Löwe vor dem Sprung?

Eine wachsende Schicht von gebildeten und ambitionierten jungen Leuten will die Chancen in dem ostafrikanischen Land nutzen. Die Regierung fördert die Gründung von Unternehmen, besteuert sie aber auch hart. Viele in der aufstrebenden Mittelschicht kritisieren daher die Selbstbedienung der politischen Elite – und die Entwicklungshilfe.

Ein florierender Privatsektor, traumhafte Wachstumsraten, politische Stabilität und eine wachsende Mittelschicht: Ein fast euphorisches Bild von Afrika zeichnen seit einiger Zeit Autoren wie Dominic Johnson von der „tageszeitung“ in seinem Buch „Afrika vor dem großen Sprung“. Schon 2010 wies das McKinsey Global Institute, die Denkfabrik der Unternehmensberatung McKinsey, Investoren und Geschäftsleute auf „den Fortschritt und das Potenzial“ der afrikanischen Volkswirtschaften hin. Solche Beschreibungen stehen im Kontrast zur gewohnten Berichterstattung und stellen gängige Afrika-Assoziationen wie Armut, Unterentwicklung und Krankheit in Frage. Inwiefern treffen sie zu? Gibt es eine wachsende Mittelschicht?

Autorin

Barbara Off

ist freie Journalistin in München und schreibt vorrangig über Afrika und Entwicklungspolitik.

In Tansania zeigt der Realitätscheck ein geteiltes Bild. Im Index für menschliche Entwicklung 2011 der Vereinten Nationen rangiert es auf Platz 152 von insgesamt 187 Ländern. Zugleich weist das Land seit Jahren wirtschaftliche Wachstumsraten von mindestens sechs Prozent jährlich auf. Die Gegensätze und Spannungen sind vor allem in Daressalam zu spüren. Die Hauptstadt ist ein Schmelztiegel von Arm und Reich. In der boomenden Wirtschaftsmetropole tobt der tägliche Kampf ums Überleben. Straßenverkäufer klappern mit Münzgeld in der Hand und bieten ihre Waren an. Von Erdnüssen bis zu Moskitonetzen kann man alles auf der Straße kaufen. Geschäftsleute in schicken Anzügen und Aktentaschen ziehen zielstrebig durch die Stadt. Sie treffen sich auf einen Cappuccino für 3000 Tansanische Schilling (rund 1,50 Euro) im neu eröffneten Café Mokka City. Draußen vor dem Fenster trinken die Taxifahrer und Schuhputzer beim Straßenkaffeemeister auf dem Bürgersteig eine kleine Tasse Kaffee für 300 Schilling.

Benson Wambugu, der Manager und Besitzer von Mokka City, hat in Kenia gelebt und studiert. Er sei Kaffeespezialist und habe in Nairobi gesehen, wie gut das Konzept des Java House, des kenianischen Pendants zu Starbucks, aufgegangen sei. Deshalb sei er zurückgekommen, um hier ein Café zu eröffnen. Während des Gesprächs gehen die Klimaanlage und die Hintergrundmusik aus, die Flachbildschirme an den Wänden, auf denen CNN läuft, sind schwarz. Stromausfall. Nach ein paar Minuten dröhnt der Generator von der Straße und alles läuft wieder. Die schlechte Stromversorgung ist eines der größten Hindernisse für wirtschaftliche Entwicklung. Doch im Vergleich zu 2005 ist die Lage um einiges besser. Damals waren Stromausfälle an der Tagesordnung. Heute kann es zwei Wochen dauern, bis wieder einer auftritt.

Benson beklagt sich auch über den maroden Zustand des Wasser- und Abwassersystems. Daressalam sei in den letzten Jahren sehr schnell gewachsen, und die Stadtverwaltung komme mit dem Ausbau der nötigen Infrastruktur nicht nach. Daressalam hat 2,6 Millionen Einwohner (Stand 2005) und ist mit einer jährlichen Wachstumsrate von 4,39 Prozent eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Auch kleinere Städte wie Arusha oder Mwanza spüren den Trend der Urbanisierung.

Der Immobilienmarkt ist zu einem lukrativen Geschäft geworden

Deutliches Zeichen einer wachsenden Mittelschicht sind die kilometerlangen Staus, die sich morgens und abends von den Vororten in und durch die Stadt ziehen. Immer mehr Leute können sich ein Auto leisten und ziehen dieses den öffentlichen Bussen, den Daladalas, vor, die meist heillos überfüllt und in schlechtem Zustand sind. Der Großteil der Besserverdiener wohnt nicht im heißen, dreckigen Stadtzentrum, sondern in Wohngebieten am Stadtrand.

Zum Beispiel im 15 Kilometer entfernten Mbezi Beach. Vor drei Jahren wurde die Hauptzufahrtsstraße nach Mbezi geteert. Seitdem erfährt der Vorort einen regelrechten Zuwanderungs- und Entwicklungsboom. Neue Geschäfte sind entstanden, bald wird eine Tankstelle eröffnet, Wohn- und Apartmenthäuser werden gebaut. Der Immobilienmarkt sei zu einem lukrativen Geschäft geworden, erklärt der Jungunternehmer John Maeda. Wer heute noch ein Stück Land hier ergattern will, muss für 1000 Quadratmeter an die 250 Millionen Schilling (rund 125.000 Euro) hinlegen. Vor zehn Jahren hätte man diese Grundfläche noch für rund ein Drittel des heutigen Preises bekommen.

Wer in Mbezi wohnt und nicht zu viel Zeit im Auto verbringen will, muss Leben und Arbeit nach dem täglichen Verkehrsstau richten. So beginnt der Tag der jungen Geschäftsfrau Florence Mshakangoto bereits um fünf Uhr morgens. Spätestens eine Stunde später ist sie mit ihrem japanischen Kleinwagen auf der Straße, da ab sieben Uhr bereits alles dicht sei und man mindestens zwei Stunden im Stau stehen würde. Ihre Tage sind lang, neben ihrer Festanstellung hat sie ein eigenes Unternehmen für Training im Dienstleistungsbereich gegründet. Nach der Arbeit besucht sie außerdem einen Abendkurs für ihren Master-Abschluss an der Universität. Meist kommt sie erst zwischen 21 und 22 Uhr nach Hause.

Florence Mshakangoto ist ein Musterbeispiel für die junge aufstrebende Generation der Mittelschicht: Gebildet, aktiv, ambitioniert. Viele dieser jungen Leute haben im Ausland studiert. Im Unterschied zu früher kehren sie danach wieder zurück. Denn die meisten sind überzeugt von den Möglichkeiten, die Tansania bei allen Schwierigkeiten bietet. Zudem ist das Leben im Ausland teuer und im Zuge der Wirtschaftskrise härter geworden. Das war zumindest einer der Beweggründe für die PR-Beraterin Nadine Kapya, nach ihrem Wirtschaftsstudium in Großbritannien und Italien nach Tansania zurückzukehren. Gerade hat einer ihrer Kunden im Einkaufs-center Mlimani City einen neuen Shop eröffnet. Das größere Angebot an Konsumgütern sei auch ein Zeichen für eine wachsende Mittelklasse, meint Nadine Kapya. Sie erzählt, dass sie sich über das Internet in Public Relations weitergebildet hat, wie wichtig für sie soziale Netzwerke wie LinkedIn sind und dass sie plant, sich selbstständig zu machen. In ihrer Agentur sehe sie keine Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln; außerdem habe sie schon immer Unternehmerin sein wollen. Selbstständigkeit und Unternehmensgründung scheinen in Tansania im Trend zu liegen.

Nach der Reform des Bankensektors ist es leichter geworden, Kredite zu bekommen

Das bestätigt auch Teddy Qirtu, die bei Datavision angestellt ist, einem Unternehmen für Marktforschung und Dienstleistungen im Sektor Informations- und Kommunikationstechnologie. Früher sei es das Ziel eines guten Lebens gewesen, eine Festanstellung zu haben – am besten bei der Regierung –, zu sparen und mit 40 ein Haus zu bauen. Heute würden manche junge Leute bereits während des Studiums eine Firma gründen. Sie wollten in kürzerer Zeit mehr erreichen. Dieser Wandel sei auch durch Auslandserfahrungen und die neuen Medien zustande gekommen: „Die jungen Leute nehmen ihre Kariere sehr ernst“, meint Teddy Qirtu. Das ist Bestandteil der langfristigen Entwicklungsstrategie der Regierung, Unternehmer zu stärken, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Ein Schritt dazu war die Reform des Bankensektors vor einigen Jahren. Seitdem ist es viel leichter, Kredite zu bekommen. Mit der Einführung einer nationalen Identitätskarte und weiteren Gesetzen, die die Hinterlegung von Sicherheiten regeln, soll dies weiter vereinfacht werden.

Inzwischen boomt der Bankensektor. Vor zehn Jahre fand man Banken und Geldautomaten ausschließlich im Stadtzentrum. Fährt man heute von der Stadt auf der Bagamoyo Road in den Vorort Tegeta, reiht sich eine Filiale an die andere. Auch dies ist ein Zeichen für eine entstehende Mittelklasse: Immer mehr Leute haben ein Bankkonto. Die Wirtschaft ist stärker monetarisiert und formalisiert, was auch bedeutet, dass die Regierung mehr Steuern erheben kann. Ein Meilenstein für die Entwicklung Tansanias. Da die Regierung aber gerade eine rigide Steuerpolitik verfolgt und den formellen Sektor rücksichtslos abschöpft – schon bei Einnahmen unter 100 Euro sind Steuern fällig –, sei die Gefahr groß, dass viele im informellen Sektor tätig bleiben, sagt Stefan Chrobot, der Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tansania.

Unter den tansanischen Unternehmern herrscht ein hohes Maß an Frustration über die politische Führung. Es gebe zwar gute Gesetze, an der Durchsetzung hapere es jedoch. Korruptionsskandale, Selbstbereicherung und Ineffizienz sind häufige Vorwürfe. Es wird viel diskutiert über Politik und den Zustand des Landes. Die konservative Oppositionspartei für Demokratie und Fortschritt Chadema hat in den vergangenen Jahren einen enormen Zuspruch erfahren. Während ihr Kandidat  bei den Präsidentschaftswahlen 2005 nur 5,8 Prozent der Stimmen bekam, konnte 2010 Willibrod Peter Sloo bereits 26 Prozent auf sich vereinigen. Von einer politisierten Mittelklasse, die sich offen für ihre Belange einsetzt, könne man jedoch noch nicht sprechen, so Chrobot: „Die Leute halten sich zurück und solidarisieren sich noch nicht in einer Form von Gegenmacht, es sei denn es geht um ganz spezifische ökonomische Interessen.“ So haben in den vergangenen Monaten Ärzte und Lehrer wegen schlechter Entlohnung gestreikt.

Tansania darf sich nicht zu sehr auf die Einnahmen aus dem Öl und Gas verlassen

Viele Tansanier fragen sich, warum für Gesundheit und Bildung nicht genügend Geld vorhanden ist und zugleich für Regierungsvertreter neue Autos angeschafft werden können. Sie sehen nicht, dass die internationale Entwicklungshilfe, die momentan 30 Prozent des Regierungshaushaltes ausmacht, bei den Menschen ankommt. Devotha Minzi, die Managerin eines Mikrokreditunternehmens, meint: „Ich möchte keine Entwicklungshilfe. Sie gibt uns die Möglichkeit, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun sollten.“ Sie fragt sich, ob die internationalen Geber eigentlich wüssten, was mit ihrem Geld geschehe. Und Bosco Mugemana, der Inhaber eines kleinen Transportunternehmens, glaubt, die politischen Führer wären eher rechenschaftspflichtig, wenn sie sich selbst darum kümmern müssten, wo das Geld herkommt. Aggrey Marealle, Direktor der PR Agentur Executive Solutions, Regierungsberater und Sohn des Häuptlings des Chagga-Stammes, plädiert für eine konstante Verringerung der Entwicklungshilfe in den nächsten zehn Jahren. Er setzt große Hoffnungen in die Öl- und Gasfunde im Süden Tansanias. Damit in Zukunft auch die Bevölkerung davon profitiert, müssen jetzt faire Verträge mit den ausländischen Firmen verhandelt werden. Da es in Tansania wenige Fachkräfte wie Ingenieure und Anwälte gibt, ist das kein leichtes Unterfangen.

Die Erwartungen vonseiten der Bevölkerung sind indes immens. Sie fordert, das an Bodenschätzen reiche Land solle endlich von der Rohstoffextraktion profitieren. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Tansania sich zu sehr auf die Einnahmen aus dem Öl und Gas verlässt und dabei vergisst, andere Sektoren der Wirtschaft zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen. Bei einem Bevölkerungswachstum von fast drei Prozent ist vor allem die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten ein drängendes Problem.

Nach den Entwicklungsplänen der Regierung soll Tansania bis 2020 zum Schwellenland werden. Ob das ehemals sozialistische Land, das 1995 seine ersten Mehrparteienwahlen abhielt, bis dahin den großen Sprung schaffen und zu einem afrikanischen Löwen werden kann, ist fraglich. Der nötige gesellschaftliche Wandel hat indes begonnen. Die noch kleine Mittelschicht Tansanias wächst und wird das Land und die Politik in den kommenden Jahren prägen. Noch dominiert eine ältere, konservative Generation das öffentliche und private Leben. Doch eine Generation junger dynamische Unternehmer steht schon in den Startlöchern.

Zusatzinformationen

Die Recherche in Tansania wurde vom Evangelischen Entwicklungsdienst mit einem Zuschuss unterstützt.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2012: Die Wirtschaft entwickeln
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