„Alleine können wir Christen nichts bewegen“

Als Parlamentsabgeordneter hat Freddy Elbaiady noch vor kurzem öffentlich den Rücktritt von Premierminister und Innenminister gefordert. Nun hat er sein Amt niedergelegt, um gegen Präsident Mursi zu protestieren. Als Arzt kümmert sich der ägyptische Christ seit Jahren um eine gute Gesundheitsversorgung für die arme muslimische Bevölkerung in seiner Heimatstadt El-Qanatir.

Herr Elbaiady, Sie sind nicht nur Arzt, sondern auch politisch engagiert. Im Dezember 2012 wurden Sie in den Schura-Rat, das parlamentarische Oberhaus, berufen. Was haben Sie damals gedacht, als Sie davon erfahren haben?
Zuerst dachte ich, dass ich ablehnen muss. Was kann ich schon in einem Gremium bewirken, in dem fast 90 Prozent Islamisten sitzen? Unter den 270 Mitgliedern sind zwölf Christen. Klar, dass die Christen dort nur Dekoration sind. Aber wenn ich abgelehnt hätte, hätten sie einen anderen Christen gefunden.

Was haben Ihre Freunde Ihnen damals geraten?
Manche konnten meine Entscheidung nicht verstehen. Andere rieten mir, ich solle doch an meine politische Zukunft denken und mich nicht jetzt in die Politik begeben, vielleicht später, wenn das Regime der Muslimbrüder Geschichte sein sollte. Aber mir ist meine persönliche Zukunft egal. Ich möchte meinem Land so gut wie möglich helfen, gerade in einer Zeit, in der das nötig ist.

Konnten Sie als Mitglied im Schura-Rat überhaupt etwas bewirken?
Nach den Angriffen auf die Kathedrale in Kairo Anfang April habe ich öffentlich den Rücktritt des Premierministers und des Innenministers gefordert. Ich habe im Schura-Rat ein Video von den Angriffen gezeigt. Darin wird deutlich, dass die Polizei nichts gegen die Angreifer unternommen hat. Selbst Leute mit Schusswaffen und Messern in der Hand konnten ungehindert an den untätigen Polizisten vorbeilaufen.

Haben Sie Angst um Ihre persönliche Sicherheit?
Ich habe Drohungen auf Facebook bekommen. Aber ich mache mir nichts daraus. Einige Leute haben mich gedrängt, eine Schusswaffe zu tragen. Doch das kommt für mich nicht in Frage. Ich glaube, dass Gott mich besonders beschützt.

Wie sehen Sie die nähere Zukunft Ägyptens?
Es wird noch mehr Spannungen und Gewalt geben. Aber in zehn Jahren könnte die Situation in Ägypten besser sein. Vielleicht wird das Land dann einen moderaten islamischen Hintergrund haben. Derzeit haben die Muslimbrüder 100 Prozent der Macht. Sie haben keine Entschuldigung mehr für ein Scheitern und sie sind gerade dabei zu scheitern. Sie werden ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Die Unterstützung in der Bevölkerung lässt bereits nach. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie die nächsten Wahlen tatsächlich verlieren werden. Sie haben viele Waffen, viel Geld und eine soziale Basis in der Bevölkerung. Der Mangel an Bildung und die Armut machen es leicht, Menschen zu kaufen. Die Muslimbrüder werden nicht so leicht wegzukriegen sein wie Mubarak.

Wie können Christen etwas verändern?
Alleine können sie gar nichts ändern. Sie müssen Teil einer Bewegung werden wie die der liberalen Muslime. Unter den zwölf Abgeordneten im Schura-Rat kam kürzlich die Idee auf, dass wir eine eigene Fraktion bilden. Ich lehne diese Idee ab. Wir müssen mit denen zusammenarbeiten, die die gleichen Interessen haben wie wir. 

Nun zu Ihrem Beruf als Arzt: Warum haben Sie 1996 das Salam Medical Center gegründet?
In der muslimischen Gesellschaft gibt es viele Vorurteile gegen uns Christen. Sie glauben, dass wir wie die Leute in den amerikanischen Filmen ständig Alkohol trinken, dass wir keine Prinzipien haben und dass wir unsere Freiheit missbrauchen. Für uns ist es schwierig, öffentlich über unseren Glauben zu reden. Mit dem SMC können wir auf praktischem Weg zeigen, was Christsein bedeutet. Wir sind ein christliches, evangelisches Krankenhaus, das der ganzen Gesellschaft dient.

Wer sind Ihre Patienten?
Sie kommen aus der Umgebung. Viele von ihnen sind arme Muslime. In Ägypten wird das Gesundheitswesen zwar staatlich subventioniert und in öffentlichen Krankenhäusern ist die Gesundheitsversorgung kostenlos. Allerdings ist sie auch nicht sehr gut. Wer nichts zahlt, bekommt auch nichts. In privaten Krankenhäusern ist der Standard dagegen sehr hoch, die Behandlung aber teuer. Arme Leute haben in Ägypten keinen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung. SMC ist für seinen hohen Standard bekannt, und jeder muss bei uns nur das zahlen, was er kann. Manche Patienten nehmen einen Weg von 60 Kilometern auf sich. Auch reiche Leute kommen zu uns.

Inwiefern baut die Klinik Brücken zwischen Christen und Muslimen?
Einige unserer muslimischen Patienten fragen, warum wir das tun. Wir kommen dann mit ihnen ins Gespräch. Lange Zeit gab es das Gerücht, dass Christen im Silvestergottesdienst irgendwann das Licht auslöschen und sich dann alle küssen. Wir haben die Leute in unsere Kirche eingeladen, damit sie erfahren, was wir dort wirklich tun. Auch unter den Mitarbeitenden sind Muslime. Es ist sehr hilfreich für das gegenseitige Kennenlernen, wenn man zusammenarbeitet oder gemeinsam eine Kaffeepause verbringt.

Was bedeutet es für muslimische Patienten, sich von einem christlichen Doktor behandeln zu lassen?
Zu uns kommen auch Muslimbrüder und Salafisten. Einige vertrauen uns, für andere ist es schwierig.

Arme Leute haben oft keine Wahl. Haben die Muslime, die ins SMC kommen, überhaupt eine Alternative?
Es gibt in der Nähe eine Klinik, die zur Moschee gehört. Aber der Standard dort ist sehr niedrig. Selbst der Imam der Moschee kommt zu uns, wenn er krank ist.

Die Muslimbrüder sind für ihr soziales Engagement bekannt. Aus dem Ausland bekommen sie viel Geld. Sind sie auch im Einzugsgebiet des SMC aktiv?
Die Muslimbrüder haben sehr viel mehr Geld zur Verfügung als wir. Aber sie haben keine religiöse Botschaft. Sie leisten Sozialarbeit mit einem politischen Ziel. Ich habe gehört, dass sie die Moscheeklinik in der Nähe übernehmen wollen. Wenn sie dort viel Geld investieren, können sie den Standard verbessern und dann können sie auch mit uns konkurrieren.

Beunruhigt Sie das?
Ja, natürlich. Die Muslimbrüder sind sehr clever. Sie werden versuchen, unsere muslimischen Patienten und Mitarbeitenden abzuwerben. Das würde uns natürlich treffen. Aber ich glaube, dass der Bedarf an Gesundheitsfürsorge weiterhin groß sein wird.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck

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