Trommelwirbel für die Götter

Wavoeké Loviton liebt Holz. Um daraus ein Tam-Tam, eine für Benin typische Trommel zu bauen, braucht er ein gutes Gehör, viel Gespür für den Rohstoff – und Muskelkraft. Die ursprünglich für Voodoo-Zeremonien benutzten Instrumente sind vor allem bei Touristen aus Europa beliebt.

Wavoeké Loviton hat sich in seine kleine Werkstatt zurückgezogen. Unter dem löchrigen Strohdach, zwischen halbhohen Wänden aus Zement, hat er seine Ruhe und kann sich dem widmen, was er am liebsten tut: Aus schweren, klobigen Baumstämmen lässt er langsam Trommeln entstehen. Vorsichtig streicht er über einen unbearbeiteten Stamm. „Gute Qualität“, sagt er knapp und nickt zufrieden. Das ist längst nicht immer so. Neben seiner Werkstatt liegt haufenweise Holz, doch Trommeln werden daraus nicht mehr entstehen. „Das ist leider vergammelt und taugt nichts mehr“, sagt der Trommelbauer. Vermutlich wird er es irgendwann als Feuerholz verkaufen oder selbst verfeuern.

Es dauert Jahre, um gutes von schlechtem Holz unterscheiden zu lernen. Wavoeké Loviton hat sich immer wieder Bäume angesehen und Holzsorten geprüft. Die Arten, die er verwendet, wachsen in Benin und stammen quasi aus der Nachbarschaft. Um herauszufinden, welche Sorte sich besonders gut für welche Trommel eignet, hat er Trommelspielern zugehört, sich aber auch Tricks und Kniffe bei erfahreneren Kollegen abgeschaut. Sein Heimatdorf Adjarra ist dafür perfekt geeignet. Der kleine Ort ist Benins heimliche Trommelhauptstadt.

Noch gilt Adjarra als Geheimtipp. Doch die Besucherzahlen steigen – Wavoeké Loviton freut sich darüber. Die Gäste, die meistens aus Europa kommen, sind mittlerweile seine besten Kunden geworden. Am liebsten verkauft er ihnen sogenannte Tam-Tams, schlanke Trommeln in verschiedenen Höhen. Je nach Wunsch ist das Holz unbehandelt oder bunt bemalt.

Autorin

Katrin Gänsler

ist freie Journalistin in Westafrika. Sie lebt in Lagos und Cotonou und berichtet für deutschsprachige Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

„Diese Trommeln sind Originale aus Benin“, betont Loviton – im Gegensatz zu den unzähligen Elefanten, Giraffen, Nashörnern und Masken, die überall zwischen Kapstadt und Dakar zu kaufen, aber weder für eine Region noch für ein Land typisch sind. Die Tam-Tams wurden schon gebaut, als noch niemand an Urlauber aus Übersee dachte. Sie sind eng mit der Geschichte des Landes verknüpft. „Früher wurden sie hauptsächlich für Voodoo-Zeremonien benutzt“, sagt Loviton. Benin ist die Wiege des Voodoo, jenes alten Götterglaubens, der heute sogar eine anerkannte Religion mit offiziellem Feiertag ist. Ähnlich wie in der germanischen Mythologie haben die Götter alle eine eigene Zuständigkeit – und eigene Trommelklänge. Je nachdem, für welchen Gott eine Zeremonie veranstaltet wird, werden unterschiedliche Rhythmen geschlagen.

Die Voodoo-Tam-Tams sind Spezialanfertigungen, die extra bestellt werden müssen. Anders ist es mit den knapp 20 Rohlingen, die Loviton im Moment in seiner Werkstatt lagert. Ein paar davon sind über einen Meter hoch und verdammt schwer. Wie viel sie genau wiegen, weiß der Trommelbauer nicht. „Aber schau mal“, sagt er und rüttelt ein wenig daran, „alleine kann ich diesen Rohling nicht bewegen.“ Mindestens eine Woche dauert es, bis daraus eine Trommel wird.

Mit einer langen Eisenstange, die am Ende ein dreieckiges Messer hat, fängt er vorsichtig an, ein Loch in den Holzstumpf zu schlagen. Er muss sich anstrengen und mit der langen Stange immer wieder weit ausholen. Loviton benutzt Bois Blanc (weißes Holz), wie es in Benin genannt wird. Es gilt als besonders weich und leicht zu bearbeiten. Er hat vorgesorgt und für die kommenden Aufträge ein gutes Dutzend Bois-Blanc-Rohlinge vorbereitet. Eigentlich stammt der Baum mit dem botanischen Namen Gmelina Arborea aus Südostasien, inzwischen ist der schnell wachsende Laubbaum aber auch im Westen Afrikas heimisch.

Trommelbauer aus anderen Ländern lästern mitunter darüber und sprechen von Instrumenten aus falschem afrikanischem Holz. Loviton stört das nicht. Für ihn ist es wichtig, dass das Holz an sich gut ist, keinen Pilzbefall hat, nicht zu lange draußen lag und so möglicherweise ein paar Mal nass geworden ist. Trotzdem ist das Bois Blanc längst nicht für jede Trommelart geeignet. „Für eine Djembe nehme ich anderes Holz“, sagt Loviton. Die Djembe hat sich in den vergangenen Jahren fast zu einem Markenzeichen Westafrikas entwickelt und ist die wohl populärste Trommel geworden.

Die Touristen kaufen lieber eine Djembe als ein Tam-Tam

„Sie wirkt irgendwie moderner als unsere Tam-Tams“, räumt der Trommelbauer ein. Deshalb baut er seit einiger Zeit auch Djemben, obwohl sie eigentlich aus dem Senegal und Burkina Faso stammen. Loviton beugt sich dem, was die Touristen verlangen. Eine Djembe mit ihrer besonders charakteristischen Form sei mitunter leichter zu verkaufen als das klassische Tam-Tam, das viel weniger exotisch aussieht.

Für eine Djembe muss das Holz härter sein. Loviton hat sich deshalb für das rotbraune Iroko-Holz entschieden, das er manchmal schlicht Bois Rouge – rotes Holz – nennt. Es ist ein afrikanisches Gehölz und stammt von einem Maulbeergewächs, das den lateinischen Namen Milicia trägt. Verbreitet ist das Gehölz südlich der Sahara vom Senegal bis nach Ostafrika und gilt als sehr wetterbeständig und fest. Wenn daraus keine Djemben werden, dann Gartenmöbel oder Parkettböden. Auch Loviton ist von der Stabilität überzeugt: „Das Holz hält tatsächlich viele Jahre.“

Dann nimmt er sich den nächsten Rohling, den er schon vor einigen Tagen ausgehöhlt hat. Er hat eine mehrere Zentimeter dicke Wand stehen lassen, und mit ein wenig Fantasie kann man sich das Tam-Tam schon vorstellen. Fertig ist die Trommel aber noch lange nicht. Mit einem großen Messer bearbeitet Loviton nun die Oberfläche an den Innen- und Außenseiten. Innen sei das ganz besonders wichtig, damit nichts den Klang beeinflusst, erklärt er. Er prüft seine Arbeit immer wieder, fährt vorsichtig mit seiner Hand über das Holz und sucht nach kleinen Unebenheiten. Wenn er endlich zufrieden ist, dann werden die fast fertigen Tam-Tams auf den Markt von Adjarra gebracht. Dort bekommen sie den letzten Schliff, sie werden lackiert und schließlich bespannt. „Mir ist Antilope am liebsten.“ Loviton zeigt auf ein paar Felle, die er vor dem Verkaufsstand in die Sonne gelegt hat. Hier sollen sie trocknen, bis sie passend geschnitten und mit einem Metallring, einem dünnen Seil und kleinen Holzkeilen auf den Trommeln befestigt werden. Je nach Durchmesser reicht ein Fell für bis zu drei Tam-Tams.

Irgendwann ist es soweit, und der Trommelbauer spielt die ersten Töne an, um zu hören, wie das Tam-Tam klingt. Für Laienohren klingt es gut. Loviton ist jedoch viel kritischer: „Jedes Tam-Tam ist anders und hat seinen ganz eigenen Rhythmus“, sagt er und probiert mit ein paar Bekannten weitere Trommeln aus. Zu Dutzenden warten diese nun auf Käufer. Wie viel sie für ein Instrument ausgeben, ist pures Verhandlungsgeschick, hängt aber auch von der Größe der Trommel ab. Einen realistischen Preis will Loviton nicht nennen, sondern lieber gleich in die Verhandlungen einsteigen. Das gilt auch für den Fall, dass das richtige Tam-Tam nicht dabei ist. „Ich biete Spezialanfertigungen an. Wer möchte, kann sich Holz, Form und Farbe natürlich aussuchen“, sagt Loviton. Reich wird er allerdings nicht von seinem Handwerk. Manchmal vergehen Wochen, in denen er keine einzige Trommel verkauft. Für diesen Fall hat er sich ein zweites Standbein aufgebaut und zeigt Touristen seinen Heimatort.

Dann hebt der Trommelbauer vorsichtig ein mit Fell bespanntes Tongefäß hoch, das vor den großen Tam-Tams steht. Holz hin oder her: „Eigentlich ist das die Urform des Tam-Tams“, gibt er zu und hält die zerbrechliche Tontrommel in die Luft. Wann seine Vorfahren entschieden haben, statt Ton Holz zu nehmen, weiß Loviton nicht. Bei einem ist er allerdings ganz sicher: Für die Touristen von heute ist ein stabiles Tam-Tam aus Holz viel praktischer.
 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2012: Holz: Sägen am eigenen Ast
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