„Angriffe auf Umweltschützer und Journalisten nehmen zu“

Junge Leute halten Plakate, einer filmt mit dem Handy.
Zedrich Xylak Madrid/ZUMA Press Wire via Reuters
"Marcos Duterte – kein Unterschied" steht auf dem Plakat: Junge Leute protestieren im Juni 2025 in Bacoor auf den Philippinen gegen Übergriffe der Sicherheitskräfte in Manila.
Philippinen
Tausende wurden auf den Philippinen unter Präsident Rodrigo Duterte von Sicherheitskräften getötet. Nun hat Dutertes Nachfolger ihn an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert. Aber noch immer werden die Menschrechte kaum geschützt, sagt der Menschenrechtler Mario Maderazo während eines Besuchs in Deutschland im Juli.

Mario Maderazo arbeitet bei der Menschenrechtsorganisation IDEALS auf den Philippinen in der Rechtshilfe und Rechtsaufklärung für benachteiligte Gruppen. Er vertritt unter anderem Opfer des Kriegs gegen die Drogen. IDEALS wird von Brot für die Welt und Misereor unterstützt.

Präsident Rodrigo Duterte hat in seiner Amtszeit offen die Menschenrechte ignoriert. Hat sich seit 2022 unter dem neuen Präsidenten Ferdinand Marcos die Lage verbessert?
Meiner Meinung nach nicht. Ein Zeichen dafür ist der Umgang mit den Opfern von Menschenrechtsverstößen während des Krieges gegen die Drogen unter Duterte. Es gibt weiter keinen Raum, in dem sie über ihre Erfahrungen berichten und Rechenschaft für die Täter fordern können. Bei der neuen Regierung ist keine echte Absicht zu erkennen, den Opfern zu helfen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Sie nutzt das Thema nur als Druckmittel in der Auseinandersetzung mit der politischen Konkurrenz, der Familie Duterte.

Ist niemand aus den Sicherheitskräften wegen der staatlichen Morde unter Duterte belangt worden?
Niemand von den Hauptverantwortlichen. Es gab ein paar Fälle, aber das waren kleine Fische. Einige belastete Offiziere sind sogar befördert worden, und es gab keine Untersuchung, wer die Hauptverantwortlichen der Menschenrechtsverstöße unter Duterte sind.

Ist der Krieg gegen die Drogen vorbei oder geht er weiter? 
Er ist nicht beendet, sondern geht mit verminderter Intensität weiter.

Wie versuchen Sie, den Menschenrechten mehr Geltung zu verschaffen? 
IDEALS ist eine Organisation von Rechtsanwälten. Wir helfen Opfern von Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit von Duterte, sich zu organisieren. Wir unterstützen sie juristisch bei Versuchen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen – unter anderem beim Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof, wo Rodrigo Duterte der Prozess gemacht wird. Wir sagen ihnen aber, dass der Prozess dort lange dauern wird und sie nicht zu viel davon erwarten sollten. Das ist nicht der einzige Weg für sie, zu ihrem Recht zu kommen. Wir denken, es gibt auch juristische Wege auf den Philippinen selbst.  

Welche Fälle bringen Sie zum Beispiel vor Gericht? 
In einem meiner Fälle ging es darum, den Totenschein für einen neunjährigen Jungen zu korrigieren. Der ist während einer Schießerei, in der Unbekannte auch zwei Frauen und einen Mann töteten, von einem Querschläger tödlich getroffen worden. Aber auf Anweisung der Polizei wurde Bronchopneumonie, eine Infektion, als Todesursache angegeben, so dass die Polizei nicht ermitteln musste. Wenn der Totenschein nicht geändert wird, verliert die Familie des toten Jungen jedes Recht, Entschädigung oder Rechenschaft zu fordern. Wir behandeln zurzeit weitere vier Fälle von falschen Totenscheinen, die so ausgestellt wurden, um bestimmte Vorfälle unter der Decke zu halten.

Unterstützen Sie auch Opfer von heutigen Menschenrechtsverletzungen? 
Ja. Wir haben eine Online-Plattform, über die Menschen Rechtsberatung erhalten können. Unter Umständen vertreten wir sie auch vor Gericht.

Welche Menschenrechtsverletzungen kommen heute häufig vor? 
Übergriffe auf Umweltschützer und auch Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Sie riskieren Verhaftung oder Angriffe. Die Zahl dieser Vorfälle scheint zu wachsen. Auch die Pressefreiheit ist dadurch in Gefahr. Die Täter werden in der Regel nicht identifiziert. Der Staat müsste die Opfer schützen und er unternimmt nichts dafür.

Funktioniert die Justiz auf den Philippinen? 
Das schon, aber die Opfer der Verbrechen unter Duterte und überhaupt Menschen aus unteren sozialen Schichten haben kaum Zugang dazu. Die Regierung sorgt nicht aktiv dafür, dass die Täter des Kriegs gegen die Drogen belangt werden. Aber die Opfer haben oft keinen Anwalt und deshalb keinen Zugang zu einem Gericht. Abgesehen davon brauchen sie auch psycho-soziale Unterstützung. Aufgrund von Angst und Traumata fällt es ihnen schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen.  

Besteht die Aussicht, dass ein Polizist verurteilt wird, der wegen Übergriffen vor Gericht kommt? 
Das hängt von der Beweislage ab. Eine solche Klage kann man nur erheben, wenn man mit großer Mühe Beweise gesammelt hat. Dazu muss man im Grunde Zugang zu Akten der Polizei und anderer Regierungsbehörden bekommen. Das ist bisher sehr schwierig. Das Justizministerium hat jüngst erklärt, dass diese Akten aus dem Krieg gegen die Drogen vernichtet worden sind.

Wer sind Ihre wichtigsten Verbündeten beim Einsatz für Menschenrechte? 
Der wichtigste ist die katholische Kirche. Sie unterstützt das Anliegen stark. Auch einige akademische Institutionen tun das. Aber das Umfeld ist schwierig. Nicht einmal die staatliche Kommission für Menschenrechte äußert sich klar zum Krieg gegen die Drogen. In einigen Fällen haben dessen Opfer aber finanzielle Hilfe bekommen und in jüngster Zeit zeigt sich die Kommission mehr bereit zu Dialog und Zusammenarbeit.

Sie wollen mehr zu Menschenrechte lesen? Auf unserer Themenseite finden Sie weitere Berichte, Meinungen und Hintergründe dazu!

Im Mai hat Rodrigo Duterte die Wahlen zum Bürgermeister in Davao gewonnen, obwohl die Übergriffe unter seiner Regierung bekannt sind. In den Wahlen zum Senat haben mit ihm verbundene Kandidaten stark abgeschnitten. Findet die Öffentlichkeit auf den Philippinen Menschrechte nicht besonders wichtig? 
Das Problem ist: Unter Duterte wurde das ganze Konzept von Menschenrechten verfälscht. Er hat alle eigenständigen Institutionen angegriffen, darunter die Justiz, viele Politiker und natürlich die Kirche. Duterte wollte die öffentliche Wahrnehmung ganz in seinem Sinne prägen: Drogen sollten als das Hauptproblem gesehen wurden, nicht etwa Armut oder Entwicklungsprobleme. Aber auf einen großen Teil der Bevölkerung, auch in der Diaspora, hat Desinformation bis heute großen Einfluss. Die ist systematisch und geht zum Teil natürlich von seinen Unterstützern aus. Das ist eine Erklärung dafür, dass Duterte noch immer populär ist, obwohl er eine Menge Gräueltaten begangen hat und das publiziert und gut belegt ist. Das macht es uns sehr schwer, der Öffentlichkeit zu erklären, wie wichtig Menschenrechte sind. Lokalwahlen spiegeln allerdings auch den Einfluss von örtlichen politischen Dynastien. Dass Duterte in Davao gewinnen würde, war zu erwarten, denn seine Familie hat diese Gegend fest im Griff.

Haben sich die Bedingungen für Ihren Einsatz für Menschenrechte verbessert?  
Kaum. Die Atmosphäre hat sich insoweit verbessert, als aus der Regierung heute keine offenen Stellungnahmen gegen Menschenrechte kommen. Sie nimmt auch nicht mehr Stellung zum Beispiel gegen die katholische Kirche. Aber gefährlich ist der Einsatz weiterhin, besonders wie gesagt für Medien und Umweltschützer. Eine der Gefahren ist sogenanntes red tagging, das heißt man wird öffentlich als Unterstützer der kommunistischen Bewegung denunziert.

Haben Sie selbst Schikanen erlebt? 
Ja. Wenn wir Erklärungen mit Kritik am Krieg gegen die Drogen herausgeben, bekommen wir Beschimpfungen und Drohungen über soziale Medien. Das ist sozusagen Standard und Teil der systematischen Desinformation über Trolle.

Was war der Zweck Ihres Besuchs in Deutschland? 
Wir sind hier, um über unsere Lage zu informieren und um Unterstützung zu bitten. Anfang Juli hatten wir dazu auch ein Treffen im deutschen Außenministerium.  Wir möchten, dass unsere Regierung unter Druck gesetzt wird, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zu verfolgen – sowohl für Taten aus der Zeit Dutertes als auch danach, unter der gegenwärtigen Regierung. 

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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