„In den gefährlichsten Gebieten arbeiten immer Einheimische“

Sitzende Afrikanerinnen schauen einen Europäer an, der unscharf von hinten im Vordergrund erscheint.
FANNY NOARO-KABRE/AFP via Getty Images
Ein Geber zu Besuch: Im Gewaltkonflikt vertriebene Frauen in Dori im Norden Burkina Fasos sprechen im Mai 2024 mit dem Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrats, Jan Egeland (vorn).
Humanitäre Hilfe
Lokale Organisationen sollen in der humanitären Hilfe mehr Geld und mehr Einfluss bekommen. Das geht es in Burkina Faso laut Abbé Constantin Sere nur in sehr kleinen Schritten voran.

Abbé Constantin Safanité Sere ist Generalsekretär der OCADES Caritas Burkina Faso (Organisation Catholique pour le Développement et la Solidarité); er koordiniert die Arbeit dieser Katholischen Organisation für Entwicklung und Solidarität in dem Sahelland.

Laut den Vereinten Nationen (UN) sind in Burkina Faso etwa zwei Millionen Menschen vertrieben worden, über zwei Millionen leben in unsicherer Ernährungslage, etwa 1,7 Millionen benötigen Soforthilfe. Wie versucht OCADES zu helfen?
Wir verteilen Nahrungsmittel an Menschen, die sofort Hilfe brauchen und Hunger leiden. Wir geben Hilfsgüter aus wie Kleidung, Kochgeräte, Seife und Decken. Manchmal helfen wir auch, Zugang zu Wasser zu sichern, oder unterstützen mehrfach Vertriebene dabei, sich Papiere wieder zu beschaffen.

Kaufen Sie die Hilfsgüter am Ort?
Ja, wenn es dort etwas zu kaufen gibt. Sonst kaufen wir sie in anderen Regionen innerhalb des Landes. Für die Hilfsprogramme haben wir in den Diözesen Sekretariate und in den Pfarrgemeinden Teams.

Burkina Faso ist ein mehrheitlich muslimisches Land. Gibt es in allen Landesteilen Pfarrgemeinden, über die Sie helfen können?
Ja. Einige Pfarreien sind leider geschlossen worden, aber dort arbeiten wir mit Einheimischen zusammen, die nicht geflohen sind. Wir können mehr oder weniger im ganzen Land Hilfsbedürftige erreichen. Bei der Verteilung fragen wir nicht nach der Religion; entsprechend den Grundsätzen der humanitären Hilfe gehen wir nur nach Bedürftigkeit. Unterstützt werden wir von einer ganzen Anzahl internationaler Organisationen, darunter UN-Organisationen.

Die Hauptgeberländer von humanitärer Hilfe und große internationale Hilfsorganisationen nehmen sich seit dem Grand Bargain von 2016 vor, Hilfe zu lokalisieren und einheimischen Gruppen eine führende Rolle zu geben. Wie weit sind sie nach Ihrer Erfahrung? 
Es gibt einige Fortschritte, aber auch große Verzögerungen. Vor einigen Jahren hatten wir als lokale Organisationen noch praktisch keinen Zugang zu den Mitteln für humanitäre Hilfe, die über die UN vergeben werden. Jetzt gibt es einen Fonds für Nothilfe in West- und Zentralafrika, der auch uns Geld zur Verfügung stellt. Das ist ein Fortschritt. Aber meistens  bleiben die Programme noch immer in der Hand sogenannter internationaler Organisationen.

Das heißt Sie sind nicht an Planung und Konzeption beteiligt? 
Richtig. In vielen Programmen dienen wir nur als Agenten für die Umsetzung. Wie erhalten Geld von UN-Organisationen, von der Europäischen Union und von Partnern in Europa und Amerika. Wir dienen ihnen in erster Linie als Durchführungsorganisation. Häufig sind wir nicht an der Konzeption beteiligt. Die Partner, die aus unserer Sicht am ehesten auf Lokalisierung achten, sind andere Caritas-Verbände.

Werden damit Ihre Kenntnisse über die örtlichen Verhältnisse zu wenig genutzt?
Lokales Wissen könnte viel besser genutzt und den einheimischen Organisationen mehr Verantwortung überlassen werden. Das geschieht nicht mit der Begründung, dass es uns an Fachwissen fehlt, dass wir nicht genug ausgebildetes Personal haben und nicht die richtigen Prozeduren. Aber all das könnte man lernen. Mit den Jahren haben wir schon viel gelernt und viele Leute ausgebildet. Man sollte darauf vertrauen, dass wir vorankommen.

Ein Ziel des „Grand Bargain“ ist auch, Nothilfe und längerfristige Entwicklungshilfe stärker zusammenzuführen. Passiert das in Burkina Faso?
In Plänen und Erklärungen ja. Man spricht vom Triple Nexus, das heißt Verbindung von Nothilfe, Resilienz und Entwicklung sowie Frieden und sozialer Zusammenhalt. In der Praxis aber überwiegt kurzfristige humanitäre Hilfe, besonders gegenüber der Resilienz. Seit langem wird viel für Nothilfe ausgegeben und auch für die Förderung von sozialem Zusammenhalt und Frieden, aber zu wenig, um Gemeinschaften zu helfen, ihre Lebensgrundlagen neu aufzubauen. Wenn etwa ein Hirte sein Dorf verlassen und dort alles zurücklassen musste, sollte man ihm nicht nur etwas zu essen und eine Notunterkunft geben, sondern auch wieder ein paar Schafe, so dass er wieder eine Zucht beginnen kann.

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Der größte Teil der humanitären Hilfe wird über UN-Organisationen vergeben. Ist für Sie die Zusammenarbeit mit UN-Organisationen schwieriger als mit internationalen NGOs?
Sagen wir, die Zusammenarbeit mit NGOs erscheint uns etwas einfacher und flexibler. Durch die Arbeit im selben Feld entsteht eher ein gemeinsames Verständnis. Besonders mit verwandten Organisationen wie der deutschen Caritas arbeiten wir geschmeidig zusammen, das ist bei UN-Organisationen nicht immer so.

Ein Argument für den Einsatz internationaler Helfer ist, dass sie in Gewaltkonflikten wie in Burkina Faso eher als neutral angesehen werden. Entspricht das Ihrer Erfahrung?
Die Bevölkerung und auch der Staat in Burkina Faso vertrauen heute nationalen Organisationen genauso wie internationalen. Ich weiß nicht, ob es mit dem Anwachsen des Nationalismus zu tun hat, aber UN-Organisationen werden in Burkina Faso manchmal verdächtigt, sich nicht voll und ganz für das Land einzusetzen. Die Neutralität internationaler Organisationen ist also nicht an sich ein Vorteil. Einheimische Organisationen haben Akzeptanz in der Bevölkerung gewonnen; die weiß, dass wir ohne Ansehen der Religion, der Ethnie und dergleichen allen helfen.

Haben Sie zurzeit Zugang zu allen Gebieten in Burkina Faso, trotz Gewalt und Unsicherheit?
Der Zugang ist insofern eingeschränkt, als es Gebiete gibt, in die man nicht mit Fahrzeugen fahren kann. Dort benutzen wir das Transportsystem mit Helikoptern, das die UN aufgebaut haben, um Personal und Lebensmittel dorthin zu bringen. Zudem transportiert die Armee in solchen Gebieten immer wieder Güter auf die Märkte, und da wir Mitarbeitende in allen Pfarreien haben, können wir diese Zeitpunkte nutzen und Programme umsetzen.

Überlassen internationale Organisationen den lokalen die gefährlichsten Einsätze und Hilfsoperationen?
In den gefährlichsten Gebieten arbeiten immer einheimische Organisationen. Egal ob UN oder internationale NGOs – sie sitzen in der Landeshauptstadt oder, wenn sie in den Provinzen sind, in deren Hauptstädten. Lokale und nationale Organisationen arbeiten an der Basis, sie haben dort Personal.

Welche Veränderungen im Verhältnis zwischen einheimischen Hilfsorganisationen wie Ihrer und internationalen Hilfswerken und Gebern sind aus Ihrer Sicht am dringendsten?
Drei Dinge müssen sich ändern. Erstens brauchen wir besseren Zugang zu Geld. Der Grand Bargain hält fest, dass ein Viertel der internationalen Mittel für Nothilfe direkt an lokale NGOs gehen sollen. Leider sind es in Burkina Faso noch nicht einmal fünf Prozent. ECHO, das Büro für Nothilfe der EU, schließt lokale NGOs wie unsere aus und vergibt das Geld nur über internationale, oft europäische Organisationen. Zum Beispiel geht es an die Caritas in Europa und wir setzen die Programme dann um. Dass insgesamt nur fünf Prozent bei uns ankommen, hindert uns auch daran, zu lernen und unsere Fähigkeiten auszubauen. Das ist das zweite: Es muss anerkannt werden, dass wir Personal schulen und die Organisationen aufbauen müssen. Manchmal verlangt man von uns, dass wir für ein Projekt eine Anzahl von spezifischen Dokumenten erstellen. Aber das geht nur, wenn Mitarbeitende das vorher lernen. Und drittens haben Projekte immer sogenannte indirekte Kosten für den Betrieb der Hilfsorganisation. Man darf bei der Finanzierung von Projekten auch nicht vergessen, dass wir eine Leitung und eine Verwaltung haben und Gebäude, die wir nutzen.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
 

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