Schlechtes Zeugnis für Europa

Friedensgutachten: Forscher kritisieren Afrikapolitik
Friedensgutachten: Forscher kritisieren Afrikapolitik

Die führenden Friedensforscher Deutschlands stellen der Europäischen Union (EU) ein Armutszeugnis im Umgang mit jüngeren Konflikten aus – auf dem eigenen Kontinent wie im benachbarten Afrika und Syrien. Sie dürfe sich nicht länger mit einem ungenügenden Instrumentarium zur Verhütung und Bewältigung von Konflikten begnügen, fordern sie im Friedensgutachten 2014, das am 3. Juni in Berlin vorgestellt wurde. Um die Not der Syrien-Flüchtlinge zu lindern, solle Deutschland 200.000 von ihnen aufnehmen.

Das Friedensgutachten wird  jährlich von fünf Friedensforschungsinstituten herausgegeben und ist seit 27 Jahren der „zentrale Ort“, an dem sie gemeinsam ausgearbeitete Positionen an die deutsche Politik herantragen. So forderte Ines-Jacqueline Werkner von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) mit Blick auf die Ukraine-Krise, entweder müsse eine „wiederbelebte“ Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das zerrüttete Verhältnis der EU zu Russland kitten helfen, oder man besinne sich auf unvollendete Pläne für eine gesamteuropäische Sicherheitspolitik, die Moskau einbinde. Die EU möge von der Konfrontation mit Russland überfordert sein. Aber: „Russland gehört dazu“, betonte Werkner.

Die Einrichtung von runden Tischen zur Versöhnung der gespaltenen Ukraine begrüßten die Friedensgutachter. Zusätzlich seien regionale Initiativen notwendig. „Und auch der OSZE-Vorsitzende gehört mit an den Tisch“, forderte Marc von Boemcken vom Bonn International Center for Conversion (BICC). Vorrangig sollte jedoch eine Kontaktgruppe zur Stabilisierung der Lage gebildet werden, der neben den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und der Ukraine auch Polen und Deutschland angehören. In der gegenwärtigen Situation müsse man auf Dialog, Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle setzen, heißt es in dem Gutachten. „Die EU muss alles tun, um eine Vertiefung der Grenzen in Europa bis hin zu einer neuen Blockbildung zu verhindern.“

Die Hoffnungen auf eine diplomatische Lösung für den Krieg in Syrien sind äußerst gedämpft. Nach Einschätzung von Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) hat die Beseitigung der Chemiewaffen zwar einen Gefahrenherd beseitigt, zugleich sei aber das Regime von Baschar al-Assad gefestigt worden. Derzeit könne der Westen höchstens an humanitäre Luftbrücken denken. Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) plädierte hingegen dafür, dass Deutschland auf den Iran einwirke, der über die Hisbollah an dem Konflikt beteiligt ist. Auch Partnerländer wie Südafrika und Brasilien könnten gebeten werden, in Moskau Einfluss zu nehmen.

In Afrika handele die deutsche Außenpolitik zu unüberlegt

Um die humanitäre Katastrophe zu lindern, fordern die Gutachter vor allem größere Offenheit für Flüchtlinge. „Die Zahl von 200.000 ist gerechtfertigt und realistisch in Bezug auf die Größe und außenpolitische Stellung, die Deutschland einnehmen will“, sagte Janet Kursawe vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF). „Das sind etwa zehn Prozent der Syrien-Flüchtlinge.“ Den Einwand, dass die Bereitschaft, mehr Syrer aufzunehmen nur den Druck auf den schon überforderten benachbarten Libanon erhöhe, ließ Kursawe nicht gelten. Es müssten auch Syrien-Flüchtlinge aus den umliegenden Staaten aufgenommen werden – etwa aus Ägypten, wo sie zunehmend als Verbündete der Muslimbrüder angefeindet würden. Man müsse verhindern, dass sich der Schwelbrand zum Flächenbrand ausweite.

In Afrika handelt die europäische wie die deutsche Außenpolitik nach Meinung der Gutachter zu unüberlegt. Zwar versuche sie, künftigen Militärinterventionen auszuweichen, indem sie afrikanische Militärs und Polizisten „ertüchtigen wolle“. Der EU fehle jedoch eine politische Strategie – gerade für Einsätze in Staaten wie Mali oder der Zentralafrikanischen Republik, die selbst keine Strategien hätten, wie sie mit Zerrissenheit und der Abwesenheit zentraler Kontrolle umgeben. Als problematisch bewertete Johannsen die Rolle Frankreichs. Wer vor allem Rohstoffe und Schmuggelrouten kontrollieren wolle, suche nicht zwangsläufig nach einer politischen Lösung.

Marina Zapf

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