Mut zur öffentlichen Beichte

Schweizer Banken und Unternehmen haben während der Apartheid in Südafrika enge Verbindungen zum Staat am Kap der Guten Hoffnung gepflegt, anstatt sich dem UN-Boykott anzuschließen. Die Kirchen haben ihr Versagen mittlerweile eingeräumt und sich entschuldigt. Die Politik und die Wirtschaft hingegen sind bislang nicht bereit, sich ihrer Verantwortung zu stellen und aus der Geschichte zu lernen.

Mit eigenen Schwächen umzugehen, fällt mir nicht leicht. Und noch weniger ist es mir darum, diese auszuposaunen. Ab und zu ist dies aber nötig, wenn ich zum Beispiel einen offensichtlichen Fehler gemacht habe oder alle im Betrieb spüren, dass der Chef daneben lag. Dass sich ein Land bei einem anderen entschuldigt, kommt hingegen eher selten vor.

Autor

Antonio Hautle

ist Direktor des katholischen Hilfswerks Fastenopfer in Luzern.

Besonders uns Schweizerinnen und Schweizern fällt dies schwer, sind wir doch vor allem stolz auf unsere Geschichte, unsere humanitäre Tradition, unseren weltweiten Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Dieser Stolz lässt sich gut begründen: Wir haben in gut siebenhundert Jahren in Sachen Versöhnung zwischen sprachlichen, religiösen und kulturellen Gegensätzen im Zentrum Europas soziale und politische Strategien und Strukturen entwickelt, die ihresgleichen suchen.

Doch auch in der Schweizer Geschichte gab und gibt es dunkle Flecken. Ein nicht aufgearbeitetes und oft verdrängtes Kapitel sind die Beziehungen der Schweiz zu Südafrika während der Apartheid bis 1994. Die Schweiz muss sich vorhalten lassen, das Apartheidregime bis in die letzten Monate nicht boykottiert zu haben. Trotz UN-Embargos haben Schweizer Banken und Firmen Südafrika damals weiter Geld geliehen. Das habe das Apartheidregime verlängert, sagen die einen. Nein, das habe Bürgerkrieg und die Übernahme durch Kommunisten verhindert, behaupten die anderen. Doch was ist die Wahrheit?

Sicher ist, Schweizer Firmen haben sehr gut verdient; die Banken haben sämtliche Kredite zurückbekommen. Doch die Akten zu diesen dunklen Geschäften sind nach wie vor unter Verschluss. Weder Interventionen bei den Kreditinstituten noch zwei parlamentarische Vorstöße haben es bisher vermocht, die Bundes- und Bankarchive für die Forschung zugänglich zu machen. Man solle sich auf die Zukunft konzentrieren und nicht in der Vergangenheit wühlen und alte Geschichten und Wunden aufreißen, war im Parlament zu hören. Welch seltsames Geschichtsverständnis. Haben wir etwas zu verbergen oder wollen wir aus der Geschichte lernen?

Die Unterdrückten in Südafrika haben einen Anspruch darauf zu erfahren, was damals passiert ist und welche Rolle die Schweiz gespielt hat – damit so etwas nie wieder vorkommt. Doch wollen offenbar weder die Politiker noch die betroffenen Firmen und Banken aus der Geschichte lernen. Zu viel Ungereimtes käme wahrscheinlich zum Vorschein, das von noch lebenden Personen zu verantworten wäre. Es wird Druck, Aufklärung und Unnachgiebigkeit brauchen, um die Einsicht zu vermitteln, dass nur die Wahrheit wirklich weiterführt. Eine „historische Beichte“ kann hilfreich sein, weil sie Versöhnung zulässt, Menschlichkeit fördert und uns die begangenen Fehler nicht wiederholen lässt.

Hier sind die protestantische und katholische Kirche der Schweiz einen besseren Weg gegangen. Der evangelische Kirchenbund hat bereits 2005 eine Studie zur Rolle der Kirchen in der Apartheidzeit vorgelegt. 2011 ist nun endlich die Kommission Justitia et Pax der katholischen Bischofskonferenz gefolgt. Lange wollten auch die Bischöfe sich nicht mit diesen Fragen auseinandersetzen; die ihnen nahestehenden Vertreter der christlichen Volkspartei unterstützten weitgehend die Interessen der Wirtschaft. Doch ab 1980 begannen sich von der Befreiungstheorie beeinflusste Laien, Hilfswerke und einzelne Bischöfe zu bewegen. Und zehn Jahre später war die Kritik auch aus kirchlichen Kreisen unüberhörbar geworden. Im August dieses Jahres schließlich entschuldigte sich Abt Martin Werlen OSB offiziell im Namen der Bischöfe in Südafrika für den „Mangel an Katholizität und Solidarität“, wie er es nannte.

Das Zeichen kam an und löste freudige und dankbare Betroffenheit aus. Das zeigt: Öffentliches Beichten kann versöhnen und Brücken bauen aus der Vergangenheit in die Zukunft – damit wir nicht aus Macht- und Wirtschaftsinteressen an Menschen schuldig werden, die unsere Unterstützung und unseren Protest gebraucht hätten. Die Schweizer Kirchen haben den Schritt getan. Wann folgen die Regierung, die Banken und die Unternehmen? Hoffentlich nicht zu spät, so dass die Geschichte sie bestraft.

 

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erschienen in Ausgabe 11 / 2011: Nigeria: Besser als sein Ruf
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