Einfühlsame Ode aus Kuba an die Humanität

In seinem sensiblen Außenseiterdrama porträtiert der kubanische Autor und Regisseur Carlos Lechuga zwei Menschen mit ideologisch konträren Positionen. Sie entdecken 1983 in Fidel Castros Kuba nach und nach, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie dachten.

Der Spielfilm von Carlos Lechuga, der 1983 in Havanna geboren wurde und in Kuba Film studierte, beginnt mit einer skurrilen Sequenz mit ab­surder Metaphorik. 1983 erhält die linientreue Landarbeiterin Santa im Osten Kubas von Jésus, dem Vorsitzenden des örtlichen Parteikomitees, den Auftrag, den Schriftsteller Andrés zu überwachen. Mit einem Stuhl marschiert sie den Berg hinauf zu der schäbigen Baracke, in die der homosexuelle Autor wegen „ideologischer Probleme“ verbannt worden ist. Die kommunistische Partei will verhindern, dass Andrés bei einem internationalen Friedensforum, das in der Nähe stattfinden soll, ausländische Delegierte oder Journalisten anspricht und gegen das Regime polemisiert. Santa setzt sich daher für drei Tage auf ihren Stuhl vor die Tür der Baracke und beobachtet argwöhnisch alles, was Andrés tut.

Der desillusionierte Dissident, der acht Jahre im Gefängnis saß und verbotenerweise heimlich an einem neuen Buch schreibt, und die alleinstehende Frau, die in einer Kooperative Rinder versorgt, haben sich zunächst nicht viel zu sagen. Das Eis bricht, als Santa am dritten Morgen Andrés schwer verletzt auffindet. Er wurde von seinem Geliebten, einem stummen Jüngling aus dem Dorf, zusammengeschlagen. Santa lässt Andrés ins Krankenhaus bringen und kümmert sich um ihn. Allmählich öffnen sich beide und erzählen von traumatischen Erlebnissen. So hat Santa ihren Sohn durch einen Verkehrsunfall verloren, während die Freunde und Kollegen von Andrés tot, ausgewandert oder mundtot gemacht sind. Die Lage eskaliert, als der Stumme der Polizei verrät, dass Andrés an einem neuen Buch arbeitet.

Obwohl die politischen Verhältnisse im kommunistisch regierten Kuba stets präsent sind und den Alltag der Protagonisten prägen, ist der zweite lange Spielfilm von Lechuga nach „Melaza“ (2013) kein plakativer Politfilm, sondern ein stilles Charakterdrama, das sich auf die aufkeimende freundschaftliche Verbindung zwischen zwei einsamen Seelen konzentriert. Was als Studie über Einsamkeit und Abgrenzung beginnt, entwickelt sich zu einer Erzählung über Barmherzigkeit und Solidarität und mündet in ein filmisches Plädoyer für Emanzipation und Versöhnung.

Ein Großteil der Handlung spielt in Andrés Baracke, die Kamera führt uns nur gelegentlich ins ärmliche Dorf und über grüne Berghänge zur steinigen Küste. Die kammerspielartige Inszenierung kommt mit wenigen Dialogen aus und wird vor allem von den Theaterschauspielern Lola Amores und Eduardo Martínez, getragen, die hier erstmals in einem Spielfilm mitwirken und ihre gebrochenen Figuren eindrucksvoll verkörpern. Dank ihrer Leistungen lassen sich einige Längen vor allem im zweiten Drittel des Films verschmerzen.

Andrés, der als Homosexueller und Dissident als Doppelopfer figuriert, bleibt – bis auf die finale Entscheidung über seinen Lebensweg – eher eine sta­tische Figur. Santa aber durchläuft folgenreiche Lernprozesse und wird somit für den Zuschauer die interessantere Gestalt. Mit sparsamer Mimik und kleinen Gesten gelingt es Amores, darzustellen, wie sie allmählich die Diffamierung des Autors durch Partei und Behörden durchschaut, wie in ihr Zweifel an der Richtigkeit der Parteilinie erwachen und wie sie sich schließlich einer demütigenden Forderung von Jésus, dem Vorsitzenden des Parteikomitees, widersetzt.

Obwohl das kubanische Filminstitut ICAIC den Film kofinanziert und das Drehbuch 2014/15 drei Preise erhalten hat, wurde „Santa y Andrés“ 2016 aufgrund seiner klaren Darstellung staatlicher Repressionsmechanismen vom offiziellen Wettbewerb des Festivals von Havanna ausgeschlossen. Auf internationalen Filmfestivals gewann die Koproduktion von Kuba, Frankreich und Kolumbien mehrere Auszeichnungen, darunter den Preis für den besten Film auf dem Festival im mexikanischen Guadalajara 2017.

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