Mit Fakten gegen Verschwörungstheorien

Keine andere Terrororganisation ist so schnell so bekannt geworden wie der Islamische Staat (IS). Zwei jordanische Islamismus-Experten beschreiben detailreich und analytisch seine Entstehungsgeschichte. 

Mit der Blitzeroberung von Mosul im Juni 2014 und den damit einhergehenden, professionell in Szene gesetzten und in Windeseile über Internet verbreiteten Grausamkeiten hat die Terrormiliz es fast über Nacht in die Schlagzeilen internationaler Medien gebracht. Genauso schnell stand auch die Frage im Raum, wer an dieser Entwicklung schuld ist. In arabischen Gesellschaften tauchen dazu gerne Antworten aus dem Reich der Verschwörungstheorien auf. Mal soll der Iran dahinterstecken, dann ist der IS ein rein US-amerikanisches Produkt, und manche machen den israelischen Mossad als eigentlichen Drahtzieher der Entwicklung aus. Mit der arabischen Kultur, da sind sich derlei Verschwörungstheoretiker einig, kann eine solch  bestialische Miliz auf keinen Fall etwas zu tun haben.

Dieser Meinung sind die beiden jordanischen Islamismus-Experten Mohammad Abu Rumman und Hassan Abu Hanieh nicht. Sie haben ein sehr sachliches und kluges Buch vorgelegt, in dem sie den IS als eine zuallererst aus der Gesellschaft selbst kommende Aggression beschreiben. Mit „IS und Al-Qaida“ wenden sie sich in erster Linie an ein arabisches Publikum. Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Jordanien und im Irak hat den beiden Sozialwissenschaftlern den Auftrag für dieses Buch gegeben. Dass der Dietz-Verlag nun auch eine deutsche Übersetzung ermöglicht hat, ist lobenswert. Solche gleichermaßen detailreichen wie analytisch sauberen Erklärungen zum IS, seiner Ideologie, Entstehungsgeschichte und seinem Verhältnis zum Al-Qaida-Netzwerk gibt es nur wenige.

Gleich zu Beginn ihres Buches räumen die Autoren mit dem Trugschluss auf, dass der IS quasi über Nacht entstanden sein soll. Vielmehr sei er das Ergebnis eines langen Vorlaufs seit 2003. Mit dem Sieg der amerikanischen Truppen über Saddam Hussein und der Auflösung der irakischen Armee sei ein Machtvakuum entstanden, in dem die Terrormiliz ihren Ursprung hat.

Die ersten Anführer hatten noch Osama bin Laden die Treue geschworen und unter dem Namen Al-Qaida im Irak (AQI) dem amerikanischen Feind den Kampf angesagt. An der Frage, ob es einen eigenen islamischen Staat zum Schutz der sunnitischen Bevölkerung im Irak braucht, zerbrach aber dann die Koalition. Aus AQI wurde der Islamische Staat im Irak (ISI), der fortan seine eigenen Wege ging und sich später Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) nannte. Seit der Ausrufung des Kalifats im Juni 2014 firmiert er schließlich nur noch unter dem Namen Islamischer Staat (IS).

Es ist ein Verdienst der Autoren, dass sie nicht nur Aufbau, Ideologie und Strategie des Islamischen Staats in den Blick nehmen. Sie erklären auch, warum sich Al-Qaida und IS, von denen man annehmen könnte, dass sie eigentlich Brüder im Geiste sind, heute feindlich gesonnen sind. Wer hatte sich nicht gewundert, als zum ersten Mal Nachrichten aus Syrien kamen, dass sich die Nusra-Front (der syrische Al-Qaida-Ableger) und der IS  bekämpften? Abu Rumman und Abu Hanieh zeigen auf, wie neben strategischen Differenzen vor allem Machtansprüche und Eitelkeiten der Hauptdrahtzieher schließlich zum Bruch führten.

Das Buch ist detailreich und keine leichte Kost. Die Autoren ziehen immer wieder Querverbindungen zwischen Namen, Jahreszahlen und Ereignissen, die vor allem für den arabischen Raum wichtig sind. Wohl dem, dem diese einigermaßen geläufig sind. Die klare Grundstruktur des Buches hilft aber zum Teil über diese Hürden hinweg. Am Ende  jedes Kapitels fassen die Autoren in einem Fazit die Hauptgedankengänge zusammen. Dass der Übersetzer Günther Orth der deutschen Ausgabe ein Personenregister hinzugefügt hat, in dem die wichtigsten Informationen über die Hauptdrahtzieher im Islamischen Staat und in Al-Qaida genannt werden, erleichtert die Lektüre zusätzlich. Das Werk ist ein hilfreicher Begleiter für jeden, der einen Weg durch das Dickicht des Dschihadismus sucht.

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