Auf der Suche nach einem Neuanfang in ihrem Leben stoßen die Protagonistinnen von Claudia Piñeiros Roman "Die Zeit der Fliegen" auf Schatten der Vergangenheit und decken ein Mordkomplott auf. Dabei erfährt man viel über Feminismus und die Rolle der Frau in Argentinien.
Dieser spannende und humorvolle Roman der argentinischen Autorin Claudia Piñeiro ist Krimi und Gesellschaftsroman zugleich. Erzählt wird die Geschichte von Inés, die 15 Jahre in Haft saß, weil sie die Geliebte ihres Mannes umgebracht hat. Zusammen mit der Drogendealerin Manca, mit der sie sich im Gefängnis angefreundet hat und die kurz nach ihr entlassen wird, gründet sie das Unternehmen FFF: Frauen, Fliegen, Finale – ökologische Schädlingsbekämpfung und Privatdetektei, von Frauen für Frauen.
Als die reiche Kundin Susana Bonar sich von Kammerjägerin Inés Pflanzengift besorgen lassen will, um damit die Geliebte ihres Mannes zu töten, ist das den beiden Freundinnen unheimlich. Sie fragen sich, warum Susana Bonar gerade Inés anspricht, und sind misstrauisch. Aber sie wollen das Geld, denn Manca braucht eine teure Brustkrebs-Operation und der korrupte Arzt verlangt viel Geld. Privatdetektivin Manca ermittelt, dass Señora Bonar gar keinen Mann hat und zudem mit Inés’ Tochter Laura in Verbindung steht. Die Ereignisse überschlagen sich, doch das Ende ist versöhnlich – mehr sei nicht verraten.
Der Roman umfasst 45 Kapitel, die mal die Krimihandlung aus Erzählperspektive, mal Gedanken der Protagonistinnen zu Frauenfreundschaft oder Eltern-Kind-Beziehungen beleuchten. Einzelne Themen werden, eingeleitet durch Zitate aus Euripides’ „Medea“, von einem „Chor“ aufgegriffen, der aus einer Versammlung von Feministinnen besteht. Diese blicken in sieben Kapiteln auf einzelne Aspekte der Romanhandlung und diskutieren sie. Auch Stimmen, die Piñeiro den Werken der US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Judith Butler, der deutschen Soziologin Maria Mies oder der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras entnimmt, äußern sich zu Sexualität und Frauenkörper, Mutterschaft, Geschlechterfreiheit und Transsexualität. Dabei sind nicht nur die Themen feministisch, sondern auch die Sprache: Es gibt Gendersternchen und „frau“ statt „man“ – damit „sind Männer mitgemeint“.
Inés hat im Gefängnis ein besonderes Interesse für Fliegen entwickelt
Als es um Fliegen und Zeit geht, erschließt sich auch Piñeiros Titelwahl: Inés hat im Gefängnis ein besonderes Interesse für Fliegen entwickelt und viel über sie gelesen, was ihr hilft, sich „neu zu erfinden“. Ihre Gedanken und ihr Wissen über Insekten teilt sie mit den Lesenden. Eine Sekunde etwa dauere für eine Fliege viermal so lang wie für einen Menschen, deshalb habe sie mehr Zeit zum Nachdenken und um Fehler zu vermeiden: „Die Welt wäre eine andere, wenn wir alle die Zeit der Fliegen hätten.“
Das spanische Original des Romans erschien 2022, als Argentinien noch ein Ministerium für Frauen, Gender und Diversität hatte, das Präsident Javier Milei inzwischen abgeschafft hat. So zeugt Piñeiros ebenso feministische wie kunstvoll spannende Geschichte auch von einer vergangenen Epoche – gut zu lesen und sehr informativ.
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