Revolution als Trauma

In dem Roman über die Revolution in Ägypten ist der Tod allgegenwärtig. Omar Robert Hamilton verbindet minutiös recherchierte Fakten und Erlebnisse mit der Geschichte zweier Liebender. Das ist bewegend, aber nichts für zart Besaitete.

Schon der erste Satz lautet: „Vor einer Stunde hat sie aufgehört, die Toten zu zählen.“ Sie, das ist Mariam. Die junge Frau und Khalil, die beiden Protagonisten des Buches, sind ein Liebespaar. Vor allem aber sind sie Aktivisten. An diesem 9. Oktober 2011 ist Mariam in der Leichenhalle eines Krankenhauses in Kairo. Es ist heiß, „Dünste steigen flüsternd vom Fleisch derer auf, die für immer zum Schweigen gebracht wurden“. Die Mutter eines der Gefallenen weint – und sieht doch auch Gutes in der Rebellion: Auf dem Tahrir sei ihr Sohn zum Leben erwacht, sagt sie.

Dennoch umweht den Tahrir-Platz, das Symbol der ägyptischen Revolution, in diesem Buch keine Revolutionsromantik. Die Euphorie der Aufständischen, die Husni Mubarak aus dem Präsidentenamt gefegt hatten, ist darin längst einem erbitterten Kampfeswillen gewichen. Der Autor dokumentiert die Schlachten rund um den Tahrir-Platz detailgenau und oftmals wie in Großaufnahme. Und immer wieder endet das blutige Geschehen in der Leichenhalle.

Die Aufständischen, die Omar Robert Hamilton beschreibt, nutzen intensiv die sozialen Medien, manche fotografieren das Sterben der Menschen und finanzieren mit dem Verkauf ihrer Aufnahmen an internationale Medien ihr Leben. Sie heizen so die Proteste an, die sich im Verlauf des Romans auch gegen den im Juni 2012 zum Staatspräsidenten gewählten Muslimbruder Mohammed Mursi richten. So fragt sich der Kriegsfotograf Hafez: „Wie viele Wellen der Empörung müssen wir noch auslösen, um den Funken der Revolution neu zu entfachen? Wie viele letzte Atemzüge werden wir noch ans atemlose Internet verhökern? Wenn der Brennstoff der Revolution der Tod ist, wie wird sie dann enden?“

Die Revolution endet für die jungen Revolutionäre nicht gut. Erst im April ist Abd al-Fattah as-Sisi, der 2013 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen ist und  2014 die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, wiedergewählt worden. Zwar reicht der Roman nicht so weit in die Gegenwart. Doch Hamilton beschreibt ausführlich, wie das ägyptische Volk 2013 Sisi als Retter vor den Muslimbrüdern feiert. Er schildert die Isolation, in die die jungen Radikalen geraten, und die Repression gegen sie. Viele landen im Gefängnis. Hafez, der den Tod so oft fotografiert hat, wird gefoltert. Er stirbt in einem Krankenhaus. Sein Körper zeigt Verbrennungen, Spuren von Peitschenhieben und Krater von ausgedrückten Zigaretten auf der Haut. Khalil – jetzt als Ich-Erzähler – ist bei ihm.

In diesem Ich-Erzähler erkennt man den Autor selbst: Beide haben ägyptisch-palästinensische Wurzeln. Khalil ist Amerikaner, Omar Robert Hamilton Brite. Wie Khalil war er als Mitglied eines Aktivisten- und Medienkollektivs an der Rebellion in Ägypten beteiligt. Die Gewalt, mit der sie niedergeschlagen wurde, beherrscht das Buch, das sicher auch einen Verarbeitungsversuch darstellt.
Mariam, die zweite Protagonistin, kämpft indessen weiter und organisiert den Widerstand gegen die Militärherrschaft sowie Solidaritätsaktionen für die Gefangenen. Während der Ich-Erzähler über das Scheitern der Revolution reflektiert und eine Zeit lang in die USA flieht, flüchtet sie sich in einen unermüdlichen Aktivismus.

Hamilton weiß Schilderungen traumatischen Erlebens mit minutiös recherchierten Fakten und präzisen Beobachtungen zu verbinden. Ein Buch, gut geschrieben und doch so schwer zu lesen.

 

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