Respekt vor den Träumen Algeriens

Andrew G. Farrand: The Algerian Dream. Youth and the Quest for Dignity. New Degree Press, Potomac, MD 2021, 394 Seiten, 21,99 Euro

Der Sturz des Bouteflika-Regimes von 2019 hat Algerien verändert. Der MENA-Experte Andrew G. Farrand hat ein gut lesbares Sachbuch vorgelegt, das mit persönlichen Anekdoten, lebendige Beschreibungen sowie einer faktenreichen Aufarbeitung der jüngsten Geschichte überzeugt.

Dieses Buch war längst überfällig. Zur jüngsten algerischen Geschichte – der friedlichen Revolution von 2019, dem Rücktritt von Präsident Bouteflika und den neuen Repressionen – gibt es in Europa – und selbst in Frankreich – wenig Medienberichte, geschweige denn Literatur. Umso wichtiger ist das Buch des US-Amerikaners Andrew G. Farrand, das diese Lücke schließt. Darin stellt er die politische und wirtschaftliche Situation Algeriens dar, widmet sich aber auch Themen wie Identität und Zugehörigkeit, Kultur, Umwelt und Gesundheit. Besonderes Augenmerk legt er auf die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zwischen 2012 und 2021. Auch fragt er nach der Zukunft der Revolutionsbewegung Hirak (arabisch für „Bewegung“), die heute düsterer erscheint denn je. 

Farrand hat mehrere Jahre in Algerien gelebt, und seinem Buch merkt man an, dass er das Land und seine Menschen liebt. So beschreibt er die Anfänge des Hirak und seine weitere Entwicklung auch aus seiner persönlichen Beobachtung heraus. Farrand nimmt die Lesenden mit auf Demonstrationen, lässt sie an den Träumen und Hoffnungen der Revolutionäre ebenso teilhaben wie an deren Frustration angesichts der Übermacht und Wandlungsunfähigkeit der herrschenden politischen Klasse. Und er gibt all jenen im Land eine Stimme, die mit ihren Forderungen nach Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit in Europa schlicht ignoriert werden. 

Die Jugend hört nicht auf zu träumen

Die Beschreibungen von Menschen bleiben nach der Lektüre besonders in Erinnerung. Etwa der Studentin Meriem, die sagt: „Wir wissen, dass es ein langer und harter Kampf wird. Aber wir möchten frei sein und mit Würde leben können – hier in unserem Land.“ 

Farrand ist nicht naiv, er deckt die Schwächen des Hirak durchaus auf – Uneinigkeit in Bezug auf Führungspersönlichkeiten, fehlende politische Ziele, die über den Sturz des Bouteflika-Regimes hinausgehen, unklare organisatorische Strukturen. Dennoch bleibt er vorsichtig optimistisch. „Algerien ist auch ein Land, das von dem weit verbreiteten Glauben beseelt ist, dass die Enttäuschung überwunden und das Potenzial ausgeschöpft werden kann und dass Algerien wieder ein fruchtbarer Boden für die Träume der Jugend werden kann“, schreibt er.    

Immerhin ist fast zwei Drittel der algerischen Bevölkerung jünger als 35 Jahre. Dieses Buch hilft, die algerische Mentalität besser zu verstehen, und zollt dem Bestreben der Algerier nach einem Leben in Würde Respekt. 

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