Hitzige Debatte über ÖRK-Stellungnahme

Middle East Images/AFP via Getty/MOSAB SHAWER
Apartheid oder nicht? Israelische Soldaten vertreiben im Juli Palästinenser aus der Innenstadt von Hebron im Westjordanland. Jüdische Siedler im Hintergrund schauen zu.
Israel-Palästina
Wegen einer Stellungnahme zum Nahostkonflikt wird dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Deutschland Israelhass und Antisemitismus vorgeworfen. Manche fordern sogar, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) solle aus dem ÖRK austreten.

Der ÖRK hat Ende Juni eine Erklärung zu Israel und Palästina veröffentlicht. Damit hat er seine Hausaufgaben von der ÖRK-Vollversammlung 2022 in Karlsruhe gemacht. Dort hatte die Diskussion um eine Stellungnahme zum Nahostkonflikt für heftige Kontroversen und am Ende zu einer Pattsituation geführt. Während eine große Mehrheit der 356 Mitgliedskirchen kein Problem darin sah, das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten als Apartheid zu bezeichnen, erklärte die EKD, die die größte Beitragszahlerin im ÖRK ist, sie werde niemals eine Erklärung unterzeichnen, in der Israel der Apartheid beschuldigt wird. Am Ende wurde festgehalten, dass man in dieser Frage unterschiedlicher Meinung sei, und der Zentralausschuss, der zwischen den alle acht Jahre stattfindenden Vollversammlungen das Leitungsgremiums des Weltkirchenrats ist, bekam die Aufgabe, das Thema abschließend zu klären. 

Dem ist der Zentralausschuss bei seiner Sitzung Ende Juni im südafrikanischen Johannesburg nachgekommen. Er fordert nun, dass „die Realität der Apartheid“ beim Namen genannt wird. „Wir anerkennen und verurteilen das System der Apartheid, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt“, heißt es in der Stellungnahme. Kirchen, Staaten und internationale Organisationen sollten Konsequenzen ziehen, einschließlich „Sanktionen, Desinvestitionen und Waffenembargos“. Gleichzeitig sollten sie für die Freiheit der Palästinenser und ihre Rechte auf Rückkehr und Selbstbestimmung eintreten und ein Ende der Besatzung in Ost-Jerusalem und im Westjordanland sowie der Blockade des Gazastreifens fordern, heißt es in dem Text. 

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Kommentatoren wie zum Beispiel Thomas Wessel oder Josias Terschüren warfen dem ÖRK „Terror-Theologie“, „radikale Israelfeindlichkeit“ sowie „Feigheit, Verdorbenheit, Heuchelei und Schwäche“ vor. Kritisiert wurde insbesondere die Verwendung des Begriffs Apartheid. Mit seiner Forderung nach Sanktionen gegen Israel stelle der ÖRK sich hinter die BDS-Bewegung, die der Deutsche Bundestag in einer Resolution 2019 als antisemitisch verurteilt hat, hieß es in zahlreichen Posts in den sozialen Medien. 

Die EKD hat sich umgehend distanziert

Die EKD, die sich sonst mit öffentlichen Äußerungen zum Nahostkonflikt sehr zurückhält, distanzierte sich umgehend von der ÖRK-Stellungnahme. Sie halte an ihrer Position von 2022 fest, dass der Begriff „Apartheid“ die komplexe Realität in Israel und den palästinensischen Gebieten nicht in geeigneter Weise beschreibe. Der Begriff entstamme dem spezifischen historischen Kontext des südafrikanischen Systems der gesetzlich verankerten Rassentrennung und Unterdrückung. „Eine Übertragung dieses Begriffs auf die Situation in Israel und den besetzten Gebieten greift aus unserer Sicht zu kurz und trägt nicht zu einer sachgerechten und verantwortlichen Debatte bei“, heißt es aus Hannover.

Auch andere Kirchenvertreter äußern deutliche Kritik. Der Apartheidvorwurf sei falsch und nicht belegbar, schreibt etwa der Antisemitismusbeauftragte der EKD, Christian Staffa. Palästinenser könnten in Israel zum Beispiel als Ärzte und Pflegekräfte arbeiten. Zwar dürfe das Vorgehen Israels im Westjordanland als kritikwürdige Besatzung bezeichnet werden, nicht aber als Apartheid. Er wundere sich, sagte Staffa zum Evangelischen Pressedienst, wie der ÖRK eine Stellungnahme zum Nahostkonflikt veröffentlichen könne, ohne darin die Rolle der Hamas zu erwähnen.

"Keinerlei Empathie mit Jüdinnen und Juden"

Das kritisiert auch der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl. Israel sei kein Apartheidstaat. „Das Grundproblem dieser ÖRK-Erklärung besteht darin, dass sie keinerlei Empathie mit Jüdinnen und Juden in Israel erkennen lässt.“ Sie verschweige, dass es die Hamas gewesen sei, die mit ihrem Massaker am 7. Oktober 2023 die Gewaltspirale in Gang gesetzt habe. Mit keiner Silbe werde die bedingungslose Freilassung der Geiseln und Rückgabe der Toten gefordert „In Zeiten, in denen der Antisemitismus weltweit zunimmt, sollten sich gerade christliche Kirchen ihrer historischen Schuld am Antisemitismus bewusst sein und ihn nicht noch befeuern“, sagte Gohl.

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz Pinchas Goldschmidt forderte die EKD auf, aus dem ÖRK auszutreten, und warf ihr moralisches Versagen vorDie Gleichsetzung der israelischen Politik mit der Apartheid sei „historisch falsch“ und gieße „Öl ins Feuer des global anwachsenden Antisemitismus“, schrieb Goldschmidt. Einen Austritt aus dem ÖRK schloss die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs indes aus. Man werde sich weiter „engagiert in die weltweite ökumenische Gemeinschaft einbringen“. Gerade in schwierigen Fragen brauche es einen ebenso kritischen wie konstruktiven Dialog. 

Zu einer fairen Auseinandersetzung mit der ÖRK-Erklärung ruft dagegen die ökumenische Basisinitiative Pro Ökumene auf und hält fest, dass die Leitungsgremien des ÖRK die Hamas bereits mehrfach öffentlich verurteilt hätten. Die Stellungnahme spreche außerdem von einer „Realität der Apartheid“ in den palästinensischen Gebieten, nicht aber von einem „Apartheidstaat Israel“. Man müsse differenzieren zwischen dem Staatsgebiet Israel, „in dem die palästinensische Minderheit sich zwar als diskriminiert erfährt, der Begriff ,Apartheid‘ aber umstritten und problematisch ist“, und der Westbank und Gaza, wo alle im Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid genannten Praktiken „ohne Zweifel“ zuträfen. 

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Tatsächlich bezieht sich der ÖRK in seiner Stellungnahme nur auf die Situation in Gaza und im Westjordanland. Auch heißt es gleich zu Beginn der Stellungnahme: „Wir erkennen einen klaren Unterschied zwischen dem jüdischen Volk, unseren Glaubensbrüdern und -schwestern und den Handlungen der israelischen Regierung und bekräftigen, dass der ÖRK entschieden gegen jede Form von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, antiarabischem Rassismus und Islamfeindlichkeit, steht.“

Pro Ökumene weist darauf hin, dass Vertreter der israelischen Regierung sich offen rassistisch äußerten und die Regierung insgesamt die Position eines Staates Israels „from the river to the sea“ vertrete, was de facto die fortschreitende Annexion palästinensischer Gebiete bedeute. Weder verharmlose der ÖRK die Kriegsverbrechen der Hamas, noch dämonisiere er den Staat Israel. Das Völkerrecht müsse aber für Israel genauso gelten wie für alle anderen Staaten.

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