Die evangelische Kirche löst sich vom Pazifismus

Christian Ditsch/epd-Bild
Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs stellt die neue Friedensdenkschrift ihrer Kirche vor, und Außenminister Johann Wadephul hört aufmerksam zu.
Friedensdenkschrift
Die einen feiern sie als mutige Antwort der Kirche in unruhigen Zeiten. Die anderen staunen ungläubig, dass aus evangelischer Perspektive Atomwaffen plötzlich legitim sein sollen. Auf ihrer Synode in Dresden hat die EKD ihre mit Spannung erwartete neue Friedensdenkschrift vorgestellt.

Wie eine Kirche zu Krieg und Frieden steht, ist immer abhängig vom historischen Kontext. Und der hat sich in Europa spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 erheblich verändert. Um die Orientierungskraft des evangelischen Glaubens neu auszuloten, beauftragte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nur wenige Monate später ein zwölfköpfiges Redaktionsteam um den Münchner Theologen Reiner Anselm mit der Arbeit an einer neuen Friedendenkschrift. 150 Seiten umfasst das Dokument mit dem Titel „Die Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick“. Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs hat es Mitte November in Dresden als einen Kompromiss vorgestellt, den erstaunlich viele in der evangelischen Kirche mittragen könnten. 

In der Denkschrift bekräftigt die EKD wie schon in deren Vorgängerin von 2007 das Konzept des „Gerechten Friedens“ in seinen vier Dimensionen: Schutz vor Gewalt, Förderung von Freiheit, Abbau von Ungleichheiten und Umgang mit Vielfalt. Weil die Entwicklungen in der Ukraine, im Sudan, im Nahen Osten und an anderen Kriegsschauplätzen aber zeigten, dass das Recht des Stärkeren sich immer mehr durchsetze, räumen die Autorinnen und Autoren der neuen Denkschrift dem Schutz vor Gewalt einen Vorrang ein. Denn wer Gewalt schutzlos ausgeliefert ist, dem helfen Freiheit, Gleichheit und Diversität auch nicht viel. Begrenzte Gewalt sei deswegen gerechtfertigt, wenn damit Schlimmeres verhindert werden könne, heißt es in der Denkschrift.

In diesem Zusammenhang dürfe auch über atomare Abschreckung nachgedacht werden. „Ethisch ist die Ächtung von Atomwaffen aufgrund ihres verheerenden Potenzials geboten“, heißt es. „Der Besitz von Nuklearwaffen kann aber angesichts der weltpolitischen Verteilung dieser Waffen trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten bedeuten könnte.“ Der Besitz der Atombombe könne deswegen eine ethisch begründbare Entscheidung sein. 

Der EKD-Friedensbeauftragte will bei einem klaren Nein zur Atombombe bleiben

Diese Position lehnen viele in der EKD ab, darunter ihr Friedensbeauftragter Friedrich Kramer. „Ich bin der Meinung, wir sollten bei einem klaren Nein ohne jedes Ja bleiben“, sagte Kramer vor den Synodalen. Zudem müssten alternative Instrumente zur Friedensschaffung wie zivile Friedensarbeit weiterhin im Fokus bleiben und „klare Grenzen militärischer Mittel zum Schutz vor Gewalt“ definiert werden.

Auch Friederike Spengler, EKD-Synodale und Regionalbischöfin in der Mitteldeutschen Kirche,  kritisierte die Unterscheidung „zwischen dem ethischen Nein und politischen Ja“ zur atomaren Bewaffnung. Kirche solle sich ethisch verantwortlich äußern und nicht von politischer Alternativlosigkeit sprechen, sagte Spengler. Es tue ihr weh, dass Pazifismus nur noch eine gesinnungsethische Spielart, ein „Ausdruck gelebter Frömmigkeit“ sein solle. Das Aktionsbündnis „Atomwaffenfrei.Jetzt“, dem  auch viele kirchliche Gruppen angehören, bezeichnet das Papier als „Kapitulation der christlichen Friedensethik vor der staatlichen Aufrüstungsraison“ und wirft der EKD vor, mit dem Papier eine „nukleare Zeitenwende“ eingeläutet zu haben. 

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In Außenminister Johann Wadephul dagegen hat die Denkschrift einen Freund gefunden. Sie gebe „kluge Antworten“, lobte Wadephul bei einer Diskussionsrunde wenige Tage nach der Vorstellung des Papiers in Berlin. „Als Christ und Außenminister bin ich dankbar für diese klaren, abwägenden Positionen der evangelischen Kirche, meiner Kirche.“ Die Denkschrift gebe ethische Positionen, die jeder nachvollziehen könne. „Dem Aggressor muss mitgeteilt werden, dass man sich im Zweifelsfall auch verteidigen kann“, sagte Wadephul und fügte an, dass die Menschen in der Ukraine nicht durch kategorischen Gewaltverzicht geschützt würden, sondern durch Waffen, die auch Deutschland liefere.

Inwieweit die Denkschrift sich als friedensethische Orientierung zum Beispiel bei jungen Männern bewährt, die in den nächsten Jahren gemustert und eventuell eingezogen werden, wird sich zeigen müssen. Und es wird noch viel Engagement brauchen, die ausdifferenzierten Gedanken zur Friedensethik, über die jetzt schon so ausgiebig gestritten wird, so aufzubereiten, dass Menschen in den Gemeinden dadurch Antworten auf die drängenden Fragen zu Krieg und Frieden bekommen. 

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