Nicht bloß ein Opfer von Interventionen

Der französische Forscher Laurent Bonnefoy zeigt in seinem Buch über den Jemen, wie vernetzt das vorderasiatische Land international ist und welch gewichtige Rolle es für den gesamten Nahen und Mittleren Osten spielte und spielt.

Die Stärke al-Qaidas im Jemen und der Bürgerkrieg unter regionaler und internationaler Beteiligung vor allem des sunnitisch-wahhabitisch geprägten Saudi-Arabien und des schiitisch geprägten Iran haben den Eindruck erzeugt, das Land sei ein passiver Austragungsort regionaler und internationaler Konflikte. Der Autor, der vier Jahre im Jemen gelebt hat, korrigiert dieses Bild: Er lenkt die Aufmerksamkeit auf Jemens Rolle auf der internationalen Bühne. Laurent Bonnefoy blickt dabei insgesamt auf sechs Felder internationalen Austauschs: Globalisierung, Diplomatie, Handel, Migration, Kultur und militanter Islamismus.

Zunächst nimmt uns der französische Politikwissenschaftler aber mit auf eine Reise durch die jemenitische Geschichte, die eine des internationalen Austauschs ist. Die Nähe des Landes zum Horn von Afrika, die zweimalige Herrschaft des Osmanischen Reiches über große Teile des Jemen, die Rolle Ägyptens und Saudi-Arabiens in der nordjemenitischen Revolution in den 1960er Jahren, die wichtige Rolle Adens für die internationale Schifffahrt und die sozialistischen Einflüsse im Südjemen zur Zeit des Kalten Krieges machen deutlich, dass Jemens angebliche Isolation seit jeher nicht mehr war als ein Mythos.

Auch Migration, so der Autor, ist schon immer ein wichtiger Einflussfaktor im Jemen und für die Rolle des Landes in der Welt gewesen. Osama bin Ladens jemenitische Wurzeln oder die Rolle des jemenitisch-amerikanischen Predigers Anwar al-Awlaki in der internationalen Propaganda al-Qaidas haben den Jemen zu einem Schwerpunkt amerikanischer Antiterroroperationen werden lassen.

Bis heute sehen die USA das Land hauptsächlich durch diese Brille, auch wenn sich der Großteil der Gewalttaten islamistischer Gruppen im Jemen gegen den eigenen Staat und seine Verbündeten und Repräsentanten richtet. Die unversöhnliche Haltung der US-Amerikaner gegenüber diesen Terroristen, die man bis heute hauptsächlich durch Drohnen zu „eliminieren“ versucht und dabei auch immer wieder Zivilisten tötet, nehme jemenitischen Akteuren die Möglichkeit,  zusammen mit diesen stark in der Gesellschaft verwurzelten Islamisten alternative, nicht gewaltsame Lösungen zu finden.

Migration hat aber auch dazu geführt, dass verarmte jemenitische Familien mittels Geldüberweisungen ihrer Mitglieder aus dem Ausland überleben und manche für eine Zeitlang sogar eine neue Mittelschicht bilden konnten. Auch sind junge Jemeniten im Ausland in den Genuss besserer Bildungsmöglichkeiten gekommen, die sie in der Folge in den Dienst ihres Heimatlandes stellten und die in der Golfregion und darüber hinaus auch für eine neue Vernetzung von Künstlern gesorgt haben. Drei von fünf Star-of-the-Gulf-Gesangswettbewerben eines Fernsehsenders aus Dubai hat ein Jemenit gewonnen.

Heute sind die meisten der Jemeniten, denen es gelingt, ihr Land zu verlassen, Flüchtlinge. Die andauernde Gewalt im Land und die verzweifelte humanitäre und wirtschaftliche Lage werden dafür sorgen, dass das so bleibt, betont der Autor – wenn es nicht gelingt, den Krieg im Jemen zu beenden und nachhaltige Entwicklung vor den Kampf gegen den Terrorismus zu setzen. Laurent Bonnefoys Buch ist für alle diejenigen lesenswert, die jenseits der medialen Vereinfachung mehr über dieses Land erfahren wollen. Denn es öffnet die Augen für ein komplexes und faszinierendes Land mit großem Potenzial, das einst als der „glückliche Jemen“ galt. 

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