Brasilien muss den Wald selbst schützen

Ein Holzfäller im Blaumann sägt mit einer Motorsäge im brasilianischen Regenwald den dicken Stamm eines großen Baumes durch.
Lynsey Addario/Getty Images
Ein Holzfäller legt 2021 im Amazonasgebiet die Säge an. Waldschutz wurde damals nicht durchgesetzt.
Kampf gegen Entwaldung
Der Amazonienfonds für Wald- und Klimaschutz ist mit den Beiträgen von Geberländern ein Schlüsselelement im Kampf gegen die Entwaldung. Er zeigt aber auch Schwächen der brasilianischen Umweltpolitik.

Angehörige der indigenen Gruppe der Ashaninka gehen in Apiwtxa, einem Dorf im brasilianischen Amazonasgebiet, einer Tätigkeit nach, die ihren Vorfahren unbekannt war: Seit 2023 gibt es hier zahlreiche Frischwasserteiche für die Fischzucht. Einheimische Arten, die bis dahin in großen Flüssen gefischt wurden, werden jetzt in gemeinschaftlich betriebener Aquakultur gezüchtet.

„Die Fischzucht war eine Möglichkeit, Einkommen und Ernährung sicherzustellen und Fischarten zu erhalten. Klimawandel und Dürren setzen den Flüssen immer mehr zu“, sagt Francisco Piyãko, Koordinator der Organisation Indigener Völker am Rio Juruá (OPIRJ). „Wir bieten Schulungen für Fischzucht an. Wir wollen die Indigenen dazu befähigen, diese Technik zu verbreiten und die Produktion nachhaltig zu machen.“

Die Fischzüchter selbst wissen es vielleicht gar nicht, aber das Geld für ihre Arbeit kommt von weit her: ein Großteil aus Norwegen und in zweiter Linie aus Deutschland, der Rest aus mindestens drei weiteren Ländern. Der komplizierte Finanzierungsmechanismus heißt Amazonienfonds. Dieses 2008 gegründete internationale Finanzierungs- und Kooperationsinstrument ist angesichts des chronisch knappen brasilianischen Staatshaushalts zu einem wichtigen Verbündeten in der Walderhaltung geworden. Allerdings zeigt er auch die Mängel in der sozio-ökologischen Steuerung Brasiliens und Ungleichheiten bei der Mittelverteilung.

Viel Geld aus internationaler Zusammenarbeit

„Ohne den Amazonienfonds gäbe es in der Region eine Investitionslücke“, sagt Adriana Ramos vom Institut für Gesellschaft und Umwelt. „Ein großer Teil dessen, was derzeit in der Region investiert wird, stammt aus internationaler Zusammenarbeit – sei es für Strategien zur Eindämmung der Entwaldung, zur Sicherung einer nachhaltigen Waldnutzung oder zur Feuerbekämpfung.“  

Autorin

Sarah Oliveira Fernandes

ist Journalistin und Geografin in Brasilien. Sie berichtet über Menschenrechte und entwicklungspolitische Themen in Lateinamerika und Asien.

Zwischen 2008 und 2023 hat der Amazonienfonds Zuwendungen in Höhe von umgerechnet etwa 549 Millionen Euro erhalten, hauptsächlich aus Norwegen (89 Prozent) und Deutschland (8,4 Prozent). Knapp die Hälfte davon waren für Maßnahmen wie die Bekämpfung von Waldbränden, Umweltinspektionen und Fachartikel etwa über den Schutz Amazoniens und seine Biodiversität. Das übrige Geld wird in den kommenden Jahren investiert.

Der Amazonienfonds hat laut einem Bericht der brasilianischen Regierung seit 2008 bereits 652 lokale Organisationen, 196 Umweltschutzgruppen sowie die Schaffung von Einkommen und Ernährungssouveränität in 101 indigenen Gebieten gefördert. Außer in die Fischzucht indigener Gemeinschaften des Juruá gehen internationale Gelder auch in Maßnahmen wie den Anbau von Cupuaçu, einer einheimischen, sehr beliebten Frucht, und einer Art Palmherz namens Pupunha in traditionellen Gemeinschaften sowie in die Wiederherstellung ökologisch geschädigter Gebiete im Bundesstaat Rondônia und in die Waldbewirtschaftung in vierzehn Gemeinden Amazoniens.

Sie wollen den Regenwald bewahren: der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und seine Umwelt- und Klimaschutzministerin Marina da Silva im April 2024 beim Start der Regierungsinitiative zur stärkeren Beteiligung der Kommunen an Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsprogrammen.

Laut den Daten im Aktionsplan zur Verhinderung und Kontrolle der Entwaldung in Amazonien hat Brasilien seine Entwaldungsrate zwischen 2005 und 2016 um 71 Prozent verringert. Als Anerkennung für die Erfolge seiner Umweltpolitik haben die Geberländer Mittel für Investitionen in die Region vergeben, die fünf Millionen Quadratkilometer und neun brasilianische Bundesstaaten umfasst. Die Regierung kann selbst entscheiden, wie sie diese Mittel zum Schutz des Amazonasgebiets und seiner Menschen ausgibt; die brasilianische Entwicklungsbank BNDES verwaltet das Geld.

Die finanzierten Projekte entfallen auf vier Bereiche: Förderung nachhaltiger Produktion, Überwachung und Kontrolle, Landnutzungsplanung sowie Wissenschaft und Innovation. Regierungen (Bund, Staat oder Gemeinde), Universitäten, NGOs und lokale Verbände können sie beantragen. Seit Gründung des Fonds wurden über die Hälfte der Projekte von staatlichen Stellen umgesetzt, insbesondere der Bundesregierung – die meisten davon für die Überwachung und Kontrolle der Entwaldung und die Registrierung von Agrargrundstücken, was in der Regel sehr teuer ist.

Die Entscheidungen, wer Geld aus dem Amazonienfonds erhält, treffen zwei Gremien: Das Steuerungsgremium aus Vertretern der brasilianischen Bundesregierung (die mit jeder neuen Regierung wechseln können), der Staatsregierungen und der Zivilgesellschaft erstellt die Kriterien für die Bewerbung. Und das aus Wissenschaftlern bestehende technische Gremium überprüft die Methodik, mit der die Entwaldung und der CO2-Ausstoß berechnet werden. „Große Regierungsprojekte werden etwa für die Überwachung der Entwaldung finanziert, für nachhaltige Produktion in durch die Landreform entstandenen Siedlungen, für Feuerwehren und für Umweltmanagementpläne auf indigenem Territorium“, sagt Ramos. „Alle gelten als wichtige Bereiche im Kampf gegen die Entwaldung.“

Die höchsten Beträge gehen an große Organisationen

Hier zeigt sich aber eine der Schwachstellen des Fonds: Die höchsten Beträge gehen an große Organisationen, von denen die meisten staatlich sind, aber auch an große NGOs, die über eine schlagkräftige Infrastruktur verfügen. Kleinere Körperschaften von Bewohnern des Regenwalds selbst haben Schwierigkeiten, überhaupt an Mittel zu gelangen. 

„Manche Schritte zur Verringerung der Entwaldung haben nicht unbedingt mit Steuerung und Kontrolle zu tun, sondern eher mit der Stärkung lokaler Organisationen. Für den Umweltschutz sind sie enorm wichtig. Wir müssen diesen Stimmen aus dem Regenwald beim Fonds Gehör verschaffen“, erklärt Mariana Mota, Sprecherin von Greenpeace Brasilien. Sie ist mit anderen Experten einig, dass das Finanzierungsmodell große Projekte und Organisationen mit starker Verwaltung und Finanzkraft bevorzugt und kleine Gemeinschaftsorganisationen an den Rand drängt. Dabei arbeiten sie in den entlegensten und gefährdetsten Waldgebieten und stehen im Umweltschutz an vorderster Front.

Das Problem heißt Bürokratie. Wer sich um Mittel aus dem Fonds bewirbt, muss eine Reihe von Kriterien und Regeln der BNDES erfüllen und Dokumente vorlegen; das ist für kleine Organisationen sehr schwierig. Für sie gibt es keine speziellen Finanztöpfe mit Auswahlkriterien, die das Leistungsvermögen und die Lebensrealität von Gemeinschaften in Amazonien berücksichtigen.

Projekte zur Ernährungssicherung und Stärkung der indigenen Kultur

Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, sind sogenannte Aggregationsprojekte. Sie werden zumeist von großen brasilianischen NGOs vorgeschlagen, die dann gewährleisten, dass Mittel an Waldschutzinitiativen von Gemeindeorganisationen fließen. Sie tragen zur Dezentralisierung der Mittel bei, aber es gibt in Brasilien bislang noch wenige soziale Organisationen, die institutionell in der Lage sind, Aggregationsprojekte zu entwickeln und durchzuführen.

„Wir sind eine Ausnahme“, sagt Piyãko von der Organisation Indigener Völker am Rio Juruá, die seit 2015 Geld aus dem Fonds erhält. „Nur wenige Gemeindeorganisationen sind in der Lage, Geld aus dem Fonds einzuwerben. Uns ist das nur gelungen, weil wir in den letzten Jahren administrativ wie juristisch große Entwicklungsschritte gemacht haben. Aber dieser Prozess ist schwierig und sehr teuer.“

Piyãkos Organisation entwickelt mit Geld aus dem Amazonienfonds Projekte in dreizehn indigenen Gebieten mit insgesamt 11.000 Menschen und vierzehn Volksgruppen; darunter sind die Ashaninka. „Wir konnten Projekte zur Ernährungssicherung und zur Stärkung unserer traditionellen Kultur fördern. Wir haben auch Verbesserungen der Agro-Forstwirtschaft unterstützt, die zur Walderhaltung beiträgt.“

Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern

Der Amazonienfonds wirft aber auch ein Schlaglicht auf ein strukturelles Problem der brasilianischen Umweltpolitik: Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern. Transfers aus dem Ausland sind heute eine der Hauptfinanzquellen für Umweltschutzmaßnahmen in Amazonien; sie sind keine Ergänzung des Haushalts dafür, sondern haben dort eine führende Rolle. „Das Jahresbudget des Umweltministeriums beläuft sich auf etwa vier Milliarden Real. Der Amazonienfonds verdoppelt diesen Betrag praktisch“, betont Alessandra Cardoso vom Institut für sozio-ökonomische Studien (INESC).

Ihr zufolge ist der Fonds entscheidend, um Projekte tragfähig zu machen und die Präsenz des Staates in Amazonien zu stärken. Aber er ist kein Ersatz für die nötige staatliche Politik, die mit eigenen Mitteln finanziert und dauerhaft sein müsse. „Manche Arten von Ausgaben kann der Amazonienfonds nicht decken. Zum Beispiel kann daraus Treibstoff gekauft und die Anmietung von Helikoptern finanziert werden, aber man kann daraus nicht die Gehälter von Staatsbediensteten zahlen. Er sichert nicht den Erhalt von Inspektionsstrukturen“, betont die Expertin. Umweltschutzpolitik müsse eine staatliche Priorität sein, die unabhängig von wechselnden Regierungen Bestand hat.

Das Problem ist unter der Regierung des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (2019–2022) deutlich geworden. Damals wurden internationale Gelder eingefroren. 2019, im ersten Jahr seiner Amtszeit, löste Umweltminister Ricardo Salles die beiden Gremien auf, die für die Verwaltung der Finanzen des Amazonienfonds zuständig waren. Da aber die Geberländer die Existenz dieser Gremien vertraglich als Bedingung für Zahlungen festgelegt hatten, konnten keine Projekte mehr finanziert werden. So konnte Brasilien laut Daten der BNDES zwischen 2019 und 2022 rund drei Milliarden Real nicht für Umweltschutzmaßnahmen einsetzen.

Es überrascht nicht, dass die Regierung Bolsonaro in Amazonien im Vergleich zum vorangegangenen Vierjahreszeitraum eine um 60 Prozent höhere Entwaldungsrate verzeichnete. Das war der größte prozentuale Anstieg innerhalb der Amtszeit eines Präsidenten seit Beginn der Aufzeichnungen, die das Nationale Institut für Weltraumforschung im Jahr 1995 begann. Allein 2022 wurde eine Waldfläche von der Größe Jamaikas verwüstet. „Es war eine sehr schwierige Zeit für uns. Wir mussten versuchen, andere Finanzquellen zu finden, und viele Projekte stoppen. Zusammenarbeit war nicht möglich; jede Gemeinschaft versuchte, ihre Maßnahmen beizubehalten“, erinnert sich Francisco Piyãko von Alto Juruá.

Ein Sicherheitsnetz für das Amazonasgebiet

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat per Dekret vom 1. Januar 2023 die Steuerungsgremien wiedereingesetzt; sie arbeiten wieder, was neue Finanzierungen ermöglicht. Nach dieser Wiederaufnahme der Umweltpolitik hat sich im Laufe von 2023 die akut von Abholzung bedrohte Fläche in Amazonien um fast die Hälfte gegenüber 2022 verringert.

„Es gibt politische und ökonomische Kräfte, die die Entwaldung auf Rekordniveau halten wollen“, sagt Mariana Mota von Greenpeace. „Diese Kräfte sind im Parlament stark vertreten. Es sind politisch organisierte Gruppen mit Verbindungen zu Agrobusiness, Bergbau und Landgrabbing. Der volle Wert des Amazonasgebiets ist immer noch nicht anerkannt. Deshalb brauchen wir ein Sicherheitsnetz für ihn, was politischen Willen von Brasilien und der Welt erfordert.“

Angesichts der Bedeutung des Amazonasgebiets für den Planeten sollte seine Erhaltung eine globale Verpflichtung sein – vor allem, weil die Entwaldung zu einem großen Teil auf die Geschäfte transnationaler Unternehmen zurückzuführen ist. Trotzdem findet Mariana Mota, die brasilianische Regierung müsse mehr tun, um dieses Ökosystem zu erhalten, und sie müsse dabei von externen Finanzmitteln weniger abhängig werden.

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.

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