Die Zeit der Entwicklungshilfe ist vorbei

Eine Frau zieht eine Spritze auf, hinten eine zweite Frau mit Kind.
Thomas Lohnes/Brot für die Welt
Die Hilfskürzungen gefährden die Gesundheitsversorgung armer Menschen: Eine Hebamme von einer Partnerorganisation von Brot für die Welt verabreicht in Indonesien Impfungen.
Globale Zusammenarbeit
Als Donald Trump die Axt an die US-Agentur USAID legte, versetzte er einem Modell von Hilfe den Todesstoß, das längst in der Krise war. Es ist Zeit für neue Konzepte der internationalen Zusammenarbeit, etwa gemeinsame Investitionen in globale Güter.

Jayati Gosh ist indische Entwicklungsökonomin und Professorin an der Universität Massachusetts Amherst, USA. Sie hat zuletzt den Expertenbericht zu globaler Ungleichheit für den G20-Gipfel im November mit erstellt.

Es hat große Besorgnis und sogar Verzweiflung ausgelöst, dass die USA nach dem Amtsantritt von Donald Trump von heute auf morgen einen Großteil ihrer Auslandshilfe eingestellt und die Arbeit von USAID ausgesetzt haben. Ebenso beunruhigend ist, dass auch Großbritannien, Deutschland, Frankreich und mehrere andere europäische Länder ihre öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) erheblich kürzen – angeblich aufgrund der Notwendigkeit, mehr für Verteidigung auszugeben. Diese Kürzungen sind zwar nicht so abrupt und die Folgen nicht so grausam wie Streichungen der USA, die bereits zum Tod von Menschen führen, unter anderem weil Nahrungsmittelhilfe und Unterstützung für HIV-positive Menschen zurückgeht. Aber auch die Kürzungen in Europa fallen ins Gewicht.

Die Einschnitte bei der Auslandshilfe, die wahrscheinlich künftig weitergehen, deuten darauf hin, dass das zugrunde liegende, seit einem halben Jahrhundert zumindest der Theorie nach geltende Modell der ODA praktisch tot ist. Das hat natürlich unmittelbar schwerwiegende und sogar tödliche Auswirkungen. Und es hat mittelfristig Folgen für viele entscheidende Arbeitsbereiche und sogar für die Existenz von UN-Institutionen und anderen globalen Organisationen, die eine enorm wichtige Rolle spielen.  

Die Hilfe war schon immer mangelhaft

Aber möglicherweise sind der Schock und die Besorgnis übertrieben. Ohnehin hat die ODA der meisten selbsternannten Geberländer nie wirklich das 1970 in der Resolution 2626 der UN-Generalversammlung verkündete Ziel von 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts erreicht. Einige nordische Länder haben dieses Ziel erreicht oder sogar übertroffen, aber die meisten Geberregierungen stellen seit Jahrzehnten weniger als 0,4 Prozent ihres Sozialprodukts für Entwicklungshilfe bereit, und selbst dieser geringe Anteil ist in jüngster Zeit gesunken.

Abgesehen von der Knauserigkeit der Geber hatte das bisherige ODA-System auch viele Mängel. Allzu oft beruhten Hilfsentscheidungen weitgehend, wenn nicht sogar ausschließlich auf geopolitischen Erwägungen. Das zeigt sich etwa daran, dass ein großer Teil der Hilfe aus Europa und den USA in die Ukraine umgeleitet worden ist und dass Ausgaben für Flüchtlinge in den Geberländern in die gesamte Auslandshilfe eingerechnet werden. Auch ist ein Großteil der Hilfe an Berater in den Geberländern geflossen, in der Regel unter dem Vorwand, es fehle an „lokaler Fachkenntnis”. 

Entwicklungshilfe konnte zudem mit allen möglichen politischen Auflagen verbunden sein, die Entwicklungsstrategien oder sozialen Zielen des Partnerstaats zuwiderlaufen. Und sie folgte auch Moden, die regelmäßig in der sogenannten „Entwicklungsindustrie” aufkamen – zum Beispiel, Mikrokredite zu fördern oder auf direkter Geldtransfers zu drängen, statt öffentliche Dienstleistungen zu verbessern und sie breiter zugänglich zu machen. Schon bevor Donald Trump und Elon Musk die Axt an die US-Ausgaben für ODA legten, war klar, dass es sich um ein veraltetes und zunehmend irrelevantes, wenn nicht sogar dysfunktionales Modell handelte. 

Von  Wohltätigkeit zu Zusammenarbeit kommen

Jetzt, da dieses Modell schnell und dramatisch zusammenbricht, ist vielleicht der ideale Zeitpunkt, die gesamte konzeptionelle und praktische Grundlage der ODA zu überdenken und von einem auf Wohltätigkeit beruhenden Ansatz überzugehen zu einem, der auf internationaler Zusammenarbeit angesichts gemeinsamer Probleme basiert. Das ist der Kern der Idee von globalen öffentlichen Investitionen (Global Public Investment, GPI). Hierbei geht es nicht um von Gutherzigkeit motivierte Transfers von den Reichen zu den Armen, sondern darum, dass Nationen gemeinsam daran arbeiten, globale öffentliche Güter bereitzustellen und planetarische Krisen zu bewältigen.

Die Idee ist, dass Länder sich verpflichten, ihre Ressourcen und Anstrengungen für gemeinsame Ziele zu bündeln – besonders dafür, drängende globale Probleme anzugehen wie den Klimawandel, die Umweltverschmutzung, Ernährung und Gesundheit. Dazu gehören gemeinsame Beiträge: Alle Länder sollen entsprechend ihren Möglichkeiten einen Finanzbeitrag leisten und an Entscheidungen über die Verwendung der Mittel beteiligt sein. Tatsächlich geht es dabei „nicht nur um eine Veränderung der Debatte über Entwicklungshilfe: Das ist ein neues Paradigma der Finanzpolitik für das 21. Jahrhundert“, so die Arbeitsgruppe von Fachleuten zu GPI

Immer neue globale Fonds sind der falsche Weg

Es geht nicht darum, einen weiteren globalen Fonds zu schaffen – das ist die Standardantwort auf viele internationale Probleme und die hat bestenfalls sehr begrenzten Erfolg. Zuletzt haben zum Beispiel der vom IWF kontrollierte Topf für Resilienz und Nachhaltigkeit (Resilience and Sustainability Trust) und der von der Weltbank kontrollierte Fonds für klimabedingte Verluste und Schäden (Loss and Damage Fund) weit weniger als die Mindestbeiträge erhalten, die sie überhaupt wirksam machen würden. Und viele potenzielle Empfängerländer sehen solche Fonds skeptisch, weil deren Geld nach undurchsichtigen Strategien verteilt wird und mit zu vielen Bedingungen verbunden ist; das schränkt die Wirksamkeit weiter ein. Hier mag sich ein Dilemma zeigen, das solche Fonds auszeichnet: Die Geberländer, von denen Beiträge erwartet werden, zahlen zu wenig, erwarten aber, die Mittelvergabe nach ihren eigenen Interessen zu kontrollieren. So sind Fonds, die inklusiver und demokratischer verwaltet werden wie der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria, sehr stark unterfinanziert – die Geberländer zahlen nicht mehr ein, weil sie dort die Kontrolle über die Verteilung verlieren.

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Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie das Grundprinzip von globalen öffentlichen Investitionen national und von Ländergruppen ausgearbeitet und weiterentwickelt werden könnte. Man muss dabei nicht einem strengen Muster folgen, solange das Grundprinzip gilt „von jedem nach seinen Möglichkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen und der Wirksamkeit“. Nötig ist dabei natürlich vor allem, dass alle Länder die Existenz und Bedeutung globaler öffentlicher Güter wie Gesundheit für alle und globaler öffentlicher Übel wie den Klimawandel anerkennen. 

Es geht also nicht nur darum, reiche Länder zur Kasse zu bitten, obwohl es dafür angesichts der riesigen heutigen Ungleichheiten und der enormen ökologischen Schulden dieser Länder starke ethische Gründe gibt. Vielmehr geht es um länderübergreifende Zusammenarbeit. 

Manche Länder erkennen die Zeichen der Zeit

Es gibt Anzeichen dafür, dass zumindest einige Länder dies zu erkennen beginnen. Als die Regierung Trump den Beitrag der USA zur Weltgesundheitsorganisation WHO in Höhe von einer Milliarde US-Dollar kürzte und die Mitgliedschaft der USA beendete, einigten sich alle anderen Mitgliedsländer einschließlich derjenigen, die nicht als „Geberländer“ gelten, ihre Mitgliedsbeiträge um 20 Prozent zu erhöhen. Natürlich bedeutete dies immer noch eine Kürzung des WHO-Budgets auf 4,2 Milliarden Dollar für 2026–2027. Aber China hat angekündigt, in den nächsten fünf Jahren zusätzliche freiwillige Beiträge in Höhe von 500 Millionen US-Dollar zu leisten. Andere Länder sollten diesem Beispiel folgen und ihre freiwilligen Beiträge erhöhen; sie sind allesamt Nutznießer der WHO, die eine Reihe von unverzichtbaren Dienstleistungen für die gesamte Weltbevölkerung erbringt.

Viele andere internationale Organisationen, deren überaus wichtige Arbeit aufgrund der Kürzungen der US-Unterstützung behindert oder eingeschränkt wird, sollten nun andere Länder dazu bewegen, ihre Finanzmittel aufzustocken. Ein Beispiel ist das Welternährungsprogramm, das nun zusätzliche Mittel in Höhe von vier Milliarden US-Dollar benötigt, um seine Arbeit fortsetzen zu können. Ein weiteres ist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), denn die Zahl der Flüchtlinge weltweit wird wahrscheinlich dramatisch ansteigen – egal, wie viele Barrieren die Regierungen zu errichten versuchen. Nicht vergessen sollte man die nach wie vor entscheidende Rolle vieler UN-Organisationen beim Aufbau und der Wahrung des Friedens – nicht zuletzt, weil Gewaltkonflikte dazu neigen, auf komplexe und schädliche Weise über Grenzen hinweg zu wirken. 

Auch Länder mit mittlerem Einkommen sollten einzahlen

Und mehr Unterstützung sollte nicht nur von traditionellen Gebern kommen. Viele Länder mit mittlerem Einkommen, deren Bevölkerung von verschiedenen multilateralen Organisationen profitiert, die heute für das Überleben der Menschheit und des Planeten unverzichtbar sind, sollten bereit sein, mehr Finanzmittel bereitzustellen. 

In einer Zeit, in der geopolitischen Spannungen ein kritisches Ausmaß annehmen und die Zahl der Krisenherde wächst, ist schon die bloße Existenz multilateraler Foren, in denen Regierungen zumindest zusammenkommen und diese Fragen erörtern können, ein wichtiges öffentliches Gut. Angesichts vielfältiger und verbundener globaler Krisen ist internationale Zusammenarbeit zu wichtig, um sie mit kurzfristigen und spalterischen Ansätzen beiseite zu schieben. Wo nötig sollten plurilaterale, von willigen Staaten getragene Initiativen ins Leben gerufen werden. Es ist jetzt an der Zeit, dafür zu sorgen, dass der Internationalismus nicht von einer einzigen Hegemonialmacht abhängig ist, sondern weiterlebt und kollektives Handeln zur Bewältigung gemeinsamer Probleme gewährleistet.

Der Text ist zuerst im September in „Development Policy Review“ erschienen. Aus dem Englischen von Bernd Ludermann.

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