Vor fast zehn Jahren hat Biju Saiju ihr Haus für Touristen geöffnet. Damals war die Vermietung von Privatunterkünften ein neues Konzept und in der Gesellschaft verpönt. Als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern sah sie darin jedoch eine Chance auf ein zusätzliches Einkommen. Heute hat ihr dreistöckiges Haus in der historischen Stadt Panauti, etwa 30 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kathmandu, zwei Zimmer für einheimische und ausländische Gäste und ist eine Alternative zu Hotels. Im Erdgeschoss betreibt sie ihren Lebensmittelladen.
Ein wachsendes Netz von solchen Privatunterkünften bietet in Nepal Besuchern die Möglichkeit, bei Einheimischen zu wohnen. Das soll weniger bekannte und kulturell reiche Reiseziele in Dörfern und kleineren Städten bekannt machen und die lokalen Gemeinschaften profitieren lassen. Für Touristen ist es ein besonderes Erlebnis, ethnische Gruppen, ihr Essen, ihre Kultur und Geschichte kennenzulernen.
Nach dem Erdbeben von 2015 und der Covid-19-Pandemie hat sich der Tourismus in Nepal erholt, das Land empfängt mehr Touristen als je zuvor – etwa 1,1 Millionen im Jahr 2024. Die Branche erwirtschaftet rund 6,7 Prozent des nepalesischen Bruttoinlandsprodukts und bietet über eine Million Arbeitsplätze; Gastfamilien möchten einen Anteil daran. Frauen wie Saiju, die jetzt in ihren 50ern ist, hat das nicht nur Beschäftigung, sondern auch finanzielle Unabhängigkeit gebracht. Sie erzählt, sie sei extrem nervös gewesen, als sie ihre ersten Gäste aufnahm, ein Paar aus den Niederlanden, und kaum Englisch sprach. Aber nach und nach hat sie gelernt, auf Englisch einfache Fragen zu den Speisen zu beantworten, die sie für die Gäste kocht. Das Einkommen trage dazu bei, dass ihre Töchter eine gute Schule besuchen und sie sich um ihre Schwiegereltern kümmern kann.
Sozialunternehmen haben das ungenutzte Potenzial erkannt
Die sogenannten Community Homestays entstanden in Nepal Ende der 1990er Jahre – zuerst in Sirubari, einem Dorf, das für die atemberaubende Kulisse des Annapurna-Massivs und die Kultur des Gurung-Volkes bekannt ist. Die Homestay Federation of Nepal schätzt, dass es heute etwa 1500 solcher Privatunterkünfte gibt, von denen nur etwa 600 offiziell bei der Organisation registriert sind. Jede Gemeinde braucht mindestens fünf Haushalte, um in das Geschäft mit Privatunterkünften einzusteigen. Viele Besitzer sagen, dass dies wirtschaftliche Möglichkeiten in ihren Gebieten geschaffen habe. Tourismusexperten sehen hier ein ungenutztes Potenzial, vor allem angesichts des Trends, dass bewusst Reisende auf ihren ökologischen Fußabdruck achten.
Sozialunternehmen wie das 2017 gegründete Community Homestay Network haben das Potenzial erkannt. Das Netzwerk funktioniert wie ein Online-Reisebüro, das mögliche Kunden mit Gastfamilien in ganz Nepal zusammenbringt. Es bietet jetzt Aufenthalte in 361 Haushalten an, in denen mehr als 1900 Personen direkt profitieren, darunter 900 Frauen. 2024 beherbergten sie fast 8000 Besucher aus 45 Ländern, die meisten aus den USA und Europa.
„Wir versuchen uns darauf zu konzentrieren, wie wir Frauen stärken und die Jugend einbeziehen können“, sagt Aayusha Prasain, der Geschäftsführer des Community Homestay Network. In Panauti werden die Unterkünfte in Zusammenarbeit von einem Team nur aus Frauen betrieben, die sich von schüchternen Hausfrauen zu angehenden Unternehmerinnen entwickelt haben. Für die Arbeit zur Stärkung der Frauen wurde das Netzwerk im März 2025 auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin mit dem Gender Equality Champion of the Year Award ausgezeichnet.
Fast das Dreifache des monatlichen Mindestlohns
Laut einer Studie aus dem Jahr 2020, die vom nepalesischen Tourismusministerium mitveröffentlicht wurde, haben Gastfamilien zur Stärkung der Frauen in den Gemeinden beigetragen und das Haushaltseinkommen um fast 15 Prozent erhöht. In Panauti kann jeder Haushalt während der touristischen Hochsaison im Frühjahr und Herbst bis zu umgerechnet 335 Euro einnehmen, fast das Dreifache des monatlichen Mindestlohns für Arbeitskräfte. Familienunterkünfte nützen nicht nur denen, die die Gäste aufnehmen, sondern bieten auch anderen in der Gemeinde eine Chance – etwa einheimischen Bauern, die die Besucher mit ihrem Gemüse versorgen, Reiseleitern und Kunsthandwerkern.
Autor
Bibek Bhandari
ist freier Journalist in Kathmandu, Nepal. Er hat in Indien und China gelebt und berichtet besonders über Gender-Themen, LGBTQ-Rechte, Kunst und Kultur sowie Umweltfragen.Ganga Devi Hayanju, die das Kirtipur Community Homestay etwa 45 Minuten vom Stadtzentrum Kathmandus entfernt leitet, hat jedes Jahr nur eine Handvoll Gäste. Daher haben sie sich darauf verlegt, mit lokalen Erlebnissen Tagesausflügler anzulocken. An einem sonnigen Februarnachmittag begrüßen sie und ihre Kollegen, in traditionelle schwarz-rote Haku-Patasi-Saris gekleidet, ausländische Gäste zu einem Momo-Kurs. Hayanju sagt, die Zubereitung dieser berühmten nepalesischen Teigtaschen sei neben dem Erlernen von Kalligraphie und traditionellen Musikinstrumenten eine der beliebtesten Aktivitäten. „Unsere Erfahrungen mit den Gästen waren gut“, sagte Hayanju. „Sie sind sehr daran interessiert, etwas über unsere Kultur zu lernen und sich mit uns auszutauschen, auch wenn sie nicht bei uns wohnen.“
Die Zahl der Unterkünfte bei Gastfamilien in Nepal wächst. Laut der Studie aus dem Jahr 2020 ist die durchschnittliche Gesamtbelegung allerdings niedrig, variiert aber von Gemeinde zu Gemeinde. Tourismusfachleute sagen, dass es an koordiniertem Marketing fehlt; die Regierung solle Homestays in ihren Tourismuskampagnen Priorität einräumen. Gegenwärtig finden viele Gastfamilien ihre Gäste entweder über private Reiseveranstalter oder mit Eigenwerbung in den sozialen Medien. In den vergangenen Jahren haben viele Anbieter geschlossen, weil sie entweder den Service nicht aufrechterhalten konnten oder die Gästezahlen zurückgingen.
Tourismus in Gemeinden muss kein Nischenmarkt sein
Zum Beispiel Ram Hari Pandey in der Bergstadt Nuwakot, etwa 46 Kilometer von Kathmandu entfernt. Die 14 Haushalte in seiner Gegend beherbergten jeden Monat etwa vier bis fünf Touristengruppen, die im Langtang-Gebiet wanderten; doch dann brach das Geschäft vor ein paar Jahren ein. Pandey gibt den schlechten Straßen und den ständigen Bauarbeiten die Hauptschuld daran.
Laut Fachleuten mangelt es auch an Standardisierung. „Viele Familien haben Gastbetriebe eröffnet, weil sie sahen, dass manche Gemeinschaften davon profitierten“, sagt Sandip Adhikari, Spezialist für alternativen Tourismus im Ministerium für Kultur, Tourismus und Luftfahrt. „Man hat aber nicht Erfolg, indem man andere imitiert, sondern man muss seine einzigartigen Produkte der eigenen Kultur anbieten, um Gäste anzuziehen.“ Um den Markt besser zu regeln, hat die Homestay Federation of Nepal ein dreistufiges Klassifizierungssystem eingeführt: Zu den Kriterien gehören die Anzahl der Betriebsjahre, die Zahl der Gäste und die Infrastruktur der Gastfamilie.
Viele Branchenexperten denken, dass Gastfamilien als integraler Bestandteil einer Reise verkauft werden müssen, damit sie sich langfristig behaupten. Wenn man die großen Reiseziele bewirbt, sollte man die Unterkünfte bei Einheimischen als Beitrag zu einem authentischeren Erlebnis sehen, an Orten, die Touristen sonst kaum besuchen würden.
Prasain meint, ein Vorstoß des privaten und öffentlichen Sektors könnte dazu beitragen, dass sich Aufenthalte bei Einheimischen zu einem nachhaltigen Tourismusprodukt entwickeln, das zur nationalen Wirtschaft beiträgt. „Tourismus in Gemeinden muss kein Nischenmarkt sein“, sagt er. „Reisende können solche Unterkünfte in ihre Reiseroute einbeziehen. Es ist eine gute Möglichkeit, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben.“
Aus dem Englischen von Bernd Ludermann.
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