„Nicht einlullen lassen“

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20 Jahre VENRO
Der entwicklungspolitische Dachverband VENRO feiert sein 20. Jubiläum. Der Vorsitzende Bernd Bornhorst erklärt im Interview, warum sich der Verband zu manchen Themen nicht äußert und wieso sich die Organisation stärker mit innenpolitischen Fragen auseinandersetzen sollte.

Herr Bornhorst, im November hat der Industrieländerclub OECD der deutschen Entwicklungspolitik ein sehr wohlwollendes Zeugnis ausgestellt. Die Opposition in Berlin hat sich dazu kritisch geäußert, ebenso einige Hilfswerke. Warum nicht auch VENRO?
Unser Prinzip ist: Wenn Mitglieder sich äußern, dann muss VENRO das nicht unbedingt auch noch tun. Wir versuchen diese Logo-Teppiche zu vermeiden, die dann entstehen, wenn jeder sich zu jedem Thema zu Wort meldet.

Die Kehrseite ist, dass Ihr Verband in der Öffentlichkeit kaum präsent ist. Mir fallen zu etlichen Themen verschiedene Hilfsorganisationen ein, zu kaum einem aber VENRO.
Schade, ich hoffe, wir können das in Zukunft ändern. Ihre Wahrnehmung ist aber teilweise richtig. Als Verband können wir nicht einfach den Vorstandsvorsitzenden zu einer Veranstaltung hinschicken, und der sagt dann, so und so ist es. Als Vorsitzender muss ich darauf achten, dass Stellungnahmen von den Mitgliedern gedeckt sind. Positionen werden bei VENRO in Arbeitsgruppen erarbeitet, und dort, wo es noch keine gemeinsame Position gibt, ist es schwer sich spontan zu melden. Aber der Verband kann auch schnell reagieren wie zum Beispiel beim Flüchtlingsthema: Dazu haben wir in kurzer Zeit einen Standpunkt geschrieben und veröffentlicht. Einzelne Mitglieder können sich leichter kritisch und zugespitzt äußern als ein Verband, der mit der Politik im Dialog ist und das auch bleiben will.

Spielt eine Rolle, dass VENRO einen ganzen Batzen Geld vom Ministerium kriegt?
Falsch, kriegen wir doch gar nicht....

Laut Ihrem Jahresbericht kam gut ein Drittel der Gesamterträge 2014 von Engagement Global...
Ja, aber VENRO als Verband wird zu 100 Prozent von den Mitgliedern getragen. Zusätzlich gibt es Drittmittelprojekte wie die Kampagne „Deine Stimme gegen Armut“. Die werden tatsächlich unter anderem vom Entwicklungsministerium finanziert. Aber das berührt nicht unsere Lebensfähigkeit. Wir haben immer darauf geachtet, dass VENRO auch ohne Drittmittel funktioniert.

Ist es schwer, bei 124 Mitgliedern eine gemeinsame Position zu einem Thema zu finden?
Das funktioniert immer besser. In den Arbeitsgruppen wird zunehmend offen und konfliktfreudiger diskutiert, um am Ende mehr als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Zudem honorieren es die Mitgliedsorganisationen heute stärker als früher, wenn der Verband und seine Geschäftsstelle auch mal vorangehen und Stellung nehmen, ohne dass es ein gemeinsam beschlossenes Ticket gibt. Früher war bei manchen Mitgliedern die Sorge größer, VENRO könnte ihnen die Butter vom Brot nehmen.

Was wäre in der deutschen Entwicklungspolitik anders ohne VENRO?
Es gäbe in der Zivilgesellschaft viel weniger Verständnis für Qualität in der Entwicklungszusammenarbeit oder für vernünftige Öffentlichkeitsarbeit. Dazu haben wir in den vergangenen 20 Jahren Kodizes entwickelt. Viele unserer Mitglieder hätten es zudem schwerer, Zugang zu öffentlichen Fördermitteln zu bekommen und die erforderlichen Verfahren einzuhalten. Und schließlich wäre das Verhältnis zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungspolitik anders, würde VENRO nicht als anerkannter Mittler in die Politik einwirken. Für die staatliche Entwicklungspolitik sind wir ein Gesprächspartner, der sich kritisch äußert, den man aber auch gerne an seiner Seite hat.

Die Aufgabe von VENRO ist also nicht, laut in der Öffentlichkeit zu poltern, sondern hinter den Kulissen auf Politik einzuwirken?
Ich versuche es immer mit dem Begriff „konstruktiv kritisch“ zu erklären: Wir wollen uns natürlich nicht auf dem Sofa der Mächtigen einlullen lassen. Aber wir müssen zugleich sprachfähig bleiben. Das heißt, wir müssen auch einfach mal die Regierungen loben, dass etwa das Klimaabkommen ein großer Schritt ist. Das macht uns aber nicht zu einem zahnlosen Tiger. Wir werden genau hinsehen, wie die Umsetzung läuft.

Wo war VENRO erfolgreich?
Ein Highlight war der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. VENRO hatte großen Anteil daran, dass Fragen wie Umwelt und Entwicklung, Klimaschutz und Entwicklungsfinanzierung deutlich wahrgenommen wurden. Dasselbe gilt für den deutschen Beitrag zur Agenda 2030 und den G7-Gipfel im vergangenen Sommer in Elmau. Ich glaube auch, VENRO hat viel dazu beigetragen, dass die Entwicklungspolitik nicht generell ins Nischendasein abgerutscht ist und dass sie in der Öffentlichkeit als etwas wahrgenommen wird, das mehr ist als Spenden und Projekte finanzieren.

Und wo müssen Sie mehr tun?
Trotz erkennbarer Erfolge müssen wir noch stärker heraus aus der entwicklungspolitischen Ecke. Wenn wir früher von Kohärenz gesprochen haben, dann haben Verbände aus der Sozial- oder Umweltpolitik das immer so verstanden, als ob sie sich nach uns richten müssten. Eigentlich aber müssen wir viel mehr auf andere politische und gesellschaftliche Kreise zugehen. Wir versuchen das gerade bei den Nachhaltigkeitszielen: Wir wollen mit Gewerkschaften und Sozialverbänden enger in Kontakt kommen, um zu zeigen, dass es in Nord und Süd um dieselben Fragen geht, die wir gemeinsam bearbeiten müssen.

Mit Erfolg?
Am Anfang war das ziemlich schwierig. Wenn wir die Sozialverbände eingeladen haben, haben die gesagt: Was sollen wir denn da? Das ist doch eure Aufgabe. Jetzt, da es um die Umsetzung der Agenda 2030 geht, sind wir gerade im Hintergrund dabei, mehrere Verbände unter einen Hut zu bringen. Wir wollen der Regierung zeigen, dass wir die an sie gerichtete Forderung nach Kohärenz als Zivilgesellschaft ansatzweise auch erfüllen, indem wir gemeinsam auftreten.

Und wie finden die VENRO-Mitglieder das?
Wir müssen natürlich darauf achten, dass nicht alles verwischt und unsere Mitglieder irgendwann sagen: Was macht ihr denn da? Wir sind doch ein entwicklungspolitischer Verband. Aber auch für uns gilt der Anspruch, ein zukunftsfähiges Modell von Entwicklungszusammenarbeit zu definieren. Wir müssen uns fragen, ob wir an den richtigen Themen mit den richtigen Partnern dran sind. Haben wir es uns zu gemütlich gemacht in unserer kuscheligen EZ-Ecke? Oder müssen wir da heraus? Manche Mitglieder verunsichern solche Fragen. Das Beste ist deshalb, sie gemeinsam zu bearbeiten.

Ihre aktuelle Fünfjahresstrategie endet nächstes Jahr. Was wird der Schwerpunkt der nächsten sein?
Ein Ziel ist, dass VENRO sich vor dem Hintergrund der Agenda 2030 stärker in entwicklungspolitisch relevante innenpolitische Debatten einbringt. Beispiel Flüchtlinge: Da wird der Verband derzeit vor allem gefragt, wie man Fluchtursachen bekämpfen könnte. Ich finde, wir sollten auch etwas dazu sagen, wie wir in Deutschland mit Flüchtlingen umgehen. Und auf internationaler Ebene sollten wir im Prinzip in fünf bis zehn Jahren so weit sein, dass unsere Partner im Süden uns als Alliierte sehen, die die gleichen Ziele wie sie selbst verfolgen, nur eben im Norden auf der anderen Seite des Globus.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2016: Seuchen: Unsichtbare Killer
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