Poetische Stimmen aus dem Exil

PEN (Hg.): In der nie endenden bernsteinfarbenen Nacht. Stimmen aus dem Exil. Kursbuch Kulturstiftung, Hamburg 2021, 312 Seiten, 22 Euro

24 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus 15 Ländern beschreiben in diesem poetischen und auch aufrüttelnden Sammelband, wie sie Heimat und Exil erleben.

Alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes haben mit Hilfe des „Writers-in-Exile“-Stipendiums des deutschen PEN-Zentrums einmal für ein bis drei Jahre Zuflucht in Deutschland gefunden. PEN steht dabei für die Freiheit des Wortes von „Poets, Essayists, Novelists“. In dem nunmehr vierten Sammelband der Organisation finden sich Gedichte, Erzählungen, Romanauszüge, Essays und Analysen bekannter und weniger bekannter Autoren, Journalistinnen oder Dichter. Sie kommen aus Afghanistan, China, Kamerun, Kuba oder Tunesien, die meisten aber aus Syrien und der Türkei.

Der Buchtitel entstammt der aufrüttelnden Ich-Erzählung der türkischen Schriftstellerin und Journalistin Aslı Erdoğan, in der sie wortgewaltig in symbolträchtigen Bildern eine Nacht in ihrer Stadt zeichnet: „Zu dieser zappendusteren Stunde, in der ich mir furchtbar gern einen anderen Ort oder eine andere Zeit gewünscht hätte, bin ich hier. In der Nacht, der immer selben, nie endenden, bernsteinfarbenen Nacht.“ 2016, nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei, wurde die engagierte Kolumnistin der prokurdischen Tageszeitung „Özgür Gündem“ verhaftet, weil sie angeblich die nationale Sicherheit gefährdete. Rund ein Jahr später, im September 2017, konnte sie nach Deutschland ausreisen und lebt seitdem im Exil.

Den Begriff „Exil“ unterzieht der syrische Autor Yassin al-Haj Saleh, der 16 Jahre im Gefängnis verbrachte, einer nüchtern-kühlen Analyse – welt- und zeitumspannend. Er konstatiert, Exilierung sei „zur Regel geworden als politische Maßnahme, genauer gesagt als ‚Herr‘-schaftsinstrument“. Der „Norden“ habe die „Welt in ihrer heutigen Form gestaltet“ und die wachsende Antipathie gegenüber Geflüchteten und Exilierten dort zeuge von mangelndem Verantwortungsbewusstsein dafür, dass die Weltordnung in ihrer gegenwärtigen Form Flucht verursache. 

Sehr persönliche Einblicke

Einige der insgesamt 24 Autoren steuern auch mehrere Texte bei. Spitzenreiterin ist die syrische Schriftstellerin Kholoud Charaf mit zwölf Gedichten und Kurzgeschichten, in denen immer auch Hoffnung mitschwingt. Die schreibenden Männer und Frauen geben dabei auch sehr persönliche Einblicke in Gefängnisaufenthalte, Folter und Verfolgung und in ihr Leben im Exil. So erzählt der chinesische Schriftsteller Zhou Qing in „Berliner Haschisch stinkt nach Urin“ von seinem „Gefühl des haltlosen Schwebezustandes, das mich in den über zehn Jahren, die ich nun schon in Deutschland bin, nie mehr losgelassen“ hat.

Wie Exil und Heimat, wie zwei Welten ineinandergreifen, zeigt der kubanische Autor Amir Valle, der auf seiner Website schreibt: „Ich lebe nicht mehr in Kuba: Kuba lebt in mir.“ In der PEN-Anthologie findet sich ein spannender Auszug aus seinem Roman „Im Schnee gibt es keine Ameisen“. Thema ist die verbotene Liebe zwischen einem kubanischen Übersetzer und einer Regierungsmitarbeiterin der damaligen DDR in Ostberlin, die Valle zu einem Vergleich beider „Inseln“ animiert.

So vielfältig wie ihre Herkunft ist das literarische Schaffen der Schreibenden, die mit dem melodischen Rhythmus ihrer Gedichte, fesselnder Spannung ihrer Erzählungen und messerscharfe, informative Analysen überzeugen.

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