Islamisten auf dem Vormarsch in Somalia

Bewaffnete Soldaten sitzen auf einem Pritschenwagen.
Getty Images/Jonathan Torgovnik
Soldaten der Somalischen Armee trainieren im August 2023 am Militärflugplatz Baledogle in der Nähe der Hauptstadt Mogadischu. Ihren wichtigsten Partner im Kampf gegen islamistische Milizen, die Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU), wird die Armee wohl wegen Geldmangels verlieren.
Ostafrika
In Somalia erobert die islamistische Al-Shabaab-Miliz viele Gebiete - sogar die Hauptstadt Mogadischu ist umstellt. Das ist ein herber Rückschlag für das Land am Horn von Afrika.

Garowe - Ihre erklärten Ziele hat die Al-Shabaab-Miliz in Somalia fast erreicht: Die Terrororganisation hat ihre verlorenen Territorien zurückgewonnen und die Hauptstadt Mogadischu eingekreist. Seit Monaten rücken die Islamisten an vielen wichtigen Fronten vor. Dabei war die Gruppe, die seit 2007 gegen die Regierung kämpft und seit 2012 zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehört, zwischenzeitlich sehr in der Defensive.

Im August 2022 erklärte Präsident Hassan Sheikh Mohamud der Al-Shabaab den „totalen Krieg“. Der Staat wolle das Land in fünf Monaten weitgehend zurückerobern. Das war ein ehrgeiziges Ziel, die Miliz hatte schon damals große Gebiete besetzt. Zusammen mit den Milizen etlicher Clans, die sich an die Seite der Armee gestellt hatten, brachte das Militär viele Teile des ostafrikanischen Landes wieder unter seine Kontrolle. Unterstützt wurde die Armee durch US-amerikanische und türkische Kampfdrohnen, die viele Zivilistinnen und Zivilisten töteten.

Fehlende Verwaltungsstrukturen

Doch schon ab Frühjahr 2023 drehte sich das militärische Blatt erneut, nun wieder zugunsten der Miliz. Die Regierung konnte die eroberten Gebiete nicht sichern. „Dazu fehlten oft die personellen Kapazitäten und die finanziellen Mittel“, sagt Ulf Terlinden von der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi. Um eine zivile Ordnung zu sichern, müssten „tragfähige lokale Verwaltungsstrukturen“ aufgebaut werden. Das passiere in der Regel aber nicht.

Ein weiterer wichtiger Grund für den militärischen Erfolg der Al-Shabaab-Miliz ist ihre Finanzkraft. Laut Somalia-Experten der Vereinten Nationen hat die Terrorgruppe ein äußerst effektives Finanzsystem aufgebaut. Pro Jahr treibe sie um die 150 Millionen US-Dollar ein, zuletzt sogar 200 Millionen.

Die Miliz habe viele staatliche Institutionen infiltriert, sagte der ehemalige Sicherheitsberater des somalischen Präsidenten, Hussein Sheikh Ali, dem Evangelischen Pressedienst epd schon 2021. „Sie besteuern alle Waren, die importiert und exportiert werden.“ Die Bevölkerung habe „gar keine andere Chance, als mit Al-Shabaab zu kooperieren, andernfalls würde sie die Konsequenzen zu spüren bekommen“.

Quasi-staatliche Strukturen durch Al-Shabaab

Die verbreitete Abwesenheit des Staates spielt laut Terlinden der Miliz in die Hände. Die Unterwanderung des Staates beruhe zum großen Teil auf Drohungen, Gewalt und Terror, „aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass der somalische Staat selbst weiterhin nicht in der Lage ist, die Alltagsprobleme der Bevölkerung effektiv zu bedienen“. Das lasse viel Platz für andere „Anbieter“ quasi-staatlicher Strukturen, „wie in diesem Fall Al-Shabaab“, so Terlinden.

Zudem ist die Miliz wegen der verbreiteten Armut für viele Menschen attraktiv. Der Weltbank zufolge lebte 2022 mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Der Kampf um das wirtschaftliche Überleben treibt vor allem junge Menschen dazu, bei der Al-Shabaab anzuheuern. Deren Sold von bis zu 300 US-Dollar für einfache Kämpfer entspricht ungefähr dem Gehalt eines Polizisten. Laut EU-Schätzungen zählte Al-Shabaab 2023 bis zu 12.000 Kämpfer, doch „die tatsächliche Stärke ist nicht bekannt“.

Ein weiteres Problem: Trotz der jüngsten, massiven Rückschläge soll die somalische Armee bis 2029 ihren wichtigsten internationalen Partner verlieren, die Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU). Die kämpft seit 2007 mit wechselnden Mandaten und Namen an der Seite der somalischen Armee. Sie sollte den Kapazitätsaufbau des Militärs begleiten und sich mit der Zeit überflüssig machen. Deshalb wird die Mission seit einigen Jahren beständig verkleinert. In spätestens vier Jahren soll ihr Einsatz enden.

Weiterfinanzierung der Eingreiftruppe ungewiss

Doch ob sie überhaupt so lange durchhält, sei derzeit offen, sagt Omar Mahmood von der Denkfabrik International Crisis Group. Die Europäische Union war seit 2007 der größte Geldgeber der Mission und hat rund 4,3 Milliarden Euro in Somalias Sicherheit investiert. Sie wollte verhindern, dass Somalia Rückzugsraum internationaler Terroristen wird und als staatsfreies Gebiet die ganze Region destabilisiert. Nun will die EU aber laut Mahmood „nicht mehr allein für deren Finanzierung aufkommen“. Die Mission habe jedoch Schwierigkeiten, andere Finanzierungsquellen aufzutun.

„Wenn niemand zusätzliches Geld gibt, wird die AU-Mission vermutlich nicht sofort ihre Zelte abbrechen und sofort abreisen“, sagt Mahmood. „Aber sicher würden die Kapazitäten und Fähigkeiten der Truppe leiden, und natürlich deren Moral.“ Mit der Zeit würde die Fähigkeit Somalias, sich zu verteidigen, weiter geschwächt. Das könnte Al-Shabaab ausnutzen und vielleicht doch noch das jüngste Ziel erreichen, Mogadischu unter ihre Kontrolle zu bringen.

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