Religion und Entwicklung: Wege aus der Tabuzone

 

Esther Imhof
Entwicklungszusammenarbeit und Religion.
Fallstudie und ethische Reflexion zu einem angespannten Verhältnis
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2012, 160 Seiten, 24,90 Euro

Um religiöse Fragen haben Fachleute der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) lange Zeit einen großen Bogen gemacht. Erst seit einem guten Jahrzehnt hat vor allem im angelsächsischen Raum ein Umdenken eingesetzt. Ganz anders stellt sich die Situation in einem Land wie Nigeria dar, das Imhof für den empirischen Teil ihrer Studie gewählt hat. Religion aus dem öffentlichen Bereich zu verbannen, ist nicht vorstellbar. Zwar spielen Konflikte zwischen Islam und Christentum im Ringen um gesellschaftlichen Einfluss eine große Rolle. Doch es sei schlimmer, wenn ein Mensch keine Religion habe, als wenn er zur rivalisierenden Glaubensgemeinschaft gehört, erklärt die Autorin.

Wie sich das grundverschiedene Verständnis des Religiösen in der EZA-Praxis auswirkt, untersucht sie anhand eines Dorfentwicklungsprojekts der Nigerianischen Brüderkirche (EYN), das vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) unterstützt wird. Imhof kommt zum Schluss, dass sich das Projekt an der Schnittstelle zwischen europäischen Geldgebern und einheimischer Kirche zu einer „hybriden Organisation“ entwickle, die den Spagat zwischen unterschiedlichen Ansprüchen bewältigen muss. Ist sie aus Sicht der EYN in erster Linie dazu da, Menschen dem christlichen Glauben zuzuführen, so muss nach EED-Auflagen jeglicher Anschein von Mission vermieden werden.

Die Autorin skizziert die große Spannbreite religiöser Einstellungen, die sich entlang der Förderkette zwischen westlichen Geldgebern zur lokalen Bevölkerung auftut. Sie arbeitet die unterschiedliche Gewichtung identitätsbildender religiöser Faktoren heraus: Der Bau einer prachtvollen Kirche kann selbst von Dorfentwicklungsberatern für wichtiger gehalten werden als die Gesundheitsversorgung. Imhofs Studie erfasst zentrale Konfliktpotenziale der EZA, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen „einem säkularen und einem nicht-säkularen Kulturkreis“ ergeben. Ihr angesichts der Berichte über religiös konnotierte Konflikte bemerkenswertes Fazit: Für die Nigerianer schließen sich die Missionsidee und eine Haltung des Respekts gegenüber Menschen anderer Religionszugehörigkeit nicht gegenseitig aus.

Im zweiten Teil des Buchs reflektiert Imhof aus ethischer Sicht, welche Anforderungen sich daraus für eine Entwicklungszusammenarbeit ergeben, die an Partnerschaft orientiert und für unterschiedliche Wertungen des Religiösen offen ist. Dabei lehnt sie normative ethische Grundsätze ab, die oft den Blick auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kontexts verstellen. Sie fordert zudem eine selbstkritische Überprüfung der eigenen, angeblich wert- und religionsfreien westlichen Standpunkte. Ausgespart bleibt leider, wie diese Herausforderung von den Geberinstitutionen aufgenommen wird.

Die Rede von „Kulturkreisen“ erweckt ferner den Anschein hermetisch geschlossener Kulturräume und wird der interkulturellen Herangehensweise der Autorin nicht ganz gerecht, die zu Recht im Blick auf Entwicklungswege für ein Verständnis „multipler Modernitäten“ eintritt. Es ist das Verdienst des Buches, dass es nicht nur die oft genannte Ambivalenz, also die Entwicklung behindernde oder fördernde Religion, sondern eine Polyvalenz religiöser Faktoren in der EZA hervorkehrt. Imhofs Denkanstöße an die Adresse der westlichen Entwicklungsakteure verdienen Beachtung. (Beat Dietschy)

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