Gewalt am Anfang der Lieferkette

Johannes Thomas Seoka: Marikana – eine offene Wunde. Der Kampf für gerechte Löhne und Entschädigung nach dem Massaker von 2012. Kirchliche Arbeitsstelle südliches Afrika (KASA), Heidelberg 2022, 151 Seiten, kostenlos als E-Book oder in Printversion erhältlich

In seinem Buch erinnert der südafrikanische Bischof Johannes Thomas Seoka an die blutige Niederschlagung des Arbeiterstreiks im Platinbergbau von Marikana vor zehn Jahren. 

Das Schlagwort „Marikana“ erschüttert Südafrika bis heute. Es steht für beispiellose Polizeigewalt nach dem Ende der Apartheid: Bei einem Polizeieinsatz im August 2012 nahe einer Platinmine nordwestlich von Johannesburg töteten Polizisten 34 streikende Arbeiter mit Schnellfeuerwaffen und schossen 78 an – zumeist von hinten. Die südafrikanische Gesellschaft war schockiert, weil sie solch ein brutales Vorgehen bis dato nur vom rassistischen Apartheid­regime kannte. Der frühere anglikanische Bischof Johannes Thomas Seoka, der damals für die Region zuständig war und auch den südafrikanischen Kirchenrat leitete, wirft der Regierung in seinem nun auch auf Deutsch vorliegenden Buch über das Massaker vor, die Profitinteressen der Minengesellschaft Lonmin über berechtigte Anliegen der Bergleute auf menschenwürdigen Lohn gestellt zu haben.

Wer sich auf seine Augenzeugenchronik einlässt, erfährt viel über die begrenzten Möglichkeiten dieses Kirchenvertreters, der als Vermittler das Massaker zu verhindern versuchte. Gegenüber entscheidenden Politikern und Aufsichtsratsmitgliedern des Minenbetreibers und deren abschätziger Arroganz sowie der militärisch ausgerichteten Polizeiführung konnte er, wie er schreibt, nichts ausrichten. Gleichzeitig zieht Seoka die Lesenden in den Bann, indem er den verzweifelten und vergeblichen Hilferuf eines Streikführers beschreibt, der dann erschossen wurde. Dessen Biografie und auch die einiger seiner Mitstreiter werden im Buch skizziert, so dass die Opfer nicht auf eine Zahl beschränkt, sondern als Personen gewürdigt werden. Ebenso widmet sich der Autor den Witwen, von denen manche heute als Reinigungskräfte auf eben dem Minenareal arbeiten, vor dessen Toren ihre Männer erschossenen wurden. 

Auch der BASF-Konzern bezieht Platin aus Marikana

Bischof Seoka berichtet auch über weitere Streiks, die rund um das Massaker von Marikana stattfanden. Bei einigen wirkte er als Vermittler mit. Noch 2014 kämpften die Bergleute für menschenwürdige Löhne – ihre Arbeits- und Wohnbedingungen hatten sich entgegen aller Versprechungen der Minenleitung nicht verbessert. Da auch der BASF-Konzern Platin für Autokatalysatoren aus Marikana bezieht, berichtete Bischof Seoka in den Folgejahren auf dessen Aktionärsversammlungen in Deutschland über die Misere. Hier sind die unterschiedlichen Reaktionen der Aktionäre und Firmenrepräsentanten lesenswert.

Der Bischof kritisiert aber nicht nur die Konzerne. Er moniert auch die Konflikte in und zwischen zwei konkurrierenden Gewerkschaften, die teilweise gewaltsam und mit Todesopfern ausgetragen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Schweigen vieler südafrikanischer Kirchenvertreter, die sich kaum für eine Konfliktdeeskalation eingesetzt hätten. Schließlich gibt Seoka zu bedenken, dass die Bench Marks Foundation, eine kirchliche Stiftung für Unternehmensverantwortung, schon lange vor dem Massaker detaillierte Studien zur Problemlage der Bergleute erstellt und Änderungen gefordert hatte. Ein facettenreiches und lesenswertes Buch, nicht nur für Südafrikainteressierte und Umweltbewegte.

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