In Teheran wenig Neues

Präsident Hassan Rohani hat die Beziehungen des Iran zum Westen entspannt. Die iranische Bevölkerung plagen aber ganz andere Sorgen.

Der Sieg von Hassan Rohani bei den Präsidentschaftswahlen im Iran Mitte 2013 löste unter Diplomaten in den Hauptstädten der westlichen Welt eine Welle des Optimismus aus. Die Fortschritte bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm haben gezeigt, dass er berechtigt ist. Doch was verändert sich im Land? Der frühere britische Außenminister Jack Straw reiste im Januar zum zweiten Mal in neun Jahren nach Teheran. Danach äußerte er erstaunt, wie sehr sich die iranische Hauptstadt verändert hat: „Trotz der Sanktionen hat Teheran mehr Ähnlichkeit mit Athen oder Madrid als mit Mumbai oder Kairo.“ Auf ihn wirken die Iraner heute glücklicher als früher.

Autor

Shervin Ahmadi

ist verantwortlich für die iranische Ausgabe der Monatszeitung „Le Monde diplomatique“.
Eine Umfrage der Monatszeitschrift „Gozaresh“ („Der Bericht“) zeigt ein anderes Bild. Die 36-jährige Beamtin Neda aus Teheran findet, dass den Iranern die Lebensfreude fehlt: „Sogar in den sozialen Netzwerken geht es in 49 von 50 Beiträgen um die Schwierigkeiten und Missgeschicke der Leute.“ Die Alltagssorgen drücken auf die Stimmung: „Wie soll man mit einem Monatslohn von 700.000 Toman (weniger als 200 Euro) leben... Die jungen Leute können nichts anderes tun, als sich Klamotten kaufen oder Wasserpfeife rauchen...  Ganz zu schweigen von der sozialen Ungleichheit und den Einkommensunterschieden; es tut weh, zu sehen, wie manche Leute mit vollen Händen Millionen ausgeben.“

Laut der 23-jährigen Studentin Maryam machen die hohen Lebenshaltungskosten die Menschen unglücklich: „Um uns über die Runden zu bringen, musste mein Vater drei verschiedene Jobs gleichzeitig annehmen. Er ist ständig müde, hat nicht mal mehr die Zeit, sich zu fragen, ob er glücklich ist.“ Der 52-jährige Mohammad, ein Vater zweier Teenager, findet, dass mehrere Faktoren zusammenkommen – wirtschaftliche Sorgen, aber auch das fehlende Freizeitvergnügen: „Alle Freizeitbeschäftigungen, die Spaß machen, sind verboten, und darum wird alles, was verboten ist, zur willkommenen Zerstreuung, wie zum Beispiel das Rauchen“.

Trotz der beachtlichen Fortschritte in der Außenpolitik: Der Iran hat Probleme in Politik und Wirtschaft angehäuft, die für die kommenden Jahre keine Aufheiterung erwarten lassen. Zumal es keine leichte Aufgabe ist, im Iran tiefgreifende Veränderung zu bewirken. In der Politik hat sich die Woge der radikalen Reformen, die in Mohammad Chatamis erster Amtszeit als Staatspräsident losgetreten wurde, längst an der vereinigten Front der Konservativen gebrochen. Die gewählten Organe unterstehen weiter dem „Shorayeh Negahban“ (Wächterrat), und weder bei Parlaments- noch bei Präsidentschaftswahlen wird ein Kandidat zugelassen, der nicht dem Zirkel der islamischen Machthaber angehört.

In gewisser Weise besteht eine repräsentative Demokratie

Das bedeutet nicht, dass die Volksvertretungen überhaupt nicht repräsentativ sind, dass die Wahlen alle gefälscht und die Kandidaten bereits gewählt sind, ehe die Wahl stattgefunden hat – so wie überall sonst in der Region. Vor allem bei Parlamentswahlen, für die lokale Belange eine wichtige Rolle spielen, findet im Iran ein Wahlkampf zwischen Kandidaten statt, die in vielen Fragen unterschiedliche Positionen vertreten. Die Beteiligung an diesen Wahlen ist – wie bei Präsidentschaftswahlen – nie unter 50 Prozent gesunken. Mehr als 85 Prozent der Wahlberechtigten gingen bei der Präsidentschaftswahl 2009 zu den Urnen, in der sich Mahmud Ahmadinedschad und Mir Hussein Mussawi gegenüber standen. An der Wahl, die Hassan Rohani gewonnen hat, haben sich 72 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt.

In gewisser Weise besteht im Iran eine repräsentative Demokratie – allerdings innerhalb eines „Privatclubs“, dessen Mitglieder sich immer mehr von der Bevölkerung und ihren Alltagssorgen entfernen. An dieser festgefügten Ordnung wird Rohanis Präsidentschaft nicht rütteln. Eine politische Öffnung stand nicht in seinem Wahlprogramm, auch wenn er sich vage in diese Richtung geäußert hat. So bezeichnete er es etwa als notwendig, den Hausarrest von Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi aufzuheben, die als Anführer der nach den Präsidentschaftswahlen 2009 entstandenen „Grünen Bewegung“ gelten.###Seite2###

Im Inneren der iranischen Staatsmacht existieren verschiedene Strömungen nebeneinander. Keiner ist es in den vergangenen 30 Jahren gelungen, die anderen ins Abseits zu stellen, die Macht allein zu beanspruchen und sich durchzusetzen. Das ist eine der Stärken des iranischen Systems, kann aber gleichzeitig als Hindernis für Reformen gelten. Große Veränderungen in der Ausrichtung des Regimes, zum Beispiel die Normalisierung der Beziehungen zum Westen, können nur zustande kommen, wenn es dafür in der Staatsführung einen breiten, wenn nicht sogar absoluten Konsens gibt.

In der Frage einer politischen Öffnung gibt es den nicht: Weder halten die verschiedenen Strömungen sie für notwendig, noch haben sie daran ein gemeinsames Interesse. Wenn nichts Überraschendes passiert, ist auf kurze und mittlere Sicht nicht damit zu rechnen. Bürgerschaftliches Engagement dürfte vermehrt gestattet werden, allerdings weiter in engen Grenzen und unter strenger Kontrolle.

Großen Gefallen scheinen die iranischen Führer an dem politisch geschlossenen, aber wirtschaftlich liberalen Modell Chinas zu finden. Der Übergang vom „Mao-Kragen“ zu Anzug und Krawatte in China scheint aber leichter zu sein als die Abkehr vom Turban im Iran. Die tiefgreifenden Veränderungen der iranischen Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren haben dazu geführt, dass sich zwischen der Bevölkerung und den jeweiligen Machthabern eine permanente Spannung entwickelt hat: Das Regime steht vor grundlegenden Widersprüchen zwischen der dem Anschein nach islamischen Form der Machtausübung, dem Erbe der Revolution sowie der Entwicklung einer Konsumgesellschaft, die sich in dem stark verstädterten Land immer weiter ausbreitet. Die Führung versucht, diese Widersprüche zu überspielen, etwa in den Medien. Dennoch bleibt eine ständige Spannung zwischen der wirtschaftlichen Ausrichtung des Staates und der Art der Regierungsführung.

In der Wirtschaft sind die Dinge ebenfalls kompliziert. In China konnte die Entwicklung eines Industriekapitalismus den Übergang sicherstellen vom Verkauf billiger Arbeitskraft hin zu einer Konsumgesellschaft, deren wachsender Binnenmarkt seither in aller Welt als verlockend gilt. Dagegen hängt die iranische Wirtschaft nach wie vor am Tropf der Öl-Einnahmen und ähnelt eher der Ökonomie Russlands als der Chinas. Die großen Industrieunternehmen im Iran, etwa in der Petrochemie und der Stahlindustrie, stehen nach wie vor unter der Oberhoheit des Staates, auch wenn ihre Aktien und Produkte längst an der Börse gehandelt werden.

Die Inflation beträgt jährlich 30 Prozent

Damit ist der Rentenkapitalismus, der auf der Abschöpfung von Einnahmen aus Naturschätzen oder Monopolen beruht, nach wie vor sehr mächtig. Renten zu suchen ist verführerischer als klassische Investitionen in die Industrieproduktion – und das, obwohl der Markt sich inzwischen über die Grenzen des Iran hinaus ausgeweitet hat: von Nordafghanistan, das unmittelbar an China grenzt, über den Irak, Syrien und den Libanon bis hin zum Mittelmeer auf der anderen Seite.

Das andere Handicap für die Entwicklung der Industrie im Iran ist die Inflation, die jährlich 30 Prozent beträgt. Bei einem Kreditzinssatz von 28 Prozent sind die Kapitalkosten für die Industrie hoch. Der Staat hat seine Ausgaben mangels eines echten Steuersystems jahrelang gedeckt, indem er die Notenpresse angeworfen und US-Dollars, die aus dem Verkauf von Erdöl stammten, auf den Binnenmarkt gebracht hat. Daraus erwuchsen die beiden Hauptübel der iranischen Wirtschaft: die Erhöhung der Geldmenge und der Anstieg der Inflation. Seit 30 Jahren sind alle Maßnahmen gescheitert, die Inflation zu kontrollieren und die Liquidität zu vermindern.###Seite3###

Die neoliberalen Reformen, die seit 20 Jahren betrieben werden, haben die Situation noch verschlimmert. In den vergangenen Jahren wurden verstärkt die Grenzen für ausländische Produkte geöffnet. Das hat die ohnehin instabile iranische Wirtschaft gezwungen, auf ihrem eigenen Markt mit oft preiswerteren importierten Produkten zu konkurrieren. Der Leiter einer Näherei, in der seit drei Generationen Hemden gefertigt werden, beschreibt in einer iranischen Tageszeitung die Folgen: „Um ein Hemd herzustellen, zahle ich allein für die Arbeitskraft 6000 Toman (1,50 Euro). Mein Nachbar hatte genauso eine Hemdennäherei wie ich, hat sie jedoch vor zwei Jahren in ein Lager umgewandelt und importiert seitdem Hemden aus China, die er für 5000 Toman (1,25 Euro) pro Stück verkauft. Und seine Hemden haben dieselbe Qualität wie meine. Wie soll ich da weiterarbeiten? Mir bleibt nichts anderes übrig, als es genauso zu machen wie er: meine Näherei schließen, meine Arbeiterinnen nach Hause schicken und meine Hemden in China kaufen.“

In anderen Branchen sieht es weniger düster aus. Die Bauwirtschaft hat jahrelang vom blühenden Immobilienmarkt profitiert, der als Zuflucht für Kapital eine wichtige Rolle spielt. Alle fünf Jahre kam ein Boom mit einer Verdoppelung der Preise – so konnte langfristig die beträchtliche Teuerungsrate ausgeglichen werden. Außerdem entwickelte sich in den vergangenen Jahren der Bausektor in Afghanistan und im Irak weiter und eröffnete der Zement- und Baustoffindustrie des Iran vielversprechende Märkte.

Die Regierung Rohani wird die ökonomische Landschaft des Iran nicht auf den Kopf stellen. Die neoliberalen Reformen, die seit den 1990er Jahren betrieben werden, dürften beschleunigt werden. Die populistischen Maßnahmen der vorigen Regierung, etwa die in bar ausgezahlte Familienförderung („Yaraneh“), werden zunächst auf die Ärmsten beschränkt und auf lange Sicht wohl abgeschafft. Rohani wird – wie seine Vorgänger – weiter auf Privatisierung setzen. Schon lange prangern Medien, aber auch offizielle Stellen, die damit einhergehende Intransparenz sowie Unregelmäßigkeiten an.

Auch den Kampf gegen die Korruption will die Regierung Rohani aufnehmen – das andere Geschwür der iranischen Wirtschaft. Mit großen Umwälzungen ist allerdings kaum zu rechnen. Im Iran hängt die Korruption eng mit der Struktur des Machtapparats zusammen. Der frühere Verkehrsminister Akbar Torkan beschreibt sie in einem Interview mit der Website „Fararo“ so: „Die Korruption beginnt mit den Wahlen; diejenigen, die Kandidaten im Wahlkampf finanziell unterstützen, verlangen anschließend Gefälligkeiten von den Gewählten.“

Die Korruption ist Gegenstand nationale Debatten

Seit Jahren ist die Korruption Gegenstand nationaler Debatten. Die Zeitungen sind voll von Artikeln, die sie aufdecken und Schritte zu ihrer Bekämpfung vorschlagen. Jede Regierung wirft ihrer Vorgängerin vor, nichts dagegen unternommen zu haben, und kündigt selbst neue Antikorruptionsmaßnahmen an. Unterdessen breitet sich die Korruption in allen Bereichen der Wirtschaft aus und durchdringt selbst das Alltagsleben. 

In seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar hat Präsident Rohani ausländische Investoren zu mehr Engagement im Iran ermutigt. Die Förderung ausländischer Investitionen war eins der Argumente, mit denen iranische neo-klassische Ökonomen die Reformen der vergangenen 20 Jahre in ihrem Land gerechtfertigt haben. Dieser Traum wurde jedoch außerhalb des Ölsektors nie Wirklichkeit. Dass es so schwierig ist, Auslandsinvestitionen einzuwerben, hängt eng mit inländischen Hindernissen zusammen wie dem schwankenden Wechselkurs, komplizierten Gesetzen, einer undurchsichtigen Konkurrenz von großen regierungseigenen Unternehmen sowie der Korruption.

Die große Errungenschaft der Regierung Rohani bleibt die Außenpolitik. Die Normalisierung der Beziehungen zu den Ländern der westlichen Welt und die Abkehr von der Drohung mit einer militärischen Intervention sind in den Augen der Iraner keine Kleinigkeit. Gewiss, das Leben ist nach wie vor teuer, und ein Teil der Mittelklasse ist dabei, unter die Armutsgrenze zu rutschen. Noch besteht der Hauch einer Hoffnung auf bessere Tage. Doch wie lange noch?

Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2014: Tschad: Langer Kampf um Gerechtigkeit
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