Wir schaden Afrikas Bauern!

Europas Agrarexporte
Europa exportiert einen Teil seiner landwirtschaftlichen Überschüsse nach Afrika. Ist das für die Landwirtschaft dort wirklich nur ein untergeordnetes Problem?

Unter der Überschrift „Wir ruinieren nicht Afrikas Bauern“ suggeriert Michael Brüntrup in welt-sichten 2-2017, dass der Vorwurf erhoben wird, die Agrarpolitik Europas sei der Hauptgrund für Armut, Hunger und Elend der Bauern in Afrika. Nur, wer sagt das? Diese Pauschalaussage konstruiert er, um sie widerlegen zu können. Vier Fünftel des täglichen Kalorienbedarfs Afrikas wird trotz hohen Bevölkerungswachstums auf afrikanischen Feldern und Weiden produziert. Nichtstaatliche Organisationen wie Brot für die Welt wissen das und versuchen seit Jahrzehnten, diesen Anteil durch Lobby- und Projektarbeit zu verteidigen und zu steigern.

Vom importierten Fünftel kommt etwa die Hälfte aus der Europäischen Union (EU). Brüntrup hat Recht, dass diese Importe zum Glück nur in Einzelfällen schwere Schäden anrichten. Ob das so bleibt, ist bei der aggressiven Agrarexportstrategie der EU und der Bundesregierung nicht ausgemacht. Europas Agrarexporte verteilen sich noch nicht über den ganzen Kontinent. Aber in den Städten West- und Zentralafrikas haben sie sehr wohl schädliche Auswirkungen – sowohl für Kleinbauern als auch für Konsumenten, was auf dem Land oft das gleiche ist.

Eine Überproduktion hat die EU-Landwirtschaft vor allem bei Fleisch, Milch und Getreide. Auf Weizen und Weizenmehl entfallen ein Drittel der europäischen und fast die Hälfte der deutschen Agrarexporte nach Afrika. In Westafrika verdrängte in den 1970er Jahren Weizen, den Europa hoch subventioniert ausführte, in den rasch wachsenden Städten das einheimische Getreide als Grundnahrungsmittel. Heute sind Baguette und Toast das tägliche Brot aller Schichten, obwohl hier kein Weizen angebaut werden kann.

Weizenexporte verdrängen lokale Getreidesorten

In den 1990 Jahren beendete die EU mengenbezogene Agrarsubventionen und stellte zu Hause auf Flächenprämien für die Bauern um. Dennoch vervielfachten sich die Weizenexporte nach Westafrika, während der Konsum lokaler Getreidesorten ständig zurückgeht. Die Bauern bauen nun, statt wie früher Hirse, auf sehr trockenen Böden Mais an, der noch lokal gegessen wird, aber weniger Ertrag an Protein und weniger Gewinn bringt.

Als die Welt-Getreidepreise vor zehn Jahren explodierten und dann relativ hoch blieben, führten viele Länder einen staatlichen Höchstpreis für Brot ein und müssen es nun subventionieren. Es gibt zwar Versuche, dem Brot einheimisches Mehl aus Hirse, Sorghum oder Mais zuzugeben, aber es wird dauern, bis sich die Konsumenten daran gewöhnen und die teuren Weizenimporte reduziert werden können. Das Beispiel widerlegt die These, dass EU-Exporte den Verbrauchern nahrhafte und günstige Nahrungsmittel bieten. Die zahlen am Ende sogar mehr für Weizenbrot als vorher für Hirsefladen.

Ähnlich verhält es sich bei Fleisch. Hier steht nicht im Vordergrund, dass Importe andere Fleischsorten und Fisch verdrängen, obwohl auch das passiert. Vor allem wurden Produzenten des Luxusproduktes Fleisch in Afrika geschädigt: die klein- und mittelständische Geflügelwirtschaft in Ländern wie Ghana, Nigeria, Kamerun, Senegal oder Elfenbeinküste. Meist war die Hühnermast ein Zusatzverdienst für kleinbäuerliche Betriebe. Die Tiere wurden mit eigenem Mais gefüttert, oft kümmerten sich Frauen darum.

Hühnerteile zu Dumpingpreisen

Seit 2000 überschwemmten Hühnerteile aus Europa zu Dumpingpreisen von durchschnittlich 0,90 Euro pro Kilo alle westafrikanischen Märkte.  Die Preise kamen ohne Exportsubventionen zustande, weil in Mitteleuropa statt ganzer Tiere nur noch Hähnchenfilets konsumiert wurden. Mit dem Erlös daraus ist fast das ganze Tier bezahlt, der Rest kann  sehr günstig abgegeben werden. Hinzu kam ein Preisverfall durch die Fleischüberproduktion.

Mit den Billigimporten konnte kein westafrikanischer Mäster konkurrieren. Einige Länder entschieden frühzeitig, mit Importverboten ihre Produktion zu retten, auch wenn sie damit Verbraucherinnen erst einmal ein billiges Fleischangebot nahmen. Das war ein Erfolg – anders als von Brüntrup behauptet: Im Senegal, in der Elfenbeinküste und in Kamerun deckt die einheimische Mast heute den lokalen Bedarf. Auch Nigeria hat eine eigene Geflügelindustrie aufgebaut, seit die Regierung gegen den Schmuggel aus Benin vorgeht, indem sie ganze Container mit EU- Geflügelteilen verbrennen lässt. Togo und Ghana, deren Regierungen dem Druck der Freihandelsideologen nachgegeben haben, besitzen dagegen kaum mehr eine Hähnchenmast.

Warum Importe verhindern, die der Bevölkerung preisgünstig Protein zur Verfügung stellen? Die Frage wird in Europa nicht nur von Brüntrup aufgeworfen. Aber die meisten Länder mit Importverboten können die steigende Nachfrage decken und dabei den Preis senken. So hat sich die Hühnerfleisch-Produktion in Kamerun seit 2006 fast verzehnfacht und der Preis ist trotz Inflation stabil geblieben. Wo hingegen Importe die Produktion zerstört haben, haben die Importeure heute ein Monopol und können die Preise erhöhen. In Ghana und Togo kostet das importierte Fleisch pro Kilo heute so viel wie früher einheimisches Geflügel: durchschnittlich 2,50 Euro. Der Vorteil billiger EU-Nahrungsmittel für arme afrikanische Konsumenten hat sich wie beim Weizen in sein Gegenteil verkehrt.

Billiges Milchpulver aus der EU

Ähnlich ist die Lage in der Milchwirtschaft Westafrikas. Sie hat nicht in allen Ländern ein Entwicklungspotenzial. Doch wo Rinderherden für die Fleischversorgung existierten und Viehhalter Milch konsumierten, begannen Kleinmolkereien, die Bevölkerung zu versorgen – etwa in Burkina Faso. Immer wieder wurden aber Entwicklungsprojekte zur Milchproduktion von Wellen billiger Milchpulverimporte aus der EU, die bis 2009 subventioniert wurden, zerstört. Zwar ist der Preisunterschied bei Milch nicht so groß wie beim Hähnchenfleisch, aber Preiseinbrüche in der EU-Milchwirtschaft wie seit 2015 bedrohen oder ruinieren kleine lokale Molkereien in Westafrika. Dann bevorzugen Großmolkereien für die Joghurtproduktion – das Haupt-Milchprodukt in Afrikas Städten – die viel billigeren Importe. Auch Kleinproduzenten verkaufen hausgemachten Joghurt aus EU-Milchpulver.

Brüntrup verweist zu Recht auf Verdienste der EU beim Aufbau der indischen Milchwirtschaft. Dann erklärt er, EU-Milchpulverexporte hätten dazu beigetragen, die Molkereien zum Laufen zu bringen. Doch das war eine Ausnahmesituation: Eine starke Vereinigung der Molkereigenossenschaften nutzte in Indien anfangs die Einnahmen, um Vertriebswege für Milchviehhalter aufzubauen. Sehr schnell hat dann Indien Importe mit einem hohen Zoll belegt; so ist es der größte Milchproduzent der Welt geworden. Diese Erfolgsgeschichte ist heute dadurch gefährdet, dass die EU die indische Regierung unter Druck setzt, den Markt für europäische Milch- und Geflügelüberschüsse zu öffnen. Auch in Kenia hat sich mit Hilfe von Importschutz eine Milchwirtschaft entwickelt.

Autor

Francisco Mari

ist Referent für Agrarhandel und Fischerei bei „Brot für die Welt“.
Inzwischen geben das deutsche Entwicklungs- und Landwirtschaftsministerium und sogar Agrarverbände zu, dass billige Agrarexporte Schaden anrichten. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen bestärken nun ausgerechnet Denkfabriken die Agrarlobbyisten darin, die Agrarpolitik und den Freihandel mit Agrargütern zu verharmlosen.

Entwicklungsländer brauchen neue handelspolitische Instrumente, um sowohl Verbraucher mit günstigen Nahrungsmitteln zu versorgen als auch die kleinbäuerliche Produktion zu steigern. Wirtschafts-Partnerschaftsabkommen (EPAs) der EU mit Afrika haben, anders als Brüntrup nahelegt, mit dem Problem wenig zu tun. Denn nur wenige afrikanische Staaten haben sie in Kraft gesetzt. Das Haupthindernis sind Regeln der Welthandelsorganisation WTO wie das Verbot, Einfuhrmengen zu  begrenzen. Die EU und Deutschland sollten eine Handelspolitik verfolgen, die armen Ländern Spielraum gibt und Protektionismus in Industrieländern unterbindet.

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