„Es lockt das süße Gift des Geldes“

Entwicklungsminister Dirk Niebel erwartet einen engeren Schulterschluss zwischen dem Militär und den zivilen Hilfsorganisationen (NROs) in Afghanistan. Die Organisationen sind irritiert – und schwanken zwischen strikter Ablehnung und unentschiedenem Abwarten.

„Ich habe keine Bundeswehrphobie“, hat der ehemalige Fallschirmjäger und jetzige Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel schon vor längerem wissen lassen. Was das mit der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan zu tun hat, erklärte der FDP-Mann unlängst noch einmal vor Zuhörern der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. „Vernetzte Sicherheit“ ist danach das Mittel der Wahl. Konkret: Deeutsche Entwicklungspolitik, Außenpolitik und Verteidigungspolitik sollen „eng aufeinander abgestimmt an gemeinsamen Zielen arbeiten“.

Dass damit eine „Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ einhergehen könne, wies Niebel von sich. Gedacht sei vielmehr an eine „Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen zum beiderseitigen Vorteil“ – was immer damit über das bisher Praktizierte hinaus gemeint war. Hilfsorganisationen, die von den hierfür eigens ausgelobten 10 Millionen Euro zusätzlichen Aufbaugeldes etwas abhaben wollten, müssten jedenfalls mehr Schulterschluss akzeptieren. Wer das nicht wolle, gehe leer aus.

„Unsere Mitgliedsorganisationen fühlen sich erpresst“, klagte der Vorsitzende des Dachverbands der entwicklungspolitischen Hilfsorganisationen VENRO, Ulrich Post, der selbst leitender Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe ist. Die Durchsetzung sicherheitspolitischer Ziele könne nicht „handlungsleitend“ für die Arbeit von NROs sein. Diese habe sich strikt an humanitären und entwicklungspolitischen Zielen auszurichten, heißt es in einer VENRO-Stellungnahme. Militärisch Sicherheit zu schaffen sei notwendig – aber eine Vermischung oder auch bloß eine unscharfe Abgrenzung militärischer von zivilen Aufgaben instrumentalisiere die NRO-Arbeit, mache die notwendige Neutralität gegenüber der afghanischen Bevölkerung unglaubwürdig und gefährde am Ende die Mitarbeiter mehr als sie ihnen helfe. NROs seien nun mal keine „Durchführungsorganisationen der Regierung“.

Die Hilfwerke wollen keine Sicherheitspolitik betreiben

Am schärfsten erteilte Caritas International – neben der Deutschen Welthungerhilfe oder Misereor eine der großen deutschen Hilfsorganisationen in Afghanistan – dem Ansinnen Niebels eine Absage. Aus humanitärem wie aus christlichem Selbstverständnis sei es „unmöglich“, darauf einzugehen – auch wenn der Verzicht „finanziell richtig weh tut“, sagte Caritas-Leiter Oliver Müller. Caritas-Präsident Peter Neher forderte, die Verknüpfung von Hilfsmitteln mit dem Konzept der Vernetzten Sicherheit „aufzuheben“. Die Organisation setzt in Afghanistan derzeit rund zwei Millionen Euro jährlich ein; aus dem neuen militärisch-zivilen Hilfstopf des Entwicklungsministeriums (BMZ) könnte leicht noch einmal so viel hinzukommen.

Doch so prinzipienfest wie Caritas sind nicht alle. Bei der Welthungerhilfe heißt es, bislang habe das BMZ in der praktischen Arbeit die eigene Unabhängigkeit nicht angetastet. Sollten der Welthungerhilfe Mittel „im Kontext zivil-militärischer Strategie angeboten“ werden, werde man prüfen, ob die Prinzipien der bisherigen Zusammenarbeit weiter gelten – sprich: Abstimmung mit den Botschaften ja, mit dem Militär nein. Freilich: Das Geld wird nicht angeboten, es muss beantragt werden, und Minister Niebel hat schon klar gemacht, dass er Abstimmung mit der Bundeswehr sowie Hilfsprojekte in deren Operationsgebiet erwartet. Andererseits, so Ulrich Post, bleibe bis jetzt unscharf, was mit Vernetzter Sicherheit eigentlich gemeint sei. Das gehöre erst einmal „operationalisiert“, dann werde man sehen.

Bei medica mondiale spricht man derweil schon von einem drohenden „Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Regierung und NRO“. Ein Vertreter einer großen VENRO-Mitgliedsorganisation, der nicht genannt sein möchte, analysiert nüchtern: „Es lockt das süße Gift des Geldes.“ Die NGO-Szene drohe durch das BMZ „aufgemischt“ zu werden – mit der Perspektive, sich entweder geopolitisch einspannen zu lassen oder sich, um den Preis finanzieller Nachteile, solchem Begehren zu widersetzen.

erschienen in Ausgabe 9 / 2010: Korruption: Geld, Amt und Macht
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