen radikalen entwicklungspolitischen Kurswechsel empfiehlt. Anstatt bevorzugt zurückgebliebene  Räume zu fördern, müsse die Politik zur Kenntnis nehmen, dass politisches Handeln gegen die Marktkräfte zum Scheitern verurteilt sei. Das dynamischste Potenzial für Entwicklung liege nicht auf dem Land, sondern in den urbanen Zentren und den industriell geprägten Großräumen der Schwellen- und Entwicklungsländer.

Der von einem Expertenteam erstellte Bericht beschreibt ökonomische Entwicklung als einen Prozess von drei „D’s“. Seine Merkmale sind: Konzentration der Wirtschaftstätigkeit in städtischen Ballungsräumen („Density“), die Verkürzung von Entfernungen zwischen Wirtschaftsräumen und Märkten durch wachsende Mobilität und kostengünstigen Transport („Distance“) sowie die Überwindung inner- und zwischenstaatlicher Grenzen durch Integration („Division“). Als  Beispiele nennt der Bericht die Entwicklung und die wirtschaftliche Ausstrahlung von Städten wie Tokio, Schanghai oder Kairo.

„Mobile Menschen und Produkte sind der Schlüssel einer nachhaltigen Globalisierung“, gibt sich Weltentwicklungsbericht-Direktor Indermit Gill überzeugt. Der entwicklungspolitische Ansatz, wirtschaftliche Aktivität möglichst flächendeckend in Gang zu bringen, müsse scheitern. Denn die alles entscheidenden „Marktkräfte“ – Zusammenballung von wirtschaftlichem Potenzial, Migration und Spezialisierung – funktionierten nun einmal anders. Die Politik tue deshalb gut daran, den im Kern selbständig ablaufenden Entwicklungsprozess lediglich zu flankieren: durch den Aufbau sozialer Dienstleistungen in armen ländlichen Regionen, durch Zentren verbindende Infrastrukturmaßnahmen und durch die Überwindung von Hindernissen wie etwa Zollschranken.

Die Überwindung von Armut wird in diesem Szenario zur zwangsläufigen Nebenwirkung eines von den Zentren ausgehenden wirtschaftlichen Fortschritts – und ist kein Ziel an sich  mehr. „China entwickelt sich nach unserem Muster – und dies äußerst erfolgreich“, verteidigte Gill den Report bei der Vorstellung Ende November in Berlin. Was aber ist mit Afrika, dessen Megastädte keine Strahlkraft entwickeln, fragten Skeptiker aus Wissenschaft und Politik. Was ist mit der Umwelt, was mit den Hunderten Millionen Armen auf dem Lande, fernab der Städte, die Hilfe und Auskommen jetzt brauchen – und nicht erst irgendwann in Zukunft als Nebenprodukt eines „3-D-Industrialisierungsfortschritts“? Und was soll noch die Aufgabe und Rolle der internationalen Geber sein? All das sind Fragen, die der neue Report der weltgrößten Entwicklungsbank weder stellt noch beantwortet.

Johannes Schradi

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe

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