Mit Pilzen Gewinn machen

Chinas Entwicklungshilfe
China will Bauern in Afrika zeigen, wie sie mehr aus ihren Böden holen können.
Die Volksrepublik hat dabei auch eigene Interessen im Blick.

Abseits auf einem Hügel im südlichen Ruanda hat ein Team chinesischer Agrarwissenschaftler auf 22 Hektar Fläche Reisfelder, Gräben mit Pilzen und Reihen von Maulbeerbäumen angelegt. Lagerhäuser aus Beton umgeben ein Gebäude, in dem Workshops über Seidenraupenzucht, Bodenschutz und Reisanbau stattfinden. In einem Ausstellungsraum liegen auf einer Tischtennisplatte vakuumverpackte Pilze, Reissäcke und getrocknete Halme des vor Ort angebauten Weizens. So präsentiert sich eins der bedeutendsten chinesischen Hilfsprojekte in Afrika: die „Landwirtschaftlichen Demonstrationszentren“. Sie sollen helfen, die afrikanische Landwirtschaft zu modernisieren, und sie sollen chinesischen Unternehmen als Sprungbrett auf neue Märkte dienen. In ganz Afrika gibt es mittlerweile 23 dieser Zentren.

In Ruanda vermitteln chinesische Agrarwissenschaftler einheimischen Bauern die verborgenen Vorzüge von Pilzen: Sie wachsen schnell – selbst auf schlechten Böden –, brauchen wenig Platz und enthalten viele Proteine und andere Nährstoffe. Nach einer fünftägigen Schulung absolvieren die Workshopteilnehmer einen Kochkurs, in dem sie lernen, Gerichte wie „Liangban mu-er“ zuzubereiten, einen Salat aus Baumohr-Pilzen mit Karotten und Gurken, oder Pilze in Tee zu schmoren. „Westliche Länder geben Geld, wir machen das hier“, sagt Hu Yingping, der Leiter des Zentrums. „Wir wollen afrikanische Länder an den chinesischen Errungenschaften und Erfolgen aus den Landwirtschaftsreformen der vergangenen 30 Jahre teilhaben lassen.“

Musterfarmen seit den 1960er Jahren

Landwirtschaftliches Fachwissen gehört zu Pekings ältesten Exportgütern nach Afrika. In der Hoffnung, den Sozialismus in die gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Länder zu tragen, errichteten Agrarwissenschaftler der chinesischen Regierung seit den 1960er Jahren überall auf dem Kontinent Musterfarmen und Schulungszentren. Die Hilfszusagen Chinas an die afrikanische Landwirtschaft wachsen schnell, nach Schätzungen haben sie sich zwischen 2000 und 2013 auf rund 280 Millionen Euro nahezu verfünffacht.

Peking tut das nicht aus reiner Nächstenliebe – auch wenn der Vorwurf mancher Kritiker wahrscheinlich übertrieben ist, China wolle Afrika nur als eine Art Anbaufläche für die eigene Ernährung nutzen. Das Vorführzentrum in Huye im Süden von Ruanda soll zu einem rentablen Unternehmen werden, das Bauern landwirtschaftliches Gerät verkauft und aus ihrer Ernte Produkte wie Pilzpulver oder getrocknete Pilze herstellt. Potenzielle Abnehmer sind Ruandas Nachbarn ebenso wie Europa und China.

„Die Chinesen wollen von Afrika nicht in erster Linie Nahrungsmittel. Sie wollen Geschäftsmöglichkeiten und größere Marktanteile für chinesische Agrarfirmen. Und sie wollen das Bild von China als dem wahren Freund Afrikas bestätigen“, sagt Yun Sun, Stipendiat an der Brookings Institution in Washington. China produziert vier Fünftel der Pilze weltweit und ist damit der größte Hersteller und zugleich Abnehmer des „weißen Gemüses“. Die landwirtschaftlichen Zentren sollen Chinas Ruf in Afrika als Partner stärken, der ihre Eigenständigkeit fördert. Sie sind zugleich ein Übungsgelände für chinesische Unternehmen, die expandieren wollen. Die Zentren verwischen die Linie zwischen Hilfe und Geschäftsinteressen; das bringt eine sowohl für China als auch für Afrika schwierige Mischung hervor.

Pilzge gibt es nur in gehobenen Restaurants

Ein paar Kilometen vom Vorführzentrum entfernt befindet sich eine in freundlichem Weiß und Mintgrün gehaltene Ansammlung von Gebäuden, das Imanzi Spectrum Center. Hier widmet sich Emeritha Nyivabizimana, eine von Hu Yingpings ehemaligen Studentinnen, der Zucht und dem Verkauf von Champignons und Austernpilzen. Sie verwendet Geräte und Material, das sie aus China mitgebracht hat, wo sie drei Monate gearbeitet hat. Eins ihrer größten Probleme: Die Ruander mögen Pilze nicht besonders. Einem alten Aberglauben zufolge, der die Leute davon abhalten soll, giftige Wildpilze zu verzehren, verliert ein Bauer eine Kuh, wenn er einen Pilz isst. In der Hauptstadt Kigali stehen sie nur in gehobenen Restaurants auf der Speisekarte.

Nyivabizimana wirbt auf Facebook, verkauft an ihre Nachbarn, an lokale Lebensmittelgeschäfte und Restaurants. Auf die Verpackung druckt sie Rezeptvorschläge. Wie ihre Lehrer aus China bietet sie Kurse über die Zubereitung von Pilzsuppe oder Pilzcremesauce an. Ihr Ziel ist, die örtlichen Bauern dazu zu bringen, selbst Pilze zu züchten, die das Imanzi Spectrum Center weiterverarbeitet und verkauft. In den fünf Jahren seit Eröffnung des chinesischen Landwirtschaftszentrums haben Hu und sein Team mehr als Tausend Ruander wie Emeritha Nyi­vabizimana in einer besonderen Art der Pilzzucht geschult.

Die Juncao oder „Pilzgras“ genannte Methode wurde in den 1980er Jahren von der Universität für Land- und Forstwirtschaft Fujian im Südosten Chinas entwickelt. Hu sieht darin die ideale Methode für Ruanda, denn als Nährboden dienen nicht wie üblich Sägemehl, sondern Gräser und landwirtschaftliche Abfallprodukte. Zusätzliche Flächen für die Holzproduktion sind also nicht nötig – ein Vorteil für Ruanda, das Land mit der dritthöchsten Bevölkerungsdichte in Afrika.

Nach Hus Einschätzung werfen Pilze rascher Gewinn ab als traditionell in Ruanda angebaute Feldfrüchte. So bringt ein Quadratmeter nach nur acht Tagen schon 80.500 Ruandische Franc (etwa 90 Euro); bei Hirse oder Mais dauert das sechs Monate. Hinzu kommt, dass getrocknete Pilze bis zu einem Jahr aufbewahrt werden können.

Auch andere Unternehmer in Ruanda sehen das Potenzial der Pilze. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir sämtliche Vorteile eines Pionierunternehmens haben werden, wenn wir jetzt damit anfangen. In den kommenden fünfzehn Jahren wird Ruanda zum größten Pilzproduzenten nördlich von Südafrika“, sagt Laurent Demuynck, der Leiter von Kigali Farms, einem Unternehmen, das Champignons anbaut.

Nach drei Jahren finanziell unabhängig

Demuynck betont, Pilze lieferten die für die Ernährung der Ruander nötigen Proteine. Die meisten Familien hier ernähren sich von Hülsenfrüchten, Bananen, Maniok und Hirse, dem in Ruanda am weitesten verbreiteten Getreide. Laut dem US-Landwirtschaftsministerium enthalten Austernpilze drei Mal so viel Protein wie Hirse und etwa ein Drittel mehr als Ziegenfleisch. Bisher wächst die Industrie allerdings noch langsam. Laut der Regierung hat Ruanda im vergangenen Jahr 70 Tonnen Pilze produziert – verschwindend wenig im Vergleich etwa zu Mais, von dem schätzungsweise 1,5 Millionen Tonnen jährlich in dem Land erzeugt werden.

Die Vermischung von Geschäftsinteressen und Entwicklungshilfe soll chinesische Landwirtschaftsprojekte auf Dauer lebensfähiger machen. „Die Chinesen haben erkannt, was bei ihren früheren Hilfsprogrammen falsch gelaufen ist. Kaum hatten sie sie der Regierung des Empfängerlandes übergeben, hat sich niemand mehr richtig darum gekümmert und die Erträge aus den Projekten gingen zurück“, sagt Deborah Brautigam, die Leiterin der China-Afrika-Forschungsinitiative an der Johns-Hopkins-Universität.

Heute hingegen bewerben sich landwirtschaftliche Unternehmen und Institutionen aus China um den Bau und den Betrieb von Vorführzentren, die zunächst vom chinesischen Handelsministerium finanziert werden. Nach Ablauf von drei Jahren sollen die Zentren Geschäftsmöglichkeiten erschlossen haben, die sie finanziell unabhängig machen. Haben chinesische Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen erst einmal Zugang zu neuen Märkten gefunden, wächst der Anreiz zu bleiben. Die Empfängerländer wie Ruanda erhalten technologisches Know-how, das sie brauchen, um ihre Anbaumethoden zu verbessern.

Dieser Ansatz mit einem Fokus auf beiderseitigem Nutzen ist charakteristisch für die chinesische Entwicklungshilfe. Häufig wird er mit Darlehen und Investitionen kombiniert, die für ein reibungsloseres Funktionieren der chinesischen Projekte in Afrika sorgen sollen. Agrarzentren wie das in Ruanda „veranschaulichen die chinesische Herangehensweise an Entwicklungszusammenarbeit, bei der nicht zwischen Hilfe, Diplomatie und Handel getrennt wird“, sagt Ian Scoones, Agrarökologe vom Institut für Entwicklungsforschung an der Universität von Sussex.

Allerdings funktioniert das nicht immer. Das Zentrum in Ruanda bleibt in seinem Bemühen um Unabhängigkeit hinter dem Zeitplan zurück, und die Zuschüsse von der Universität für Land- und Forstwirtschaft Fujian sind begrenzt. Die kleine Summe, die das Zentrum mit dem Verkauf von Sporen und Nährboden für die Pilzzucht verdient, deckt die Kosten nicht.  „Geld ist in der letzten Zeit zum Problem geworden“, sagt Hu Yingping und räumt ein, dass er als gelernter Agrarwissenschaftler wenig Erfahrung mit der Leitung eines Betriebes hat. Er listet die Ausgaben des Zentrums auf: „Wir brauchen Geld für Schulung und Ausbildung, für die Löhne der einheimischen Arbeiter, für Strom- und Wasserrechnungen, für den Wachdienst. Wenn Bauern zur Schulung kommen, müssen wir für ihren Transport, für Verpflegung und Unterkunft aufkommen.“

Schwierige Arbeit für den chinesischen Entwicklungshelfer

Die landwirtschaftlichen Zentren konkurrieren in manchen Fällen mit den einheimischen Bauern und Betrieben, die sie eigentlich unterstützen sollen. Laut einem örtlichen Unternehmer verkauft das Zentrum in Huye Nährboden für Pilze billiger als zu Marktpreisen. „Wenn Sie mich fragen, ist da etwas durcheinandergeraten. Erst helfen sie dem privaten Sektor aus den Startlöchern, um ihn dann gewissermaßen zu zerstören“, sagt er. Zentrumsleiter Hu streitet das ab.

In anderen Fällen fördern die Agrarzentren Technologien oder Anbauprodukte, die für die Einheimischen von geringem Nutzen sind. Ein Forscherteam hat im vergangenen Jahr in vier afrikanischen Ländern die Arbeit der Zentren untersucht und herausgefunden, dass für mehrere von ihnen wirtschaftliche Interessen wichtiger waren als die Bedürfnisse des Gastgeberlandes oder die Frage, ob die Produkte lokal geeignet sind. In Tansania propagierten die Chinesen die Überlegenheit von Hybridreis, obwohl der größte Teil der Bevölkerung sich hauptsächlich von Mais ernährt und sich Reis gar nicht leisten kann. Und für Bauern in Mosambik und Simbabwe waren die modernen Technologien für einen produktiveren Reisanbau, die das chinesische Personal ihnen vorführte, viel zu teuer.

In ihrer Studie vom Mai 2016 kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss: „Chinesische Funktionäre verbreiten eine bestimmte Vorstellung von landwirtschaftlicher Entwicklung. Diese folgt jedoch wirtschaftlichen Erfordernissen und der Vorgabe, dass die Zentren in der dritten Phase ihres Betriebs Technologie verkaufen und Gewinne erzielen. Folglich verwenden sie viel Mühe darauf, Nachfrage zu schaffen, und bringen zuweilen unter großem Werbeaufwand Technologien auf den Markt, die völlig ungeeignet sind.“

Autorin

Lily Kuo

ist Journalistin in Nairobi, Kenia, und Reporterin des Online-Portals "Quartz Africa", auf dem ihr Beitrag im Original erschienen ist. Sie berichtet vor allem über Ostafrika und Chinas Engagement auf dem Kontinent.
Dass die chinesische Regierung bei der Entwicklungszusammenarbeit eigene wirtschaftliche Interessen neben Entwicklung stellt, wird auch in China kritisch gesehen. Von einigen Funktionären kam der Vorschlag, eine separate Behörde für chinesische Entwicklungshilfe nach dem Vorbild der amerikanischen USAID zu schaffen. „Will China mit seiner Entwicklungshilfe die politischen Beziehungen verbessern oder seine eigene Wirtschaft fördern? Was ist wichtiger? Häufig widersprechen sich diese Interessen nämlich“, sagt Yun Sun von der Brookings Institution.

Der Alltag in Huye ist nicht immer leicht. Kaum einer aus Hus Team war zuvor schon einmal im Ausland. Die Kommunikation ist schwierig. Die Chinesen sprechen zwar Englisch, nicht jedoch die meisten der einheimischen Bauern, mit denen sie zu tun haben. Mit seinen paar Brocken Kinyarwanda kann Hu gerade einmal die in den Reisfeldern spielenden Kinder bitten, die Vögel zu verscheuchen.

Doch die größte Schwierigkeit besteht vielleicht darin, ihre Arbeit in der Gemeinde bekannter zu machen. Auf der Landstraße vor den Toren des Zentrums geht eine Gruppe Einheimischer vorbei. Manche sind auf dem Weg in die Stadt, andere gehen mit Hacken und bäuerlichem Kleingerät ausgestattet aufs Feld. Auf die Frage, wie nützlich das chinesische Zentrum für sie sei, antwortet ein Mann, er habe früher dort gearbeitet und an einigen der Schulungen teilgenommen. „Manche Leute profitieren davon. Die Chinesen wissen mehr über Pilze, und es ist gut, dass sie herkommen und die Leute unterrichten“, sagt Ephram Mintanbo. „Wenn ich das Geld hätte, würde ich auch Pilze züchten.“ Die anderen reagieren mit ausdruckslosen Mienen. Beatrice Muwantege, eine 46-jährige Hausfrau, die seit sechzehn Jahren in Huye lebt, sagt: „Die meisten Leute hier wissen nicht mal, dass es das Zentrum gibt.“

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2017: Indigene Völker: Eingeboren und ausgegrenzt
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