Nehmt die Reichen in die Pflicht!

Weltsozialgipfel
30 Jahre nach dem ersten Weltsozialgipfel der Vereinten Nationen fand Anfang November in Doha der zweite statt. Die Abschlusserklärung enthält viele Versprechen, aber keine Zusagen. Dabei wären mutige Reformen nötig, meint Melanie Kräuter.

Melanie Kräuter ist Redakteurin bei "welt-sichten".

1995 bekannten sich die Teilnehmer des ersten UN-Gipfels für soziale Entwicklung in Kopenhagen – darunter noch Helmut Kohl und Nelson Mandela – dazu, drängende soziale Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung anzugehen. Dreißig Jahre danach lassen sich etliche Erfolge in Zahlen messen: Deutlich weniger Menschen leben in extremer Armut oder leiden Hunger, mehr Kinder gehen zur Schule, die globale Gesundheitsversorgung hat sich verbessert und der Wohlstand weltweit ist gewachsen. 

Doch noch immer gehen täglich Hunderttausende Kinder hungrig schlafen, noch immer sind 800 Millionen Menschen extrem arm und fast vier Milliarden haben keinerlei soziale Absicherung. Bei den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen von 2015, die soziale Entwicklungen messbar machen sollen, ist die Welt bei den wenigsten auf Kurs. Annalena Baerbock, Präsidentin der 80. UN-Generalversammlung, fasste es so zusammen: „Wir kennen die Lösungen, aber wir sind entweder nicht in der Lage oder haben nicht den Willen, sie umzusetzen.“

Konkrete Ideen und Zeitpläne fehlen in der Erklärung von Doha

Dass der zweite Weltsozialgipfel erst 30 Jahre nach dem ersten stattgefunden hat und sich statt 117 Staatschefs wie in Kopenhagen in Doha nur 40 getroffen haben, zeigt, wie sich die Prioritäten verschoben haben. Die 18-seitige Abschlusserklärung von Doha liest sich ambitioniert, enthält letztlich aber nur wohlklingende Bekenntnisse, wie man die soziale Lage weltweit zu verbessern gedenkt. Die Erklärung betont den Wert multilateraler Zusammenarbeit und der Kooperation von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, es fehlen aber verbindliche Zusagen, konkrete Ideen und Zeitpläne, wie all das erreicht und vor allem finanziert werden soll. Dass die großen Geber wie die USA und Deutschland auf die derzeitigen Krisen, Kriege und Hungersnöte mit der Kürzung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe reagieren, zeigt zudem, dass die soziale Lage jenseits der eigenen nationalen Grenzen sie offenbar wenig interessiert.

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Dabei wäre es mit mutigen multilateralen Reformen des Wirtschafts- und Finanzsystems möglich, die Ungleichheit in der Verteilung von Reichtum, die Armut und Ungerechtigkeit verschärft, zu verringern und Sozialpolitik zu finanzieren. Das UN-Entwicklungsprogramm hat vorgerechnet, dass mit weniger als einem Prozent des Weltvermögens – 430 Billionen US-Dollar – die jährliche Lücke von 4,3 Billionen US-Dollar zur Erreichung der SDGs geschlossen werden könnte. Aber bisher schützen die Regierungen lieber die Vermögen der Reichen und sparen bei den Armen. 

Die Milliardäre und weltweit tätigen Großkonzerne finanziell stärker in die Verantwortung zu nehmen, könnte mit einer Reichensteuer und der 2021 eingeführten globalen Mindeststeuer gelingen. Auch die Stärkung von Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechten sowie internationale Gesetze zu Lieferketten sind Instrumente, um Ungleichheit zu reduzieren, Arbeitskräfte aus der Armut zu holen und sie besser sozial abzusichern. Soziale Sicherung ist ein Menschenrecht und kein Gnadenakt. Auch weitreichende Schuldenerlasse und faire Staateninsolvenzverfahren wären dringend nötig. Denn hochverschuldete Länder wie Libanon oder Laos müssen den Großteil ihrer Staatseinnahmen zur Schuldentilgung ausgeben und sparen dafür in erster Linie bei ihren sozialen Aufgaben. 

Sozialen Schutz als Menschenrecht verteidigen

Wozu der Abbau von Sozialleistungen führt, lässt sich auch im reichen Norden beobachten. In den USA hat Präsident Donald Trump bei der Lebensmittelhilfe und Programmen zur sozialen Absicherung gekürzt, in Deutschland wird mehr über „Sozialschmarotzer“ und „Bürgergeldbetrug“ gesprochen als über Steuerbetrug, der den Staat jedes Jahr geschätzt 100 Milliarden Euro kostet. Am Ende begünstigt das die Spaltung der Gesellschaft und stärkt rechte Parteien. Sozialen Schutz als Menschenrecht und öffentliches Gut zu verteidigen, wäre nach Ansicht des UN-Sonderberichterstatters zu extremer Armut und Menschenrechten, Olivier De Schutter, die richtige Antwort auf den Rechtspopulismus.

Es gibt ja ermutigende Beispiele: In jedem Land gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen oder UN-Programme, die da ansetzen und helfen, wo der Staat spart und kürzt. Die zeigen, dass Investitionen in Bildung, Gesundheit und Gleichberechtigung helfen, faire Jobs zu schaffen und aus der Armut rauszukommen. Und ja, man kann sogar mit Sozialprogrammen Wahlen gewinnen, wie der neu gewählte New Yorker Bürgermeister Zohran Mamdani gezeigt hat.

Wichtig ist, dass der in der Erklärung von Doha erwähnte Aktionsplan ernsthaft angepackt wird. Immerhin ist ein Follow-up der Ziele alle fünf Jahre vorgesehen. Das ist gut so, denn noch einmal 30 Jahre auf den nächsten Weltsozialgipfel zu warten, wäre fatal. 

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