Unermüdliche Wahrheitssucherin

Mexiko zählt zu den lebensgefährlichsten Ländern für Journalisten. Die mexikanische Dokumentarfilmerin Juliana Fanjul porträtiert ihre Landsfrau, die Radiojournalistin Carmen Aristegui, die gegen Zensur, Schikanen und Todesdrohungen anarbeitet.

Silence Radio. Regie: Juliana Fanjul, Schweiz/Mexiko 2019, 78 Minuten, Kinostart: 4. Februar
„Silence Radio“ beginnt sozusagen mit einem Ausrufezeichen: Dokumentarische Aufnahmen zeigen aufgebrachte Demonstranten, die im Mai 2017 gegen die Ermordung von Javier Valdez Cárdenas, des Gründers der Zeitung „Ríodoce“, protestieren und nach Gerechtigkeit rufen. Unter den Demonstranten ist auch Carmen Aristegui, die zu den bekanntesten Journalistinnen Mexikos gehört. Sie ist erschüttert und macht den Staat für die Gewaltwelle gegen Journalisten verantwortlich. Schon mehr als 100 Kollegen seien ermordet worden, ohne dass die Täter dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. Als Sicherheitsbeamte die Journalistin wegführen, ruft jemand: „Carmen, pass auf dich auf. Wir brauchen dich.“

Mexiko wird für Medienschaffende immer gefährlicher. Im vergangenen Jahrzehnt wurden dort 138 Journalisten ermordet, wie der Staatssekretär für Menschenrechte, Alejandro Encinas, kürzlich mitteilte. In den letzten drei Jahren nahmen die tödlichen Angriffe besonders zu: 54 Medienschaffende wurden ermordet. Seit Präsident Andrés Manuel López Obrador im Dezember 2018 das Amt übernahm, kamen 38 Journalisten ums Leben. Nur in fünf Fällen wurden die Täter ermittelt und verurteilt. Nach Angaben von Beobachtern werden viele Journalisten getötet, weil sie Korruption aufdecken oder den Banden der organisierten Kriminalität in die Quere kommen.

In einer Rückblende erfahren die Zuschauer, dass Aristegui 2014 in ihrer populären Radiosendung einen Skandal um den damaligen Staatspräsidenten Enrique Peñ a Nieto aufgedeckt hat. Er bewohnte damals mit seiner Frau eine opulente weiße Villa, die ein Konsortium als Gegenleistung für einen staatlichen Großauftrag finanzierte. Nach der Veröffentlichung wurde Carmen Aristegui von ihrem Arbeitgeber, dem privaten Radiosender MVS, zusammen mit ihrem Team entlassen. Am nächsten Tag gingen mehr als 200.000 Menschen auf die Straße und unterschrieben eine Petition, die Aristeguis Rückkehr zum Sender und das Ende der Zensur forderte. Vergebens. Auch in anderen Radiostationen fand sie keine Stelle mehr. Die mexikanische Filmemacherin Juliana Franjul traf Aristegui kurz danach und begleitete sie anschließend vier Jahre lang bei ihrer Arbeit,  insbesondere beim Aufbau einer eigenen Internet-Nachrichtensendung, die im Januar 2017 online ging.

Mithilfe von Archivmaterialien, Interviews mit Mitarbeitern und Auszügen aus sozialen Netzwerken ergründet Fanjul, wie Aristegui zu einem Symbol der Meinungs- und Pressefreiheit wurde. Sie berichtet, dass sie selbst Aristegui mehr als 20 Jahre regelmäßig im Radio gehört und dass diese ihr „politisches Bewusstsein geprägt“ hat. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für die tapfere Frau, die wie sie als Tochter spanischer Flüchtlinge in Mexiko geboren wurde und im Film einmal sagt, dass unter solchen Umständen Optimismus eine moralische Pflicht sei.

Die filmische Hommage, die Aristeguis Privatleben aus Sicherheitsgründen weitgehend ausblendet, schildert ausführlich deren langwierigen Kampf für das Recht, ihre Zuhörer unabhängig zu informieren. So analysiert die Journalistin weiter die Zustände in einem Land, das von Drogenkriminalität und Korruption bis in hohe politische Kreise gelähmt wird.

Dafür zahlt Aristegui einen hohen Preis, etwa wenn Unbekannte in die Redaktion einbrechen, Behörden oder Unternehmen sie mit Gerichtsprozessen überziehen und staatliche Stellen sie, ihre Mitarbeiter und sogar ihren Sohn im Ausland mit dem Überwachungssystem Pegasus ausspionieren. 

Dass Aristeguis Engagement nicht vergeblich ist, zeigt der Abspann. Dort heißt es, dass ihre Sendung nach der Wahlniederlage der PRI im Juli 2018 dank der Kooperation mit einer nationalen Rundfunkstation auch wieder übers Radio zu empfangen ist.

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