Zum Vorteil beider Seiten

Die großen deutschen Kirchen sind neben den politischen Stiftungen die einzigen Organisationen, die vom Staat pauschale Zuschüsse für ihre Entwicklungsarbeit bekommen. Beide Seiten betonen, dass diese besondere Zusammenarbeit auf der Eigenständigkeit der kirchlichen Arbeit beruht und sich in nunmehr einem halben Jahrhundert bewährt hat.

Ein Jubiläum steht an: Seit 50 Jahren unterstützt die Bundesregierung die Entwicklungsarbeit der Kirchen. 1962 wurden für diese Zusammenarbeit die Evangelische und die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe gegründet – kurz EZE beziehungsweise KZE. Die Geschäfte der KZE nimmt Misereor wahr, die der EZE der Evangelische Entwicklungsdienst (EED).

Allem gesellschaftlichen Wertewandel zum Trotz tragen die Grundgedanken, aus denen heraus unter Bundeskanzler Adenauer die Förderung der kirchlichen Entwicklungsarbeit beschlossen wurde, bis heute, erklärt Claudia Warning vom EED-Vorstand: „Was in der Kabinettsitzung vor über 50 Jahren gesagt wurde, als die Zusammenarbeit Kirchen-Staat entschieden wurde, das gilt nach wie vor: Was kann die Kirche besser als wir? Sie hat ein weltweites Partnernetz, kommt an die Armen heran und kann mit über lange Zeit aufgebauten Partnerschaften arbeiten. Das kann der Staat nicht, also geben wir denen Mittel.“

Autorin

Anja Ruf

ist freie Journalistin in Frankfurt am Main und betreut für "welt-sichten" die Dossiers.

Um Kleingeld handelt es sich dabei nicht: Im Jahr 2010 erhielten Misereor und der EED aus dem Kirchentitel des BMZ jeweils gut 102 Millionen Euro; dazu kommen weitere Mittel etwa für den Zivilen Friedensdienst oder den Freiwilligendienst „weltwärts“. Die Summe ist über die Jahre mehr oder weniger stetig gestiegen. Die beiden großen Kirchen sind aber auch die Institutionen, die in Deutschland am meisten Geld für Entwicklungsarbeit selbst aufbringen – aus Spenden, Kirchensteuern und Zuwendungen –, sagt der Beauftragte der Evangelischen Kirche bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg. Der Rückhalt in Gemeinden und unter Engagierten in den Kirchen sei für die kirchliche Entwicklungsarbeit entscheidend.

Missionsarbeit wird nicht gefördert

Zu den tragenden Pfeilern der Konstruktion gehört, dass die kirchlichen Werke eigenständig sind. Sie beantragen nicht die Förderung einzelner Projekte, sondern erhalten den Zuschuss pauschal und bestimmen mit ihren Partnern selbst das Projektprogramm – die Verwendung der Mittel wird dann für alle Projekte abgerechnet. Die einzige Bedingung: Es werden keine Vorhaben mit missionarischem Charakter gefördert. Die Kirchen sprechen mit dem Ministerium und dem Parlament Leitlinien ihrer Arbeit ab, unterliegen aber keinen politischen Auflagen. Das soll auch so bleiben, erklären alle Seiten.

Die Stärke der kirchlichen Entwicklungsarbeit liegt laut Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon darin, die Armutsbekämpfung auf der lokalen Ebene wirksam mit globaler Strukturpolitik zu verbinden. Das heißt zum Beispiel, mit westafrikanischen Milchbäuerinnen an der Stärkung ihrer Produktion zu arbeiten und zugleich auf die EU-Agrarmarktpolitik einzuwirken und die Welthandelsordnung zu thematisieren. Oder über Friedensdörfer in Kolumbien Menschenrechtsschutz zu gewährleisten und zugleich in Brüssel oder in Berlin politisch zu intervenieren. Diese Anwaltschaft hat im Laufe der 50 Jahre Zusammenarbeit an Gewicht gewonnen.

Sie mag für die Bundesregierung manchmal unbequem sein, belastet aber laut dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) nicht das Vertrauen zu den Kirchen. Debatten mit den Kirchen seien wichtig, sagt BMZ-Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz. Ein weiterer Vorteil der Kooperation aus der Sicht des Staatssekretärs: „Kirchen können in Ländern bleiben, wo die staatliche Zusammenarbeit rausgehen muss – etwa wo der Staat fragil ist oder Despoten ihre Macht missbrauchen.“

Missverständnisse sind nicht ausgeschlossen

Eine Kooperation also zum beiderseitigen Vorteil. Das schließt Missverständnisse nicht aus. Bröckelmann-Simon: „Das Missverständnis, dass wir Länderprogramme entwickeln und umsetzen, begegnet einem im BMZ immer wieder. Wir arbeiten aber nicht mit Ländern zusammen, sondern mit Menschen und Partnerorganisationen. Was gefördert wird, entsteht immer in einem Dialog aus dem, was sie uns vorschlagen. Wir versuchen allerdings, eine sinnvolle Verknüpfung zwischen den einzelnen Initiativen herzustellen. Das ist ganz etwas anderes, als zu sagen: Gucken wir mal, was wir in Kenia machen können. Wir wollen 50 Brunnen bauen, und diese und jene sollen das tun.“ Die Partnerorganisationen müssten aller-dings zum kirchlichen Auftrag passen und bestimmten Qualitätsansprüchen entsprechen. Man müsse mit den Partnern Debatten darüber führen können, ob vorgeschlagene Projekte wirklich zukunft strächtig sind, sagt Bröckelmann-Simon.

Wie in jeder Beziehung knirscht es auch in der Partnerschaft zwischen den kirchlichen Werken und dem BMZ ab und an: „Das gibt es immer mal wieder, dass man sich mehr oder weniger öffentlich auseinandersetzt“, sagt Claudia Warning – aber „bisher immer in einem vernünftigen Ton“. Sachdebatten seien nötig. „Sie beziehen sich manchmal auf die Förderung in bestimmten Ländern; über die Haltung des BMZ zu China gab es zum Beispiel Diskussionen mit uns.“ Das Ministerium hat 2010 seine Zusammenarbeit mit Peking beendet, was unter anderem wegen der noch immer hohen Zahl von absolut Armen in der Volksrepublik auf Kritik aus den Kirchen gestoßen ist.

Der Respekt für die Eigenständigkeit kirchlicher und anderer nichtstaatlicher Entwicklungsorganisationen (NGOs) ist international nicht selbstverständlich. Martin Bröckelmann-Simon sagt, international sei der Trend zu beobachten, dass man NGOs und auch kirchliche Organisationen „als Durchführer missversteht: Der staatliche Auftraggeber legt fest, was zu tun ist, und NGOs oder Kirchen sollen das dann möglichst effizient, armenorientiert und kostengünstig umsetzen. Das ist weiß Gott nicht unser Selbstverständnis und war auch nie Grundlage der Kooperation mit der Bundesregierung.“ Darin sind Misereor und der Evangelische Entwicklungsdienst sich einig. Das 50-jährige Jubiläum ist für sie wie für das BMZ auch eine Feier des Subsidiaritätsprinzips.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik
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