Ausschussware für Afrika

Arzneimittel
Jedes Jahr sterben Tausende Menschen an Medikamenten, die nicht so wirken, wie sie sollen. Das größte Problem sind nicht die Fälschungen, sondern minderwertige Arzneimittel. Oft kommt der Pfusch ausgerechnet aus Indien – der Apotheke der Armen.

Wer ein Medikament nimmt, vertraut normalerweise darauf, dass es wirkt. Darauf kann man sich aber nicht immer verlassen – besonders nicht in Entwicklungsländern. Manchmal werde gefälschte Arzneimittel oder Attrappen in das Vertriebssystem eingeschleust. Die Fälscher gehen ähnlich vor wie bei gefälschten Designer-Handtaschen oder Raubkopien der neuesten Hollywood-Blockbuster: Das echte Produkt wird leidlich nachgeahmt, man stellt die Imitation in großen Mengen her und schlägt Profit aus dem Massenabsatz. Falsche Medikamente werden nicht selten über dieselben kriminellen Hintermänner vertrieben, die auch mit anderen Billigkopien handeln. Der Unterschied ist nur, dass Menschen nachgemachte Medikamente manchmal mit ihrem Leben bezahlen.

Die meisten Arzneifälschungen kursierten in den vergangenen fünfzehn Jahren von Lifestyle-Präparaten, vor allem in reichen Ländern – etwa Potenzmittel, Schmerzmittel und angstlösende Medikamente wie Valium. Seit fünf Jahren jedoch haben sich die Fälscher auf weitaus lebensbedrohlichere Fälschungen verlegt: von Medikamenten zur Behandlung von Krebs, HIV/Aids und schweren Herzerkrankungen.

Tote auch in wohlhabenden Ländern

Niemand kennt das genaue Ausmaß des Schadens, aber jedes Jahr sterben als Folge mehrere Tausend Menschen – die meisten in Entwicklungsländern, aber zunehmend auch in wohlhabenden Ländern. So starben 2008 Dutzende Amerikaner an schweren allergischen Reaktionen auf ein in China hergestelltes, gefälschtes Heparin-Produkt zur Blutverdünnung.

Die gute Nachricht ist, dass Unternehmen, Strafverfolgungsbehörden und viele nationale Arzneimittelbehörden das Problem erkannt haben und dagegen vorgehen. Sogar in Schwellenländern wie Nigeria hat der Kampf gegen den Handel mit gefälschten Medikamenten zu Erfolgen geführt. Vor fünfzehn Jahren war noch vielleicht jedes zweite Medikament auf dem nigerianischen Markt eine Fälschung, heute sind es deutlich unter zehn Prozent. Auch wenn damit immer noch viele Patienten tödliche Arzneimittel einnehmen, ist das zweifellos ein Fortschritt.
 
Ein anderes Problem mit Medikamenten ist jedoch wesentlich schwieriger in den Griff zu bekommen. Im Allgemeinen sollte man denken, dass zugelassene Pharmahersteller bemüht sind, hochwertige Produkte herzustellen. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass einige Hersteller nicht nur zu scharf kalkulieren, sondern Pfusch betreiben: Sie fertigen für Regionen, wo mindere Qualität nicht so leicht auffällt, Arzneimittel in einem separaten Produktionsverfahren.

Die Regulierungsbehörden sind unsicher, wie sie dagegen vorgehen sollen – vor allem weil indische Pharmafirmen darin verwickelt sind und Indien wegen seiner preiswerten Produkte als Apotheke der armen Länder gilt.

Der Fall Ranbaxy

Mitte 2013 bekannte sich Ranbaxy, der größte indische Pharmakonzern, vor einem amerikanischen Gericht zu verschiedenen Straftaten im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb von verunreinigten Medikamenten. Unter anderem gab die Geschäftsleitung von Ranbaxy zu, dass für „mehr als 200 Produkte in über 40 Ländern“ Datensätze „mit dem Ziel zusammengestellt wurden, [Ranbaxys] Geschäftsinteressen zu fördern“. Am Ende zahlte das Unternehmen 500 Million US-Dollar Geldbuße.

Die indische Regierung hielt dagegen, dass indische Arzneimittel sicher seien. Doch Ranbaxy ist kein Einzelfall. Die indische Arzneibehörde Central Drugs Standard Control Organization (CDSCO) wurde schon mehrfach vom indischen Parlament kritisiert, sie habe mit nationalen Unternehmen gemeinsame Sache gemacht und zugelassene Produkte nicht getestet. Das stellt über Ranbaxy hinaus die Qualität der weit verbreiteten indischen Generika infrage.

In den vergangenen sechs Jahren hat meine Forschungsgruppe Proben von Tausenden Medikamenten gegen Infektionen (Tuberkulose, Malaria und schwere bakterielle Infektionen) aus Indien und anderen Schwellenländern untersucht. Von diesen Präparaten stammten vorgeblich 3695 von indischen Unternehmen und wurden mit einer Reihe von Verfahren auf Qualität getestet.

Über die Analyse der Proben erschienen viele Studien in geprüften wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Ausgehend von diesen vorliegenden Daten – ein Vorgehen, das man als Metaanalyse bezeichnet – habe ich das Abschneiden der indischen Produkte untersucht. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Indien minderwertige Arzneien vertreibt.

Indische Proben: 70 Prozent waren gefälscht

Von den 3695 getesteten indischen Proben haben 264 (7,14 Prozent) die grundlegende Qualitätskontrolle nicht bestanden. 70 waren gefälscht, das heißt die Verpackung war nachgemacht und der Wirkstoffgehalt null. Da einige chinesische Banden indische Erzeugnisse fälschen, stammen möglicherweise nicht alle diese Arzneimittel aus Indien. 194 Proben (5,25 Prozent) indes fielen durch die Qualitätskontrolle, enthielten aber den Wirkstoff und hatten keine erkennbaren Mängel an der Verpackung; alles deutet darauf hin, dass sie in Indien hergestellt worden waren.

Einige Proben könnten hervorragende Fälschungen gewesen sein. Aber sehr wahrscheinlich  waren es entweder minderwertige Erzeugnisse indischer Hersteller, oder die Qualitätseinbußen waren Folgen unsachgemäßer Lagerung und Handhabung. Der Anteil mangelhafter Produkte liegt wahrscheinlich noch höher, weil die meisten Proben nicht den strengsten Tests unterzogen worden waren.

In Afrika vertriebene indische Produkte versagten fast doppelt so oft (9,1 Prozent) wie die anderswo erworbenen Proben. Der Unterschied kann entweder bedeuten, dass minderwertige Produkte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem afrikanischen Markt landen oder dass in Afrika vertriebene Produkte auf ihrem Weg entlang der Lieferkette verderben. Dies kann aber kaum das entscheidende Problem sein, denn kein einziges der westlichen Produkte aus denselben afrikanischen Apotheken war minderwertig.

Schwerwiegende Qualitätsprobleme

Insgesamt legen die Daten also ein durchgängiges Qualitätsproblem bei etwa fünf Prozent der getesteten indischen Arzneimittel nahe, für das überwiegend kleinere indische Firmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 100 Millionen US-Dollar verantwortlich sind. Es ist aber beunruhigend, dass unter denen, die offenbar mangelhafte Produkte vertreiben, auch große und namhafte Hersteller sind – darunter mehrere, deren Produkte von respektablen Aufsichtsbehörden und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugelassen sind.

Das sollte nicht überraschen. Im Mai 2013 gab der Ständige Ausschuss für Gesundheit und Familienfürsorge des indischen Parlamentes in einem Bericht freimütig zu, dass mindestens sieben Prozent aller Medikamente in Indien den Qualitätsanforderungen nicht genügen, dass manche von ihnen „dem Patienten schaden können“ und andere überhaupt nie gesetzlich zugelassen wurden. Darüber hinaus hieß es, die indische Arzneimittelzulassungsbehörde habe sich zahlreicher Akte der „Korruption“ schuldig gemacht.

Der Fall Ranbaxy nährt die Sorge weiter, dass man sich nicht auf die indische Arzneimittelaufsicht verlassen kann, um sicherzustellen, dass Medikamente aus Indien international anerkannte Qualitätsstandards erfüllen. Nach dem, was ich in Häfen wie dem von Mumbai gesehen habe, gibt es dort überhaupt keine Exportaufsicht. Indien ist weltweit der viertgrößte Pharmahersteller; alle Bezieher indischer Generika sollten besorgt sein, ob die Medikamente, die sie kaufen, immer wirksam sind.

Das ist ein Problem für Firmen in Indien, die gute Qualität liefern: Es kann für sie schwierig werden, ihre Ehrlichkeit zu beweisen, seit klar ist, dass ihr größter Konkurrent sich jahrzehntelang kriminell verhalten hat. Allerdings: Einige Ranbaxy-Mitarbeiter sind kriminell vorgegangen, das Unternehmen aber möchte sein Problem offenbar in den Griff bekommen. Das muss es wohl auch, um auf bedeutenden Märkten im Geschäft zu bleiben.

Weniger bekannte indische Pharmaunternehmen scheinen für Entwicklungsländer mit schwacher Aufsicht bewusst minderwertige Produkte herzustellen – und kommen damit durch.

Ghana: Die meisten Proben versagten im Qualitätstest

Im Februar 2013 veröffentlichte die ghanaische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (Ghana Food and Drugs Authority, GFDA) zusammen mit dem US-amerikanischem Arzneibuchbüro (United States Pharmacopeial Convention, USP) eine Studie über in Ghana verkaufte Proben von Oxytocin und Egometrin. Damit können lebensgefährliche Blutungen nach der Geburt gestoppt werden. Sie werden in westlichen Krankenhäusern routinemäßig eingesetzt, damit sich die Gebärmutter nach der Geburt schneller zusammenzieht und das Risiko einer Nachblutung minimiert wird. Dagegen erklärte mir Anna Adjoa, eine Hebamme in Accra, dass sie die Mittel überwiegend in Notfällen einsetzt. Wenn sie nicht wirken, ist die Gefahr sehr groß, dass die Patientin nach der Geburt verblutet.

Von den 303 untersuchten Proben waren laut der Studie die meisten in Ghana nicht registriert – und alle davon versagten im einfachen Qualitätstest, sind also für die Behandlung ungeeignet. Von den 80 Proben, die sämtliche Qualitäts- und Hygienetests durchliefen, erfüllten 95 Prozent die Anforderungen nicht. Obwohl es gesetzlich vorgeschrieben ist, hatten nur drei von 16 Unternehmen ihre Produkte registrieren lassen. Sie schnitten zwar besser ab, aber die Mehrzahl ihrer Produkte fiel ebenfalls durch.

Die USP, die viel Erfahrung im Bereich Produktanalysen hat, geht davon aus, dass nur wenige Stichproben gefälscht waren und die überwiegende Mehrzahl tatsächlich von den auf der Verpackung angegebenen Firmen stammte. Natürlich ist denkbar, dass einige einwandfrei hergestellt waren und infolge unsachgemäßer Lagerung verdorben sind. Doch alle Proben von einem schweizerischen Hersteller, die über dieselben Vertriebswege gegangen waren, bestanden die Qualitätskontrollen. Und die Bedingungen für die  Lagerung von Arzneimitteln, die ich in größeren Kliniken selbst gesehen habe, sind angemessen.

Mit anderen Worten: Den Ghanaern kann man die Probleme nicht vorwerfen. Es drängt sich der Schluss auf, dass alle Unternehmen einige oder alle dieser Produkte mangelhaft hergestellt haben. Die meisten Proben stammten von Unternehmen aus Indien oder China. In keinem Fall waren es so große Konzerne wie Ranbaxy, aber mindestens drei der indischen Firmen behaupten, gültige Zertifikate für gute Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice) der WHO zu besitzen. Für mindestens eine stimmt das auch.

Stephen Opuni, der Geschäftsführer der Food and Drugs Authority in Accra, berichtete mir, manche der Firmen hätten die Medikamente tatsächlich bei seiner Behörde registrieren lassen und dazu Beschreibungen sowie Proben eingereicht. „Doch sobald sie die Handelszulassung der GFDA hatten, brachten sie vorsätzlich minderwertige und manche sogar gefälschte Arzneimittel auf unseren Markt.“

Meine Forschungsgruppe hat von den Tausenden Testergebnissen jene für Produkte kleinerer indischer Firmen geprüft – das heißt solcher, die weder in die USA oder nach Europa exportieren noch einen Umsatz von Hunderten Millionen Dollar machen. Die Ergebnisse ähneln denen der Studie aus Ghana. Diese Firmen sind grundsätzlich in der Lage, gute Produkte herzustellen, zumindest die meiste Zeit. Aber ihre nach Afrika verkauften Medikamente erfüllen viermal häufiger grundlegende Qualitätsanforderungen nicht als der Durchschnitt ihrer Produktion.

Indische Unternehmen tricksen das System aus

Dass diese Firmen gute Qualität herstellen können, wird dadurch bestätigt, dass die WHO einige von ihnen zertifiziert hat. Die WHO bewertet jedoch lediglich, ob eine Firma hochwertige Medikamente herstellen kann – sie überwacht nicht laufend die Qualität der Arzneien, die in den Schwellenländern verkauft werden. Indische Unternehmen tricksen das System aus, indem sie hochwertige Präparate an die WHO schicken, um die Zulassung zu bekommen, und dann minderwertige Produkte herstellen und vertreiben. Die WHO sollte allen Unternehmen, die bei diesem Vorgehen ertappt werden, ihr Zertifikat entziehen.

Autor

Roger Bate

ist promovierter Ökonom und forscht am American Enterprise Institute in Washington DC zu internationaler Gesundheitspolitik. Er ist Autor des Buches „Phake: The Deadly World of Falsified and Substandard Medicine“.
Die Behörden in Ghana haben auf den Bericht von GFDA und USP reagiert: Sie haben die gefährlichen Arzneimittel zurückgerufen und die Polizei aufgefordert, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die in „kriminelle Machenschaften verwickelt“ sind. Das ist angemessen und wird am Ende Leben retten. Aber weil die Mittel nicht ausreichen, gegen die Produktion minderwertiger Medikamente vorzugehen, und die Standards der afrikanischen Länder nicht untereinander abgestimmt sind, werden die Anbieter der suspekten Präparate wahrscheinlich leicht andernorts Absatzmärkte finden.

Am Ende werden zunehmender Wohlstand, Bildung und ein energisches Vorgehen der Aufsichtsbehörden die dubiosen Produkte von den Märkten der Entwicklungsländer verdrängen – so wie zuvor im Westen. Aber die Direktoren gewisser indischer Pharmaunternehmen, die ungestraft Beihilfe zur fahrlässigen Tötung im großen Stil leisten, dürfen nicht länger unbehelligt bleiben. Die indische Regierung muss hart gegen die Herstellung minderwertiger Arzneien vorgehen, statt blind die indische Industrie zu fördern. Wer als Apotheke der Welt dienen will, muss die Qualität der Produkte sicherstellen können – nicht nur manchmal, sondern immer.
 

Aus dem Englischen von  Barbara Kochhan.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2014: Medizin: Auf die Dosis kommt es an
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