Wie man „Extremisten“ züchtet

Terrorismus im Sahel
Der „Krieg gegen den Terror“ schürt im Sahel häufig dessen wichtigste Ursache: lokale Revolten. Ein Dilemma für die Sicherheitskräfte.

Dschihadisten machen den Sahel unsicher. Am schwersten leiden Nordnigeria und angrenzende Regionen unter der Gruppe Boko Haram, aber auch in der Region Mali gibt es immer wieder Terroranschläge. Das Land baut nun zusammen mit Burkina Faso, Mauretanien, dem Niger und dem Tschad eine gemeinsame Anti-Terror-Einheit für den Sahel auf. Mali hat im August im UN-Sicherheitsrat mehr Hilfe dafür erbeten. Die Europäische Union und Frankreich haben bereits 58 Millionen Euro zugesagt, mehr als die fünf afrikanischen Staaten zusammen aufwenden wollen.

Das ist ein gefährlicher Weg. Gerade hat Human Rights Watch schwere Übergriffe der Armee Malis auf Zivilisten dokumentiert: Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation vom September haben malische Soldaten zwischen Ende 2016 und Mitte 2017 Dutzende mutmaßliche Terroristen willkürlich verhaftet, gefoltert, verschwinden lassen oder getötet.

Dies sind nicht einfach schlimme Begleiterscheinungen der Terror-Abwehr. Das Konzept, gegen Terrorgruppen in Afrika entschlossen Krieg zu führen, ist ein Irrweg. Dieser Schluss drängt sich auf, wenn man einen Bericht des UN-Entwicklungsprogramms UNDP vom September liest. Dort wird untersucht, was Afrikaner antreibt, sich Gruppen des sogenannten „gewalttätigen Extremismus“ anzuschließen. Das UNDP hat über 500 frühere Mitglieder solcher Gruppen interviewen lassen, überwiegend aus Boko Haram sowie aus der ebenfalls islamistischen Al-Shabaab in Somalia. Laut der Studie spielen individuelle Faktoren eine gewisse Rolle dafür, ob junge Männer – um die handelt es sich ganz überwiegend – zu Extremisten werden. Die Gefahr ist zum Beispiel etwas größer, wenn ihre Eltern sie vernachlässigt haben und ihre Schulbildung gering ist. Viele nennen die Religion als Motiv für den Weg in den Extremismus; mehr religiöse Bildung verringert aber die Gefahr, diesen Weg zu nehmen.

Das Recht auch gegen die eigenen Soldaten durchsetzen

Wichtiger aber: Laut der Studie kommen „Terroristen“ südlich der Sahara überwiegend aus armen, benachteiligten Randgebieten ihres Landes – Gebieten, in denen kaum jemand der Regierung vertraut oder den Eindruck hat, sie beeinflussen zu können. Sie werden, anders als bei uns, nicht mit Hilfe des Internets rekrutiert. Dass sich im Sahel jemand gewalttätigen Gruppen anschließt, hat meist wenig mit der Ideologie nahöstlicher Al-Qaida-Führer zu tun und viel mit lokalem Unmut über den Staat oder seine korrupten Vertreter. Und als Auslöser für ihre Radikalisierung nennen mit Abstand die meisten der Befragten Willkür und gewaltsame Übergriffe der Sicherheitskräfte. Mit anderen Worten: Krieg gegen „den Terrorismus“ kann den Terror leicht noch fördern.

Auch Mali ist ein Beispiel. Islamisten haben dort in der Zentralregion seit 2015 Fuß gefasst, gezielt Regierungsvertreter ermordet und in den Dörfern rekrutiert. Dort entstanden Selbstschutzgruppen, Konflikte zwischen Volksgruppen sind eskaliert. Die Armee griff dann ein und schützte oft Menschen; ihr Verhalten hat sich laut Human Rights Watch verbessert. Aber mutmaßliche Dschihadisten behandelte sie zu oft als Feinde, und eigene Übergriffe blieben straflos. Mangels funktionierender Justiz gibt es keine Instanz, an die Geschädigte sich wenden können. Die Folgen erklärte ein Dorfbewohner Human Rights Watch so: „Jede Tötung muss untersucht werden. Wenn der Staat das nicht tut, werden sich weiter Leute den Dschihadisten anschließen.“

Das zeigt: Schon die Begriffe „gewalttätiger Extremismus“ oder „transnationaler Terrorismus“ sind problematisch. Zwar bekennen sich im Sahel manche bewaffnete Gruppen zu Al-Qaida oder dem Islamischen Staat, sie werden aber nicht von diesen ferngesteuert. Ihr größter Antrieb ist lokaler Unmut.
Der allerdings wird von Terror-Netzwerken geschürt und ausgenutzt.

Als Schutz davor wollen Europa und die USA die Staaten im Sahel samt deren Sicherheitskräften stärken. Doch das Dilemma ist: Die sind ein notwendiger Teil der Lösung, aber zugleich ein wesentlicher Teil des Problems. Hilfe für Regierungen und ihre Armeen im Sahel ist nur zu verantworten, wenn die trotz aller Probleme der Leitlinie folgen, Konflikte zu schlichten und das Recht durchzusetzen – auch gegen die eigenen Soldaten. Vorrang muss zudem haben, das Rechtswesen, öffentliche Dienste und Wege der Partizipation zu verbessern, damit der Staat als legitim akzeptiert wird. Darauf müssen die Geberländer bestehen. Sonst, warnt das UNDP, werden Bürger in den Randgebieten die Stärkung des Staates als „Verfestigung bösartiger Machtstrukturen“ erfahren. Und das bringt mehr Revolten und „gewalttätige Extremisten“.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2017: Kongo: Das geschundene Herz Afrikas
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