Impulse setzen

Als Direktor eines Hilfswerks muss man anders als ein Politiker nicht auf Stimmenfang gehen – leere Versprechungen sind also nicht nötig. Man kann sich und seine Organisation auf die Schritte konzentrieren, die machbar sind. Auch die können sichtbare Wirkung entfalten.

„Ist Ihre Blue Jeans aus Biobaumwolle?“ Was antworten Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf diese Frage? Zum Glück trug ich kürzlich zum Antritt meiner neuen Stelle keine Jeans; immerhin darf ich stolz sein auf meine Biobaumwollhemden. Und auch darauf, dass ich der Verkäuferin des Warenhauses meine Freude ob dieser Hemden in ihrem Sortiment ausgedrückt habe. Impulse setzen.

Autor

Patrick Renz

ist seit April Direktor des Hilfswerks Fastenopfer in Luzern.
Die diesjährige ökumenische Kampagne von Fastenopfer und Brot für alle hat für die Entstehungsgeschichte von Jeans sensibilisiert: 11.000 Liter Wasser, 50.000 Kilometer Reiseweg von der Baumwollpflanze in Burkina Faso über Akkordarbeiterinnen in Bangladesch bis zu Modeboutiquen und Billigketten an exklusiven Einkaufsmeilen. Aus Denkimpulsen wurden Handlungsimpulse: Eine Schulklasse in der Innerschweiz hat aus alten Jeans neue Gegenstände hergestellt, trendige Tischsets und ausgefallende Handtaschen. Mit einer Ausstellung sensibilisierten die Schülerinnen und Schüler die Öffentlichkeit und vervielfältigten so die eigenen Impulse.

Wenn selbst eine Hochschule in der Managementausbildung neuerdings die Nachhaltigkeit internationaler Wertschöpfungsketten thematisiert, dann scheint etwas zu geschehen. Es zeigt, dass Impulse von zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgenommen werden. Im Falle der Hochschule besonders schön: Die Managerschmiede als bestens legitimierter Multiplikator setzt Keime für Nachhaltigkeitsimpulse in die lernenden Köpfe zukünftiger Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen.

Welches Programm will ich als neuer Direktor von Fastenopfer verfolgen? Die Frage wurde mir vielfach gestellt, nicht zuletzt von einem unserer engagiertesten Programmpartner in den Philippinen. Mit einem „Regierungsprogramm“ muss ich zum Glück nicht Stimmen fangen, schon gar nicht mit leeren Versprechen. In der Entwicklungszusammenarbeit wissen wir schon lange, dass Zusammenhänge zwischen Aktion und Wirkung vielschichtig sind. Auch Führung hat begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten.

So geht es mir letztlich darum, Impulse zu setzen, sehr gezielte und hoffentlich die richtigen. Mehr noch als 15 Jahre Managementerfahrungen in der Privatwirtschaft hat mich dabei die Arbeit vor Ort in Bangladesch geprägt: Trotz mehrerer Paradigmenwechsel, etwa von der „Entwicklungshilfe“ zur „Entwicklungszusammenarbeit“, sind die in der Projektarbeit vor Ort tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oft alleine gelassen; sogenannte Umsetzungslücken (in der Forschung „Governance Gaps“)  verhindern gemeinsame Lösungen verschiedener Hierarchiestufen und Partner, der Informationsfluss stockt, der Austausch von „best practices“ findet nicht statt.

Wir sind dann am glaubwürdigsten, wenn wir den Spagat zwischen täglicher Realität im Süden und unserer Welt hier wagen.

Demgegenüber kann partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit nur dann gelingen, wenn die spezifischen Anliegen verschiedener Hierarchiestufen aufeinander abgestimmt werden. Nur so wirken Impulse nachhaltig.

Papst Franziskus setzt Impulse und bietet höchst spannendes Anschauungsmaterial für wirkungsvolle Leitung – Beispiele, die sogar Konfessionsgrenzen durchbrechen. Auch als Hilfswerke sind wir gefragt, grenzüberschreitende Impulse zu setzen. Vorerst natürlich in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Süden.

Das verschafft uns die Glaubwürdigkeit und Legitimität, auch hier im Norden Impulse zu setzen: zu sensibilisieren zum Beispiel für die Schattenseiten von Biotreibstoffen, für unverantwortliche Abläufe in Wertschöpfungsketten oder darauf aufmerksam zu machen, dass die Volksinitiative ECOPOP in der Schweiz entwicklungspolitisch auf völlig überholte und nicht nachhaltige Ansätze setzt. Die Initiative strebt an, die Zuwanderung in die Schweiz streng zu begrenzen und ein Zehntel der Entwicklungshilfe in Familienplanungsprogramme zu lenken.

Wir sind dann am glaubwürdigsten, wenn es uns gelingt, den Spagat zwischen täglicher Realität im Süden und unserer selbstverständlichen Welt hier zu wagen – emotional, nicht nur rational. Das ist äußerst schwierig: Wer kann sich in die Gedanken eines Rikscha-Fahrers in Dhaka hineinfühlen, der sich durch die verstopften Straßen drängt, wenn er oder sie nicht selbst in einem Armenviertel von Dhaka geboren wurde?

Wer, wenn nicht wir Hilfswerke, muss diese rationalen und emotionalen Nord-Süd-Brücken immer wieder zu bauen versuchen? Für derartige Impulse sind Fachzeitschriften wie „welt-sichten“ ein geeignetes Instrument. Ich freue mich deshalb auf die Zusammenarbeit mit dem Herausgeberkreis und auf die Inhalte der kommenden Nummern.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2014: Tschad: Langer Kampf um Gerechtigkeit
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