Verirrt auf Schmuggelpfaden

Mali
Frankreich und die Vereinten Nationen wollen in Mali offenbar die Geldquellen der verfeindeten Gruppen austrocknen. Da ist Vorsicht angebracht.

Die Konflikte in Mali zwischen Regierung, Tuareg-Rebellen und Islamisten haben sich in jüngster Zeit wieder verschärft. Bei einem Überfall auf einen malischen Militärstützpunkt bei Nampala nahe der Grenze zu Mauretanien starben Mitte Juli laut offiziellen Angaben mindestens 15 Soldaten. Wenige Tage später brachen in der Stadt Kidal im Nordosten des Landes Gefechte aus – fast 30 Kämpfer verfeindeter Gruppen kamen ums Leben. Auch aus Zentral- und Nord-Mali werden gewaltsame Todesfälle und Zusammenstöße gemeldet.

Hinter der Gewalt steckt laut einheimischen Quellen eine Vielzahl von Faktoren: persönliche und politische Rivalitäten, Drogenschmuggel und fortgesetzte Angriffe dschihadistischer Terrorgruppen – insbesondere der al-Qaida des Islamischen Maghreb (AQIM) und der ihr nahestehenden Ansar Dine – gegen malische Sicherheitskräfte und andere bewaffnete Verbände, allen voran die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA).

Angesichts der zunehmenden Instabilität haben die französische Regierung und die Vereinten Nationen (UN) begonnen, ihre Operation Barkhane und die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA auszudehnen. Ende vergangenen Jahres betonten Vertreter Frankreichs, die Barkhane stehe ganz im Dienste der Terrorbekämpfung. Im Juni deuteten Quellen aus Sicherheitskreisen an, die Operation werde wohl auch den Drogenhandel ins Visier nehmen. Die erneute Bevollmächtigung für MINUSMA sieht ebenfalls eine Aufstockung des Personals und ein aggressiveres Mandat gegenüber bewaffneten Gruppen vor. Zuvor hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon den Einsatz von mehr Spezialkräften im Norden sowie „Einheiten gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ in Mopti, Timbuktu und Gao gefordert.

Noch ist unklar, ob Frankreich den Schwerpunkt seiner politischen Strategie in der Region wirklich verschoben hat. Die Operation Barkhane richte sich gezielt gegen Terroristen, unterstrich ihr Kommandeur, General Patrick Bréthous, im vergangenen Monat in einem Interview mit der Zeitschrift „Jeune Afrique“. Man erlebe jedoch, wie kreuz und quer durch die Wüste geschmuggelt werde. Im Laufe des vergangenen Jahres seien in Mali und Niger mehrmals illegale Drogen beschlagnahmt worden, nicht nur von den Franzosen, sondern auch von einheimischen Sicherheitskräften. 

Inzwischen scheint es unter den Franzosen und den UN-Vertretern eine – wenngleich verspätete – Einsicht zu geben, dass es schwierig ist, den Einfluss bewaffneter Gruppen zurückzudrängen, ohne ihre soziale und wirtschaftliche Basis ins Visier zu nehmen. Genau das aber birgt für die internationalen und die nationalen Kräfte Risiken und kann dazu führen, dass sich die gesellschaftliche und die militärische Kluft vertiefen. Am Friedensprozess in Mali sind auch bewaffnete Gruppen beteiligt, die den Netzwerken des Drogenhandels zumindest nahestehen. Laut Berichten ist es diesen seit Januar 2013 gelungen, sich neu aufzustellen und einen Teil ihrer früheren Aktivitäten wieder aufzunehmen. Wenn die ausländischen Kräfte gezielter gegen die Kriegswirtschaft in Mali vorgehen wollen, laufen sie allerdings Gefahr, fehlerhaften Geheimdienstinformationen aufzusitzen, für lokale Rivalitäten vereinnahmt zu werden und die Bevölkerung vor Ort noch stärker in die Arme bewaffneter Verbände zu treiben.

Ohne Zweifel fördert die illegale oder halblegale Wirtschaft die ausufernde Gewalt, die schlechte Regierungsführung und die lokalen Konflikte in Mali. Trotzdem erfordert jede Diskussion über dieses Thema Fingerspitzengefühl und Hintergrundwissen. Der Fernhandel war schon immer ein Lebensmodell in der Sahara sowie eine notwendige Reaktion auf umweltbedingte Zwänge und Klimaschwankungen. Seit den 1970er Jahren kreuzen allerdings mehr und mehr gefälschte oder subventionierte Zigaretten, Waffen und zunehmend auch Drogen (vor allem Kokain, aber auch Haschisch und andere Cannabis-Varianten sowie verschreibungspflichtige Medikamente und Methamphetamine) den Norden Malis auf ihrem Weg zu verschiedenen Zielen. 

Der Konflikt in Mali: Eine Chronologie

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Aus diesen Geschäften floss viel Bargeld in die Region – zusätzlich zu dem über Mittelsmänner gezahlten Lösegeld für die Freilassung westlicher Geiseln aus den Händen der AQIM und ihrer Vorgängerorganisation, der Salafistengruppe für Predigt und Kampf. Das wiederum bot den politischen und wirtschaftlichen Akteuren vor Ort die Gelegenheit, Macht an sich zu bringen. So verwendeten etwa ehemals marginalisierte oder unterdrückte Gruppen das Geld aus dem illegalen Handel, um sich selbst zu bewaffnen oder andere Gemeinschaften in ihrem Führungsanspruch herauszufordern. Andere – mitunter auch dieselben – nutzten den Geldsegen, um sich für Wahlen aufstellen zu lassen und offizielle politische Autorität zu erlangen.

Nach der Tuareg-Rebellion im Jahr 2006 bediente sich die malische Regierung zunehmend ethnischer Milizen, allen voran der Imghad-Tuareg und der Lamhar-Araber, um ein Gegengewicht zu den gewaltsamen separatistischen Bestrebungen zu schaffen. Im Gegenzug schaute sie weg oder profitierte sogar aktiv von den illegalen Handelsgeschäften dieser Verbände und ihrer Ableger. Das befeuerte die Konkurrenz zwischen verschiedenen Splittergruppen der Tuareg und der Araber um den Zugang zu lukrativen Routen und staatlichen Mitteln sowie um die Territorien, um einen störungsfreien Fortgang der Geschäfte zu garantieren.

Während und nach dem Aufstand von 2012 kamen die Drogenprofite militanter Gruppen erneut zur Sprache – inmitten glaubwürdiger Vorwürfe, einheimische Führer und Politiker, die in den Schmuggel verwickelt sind, unterstützten dschihadistische Gruppen. Nach Recherchen des Berliner Afrika-Experten Wolfram Lacher gibt es zwar nur wenige Belege dafür, dass Dschihadisten direkt am Drogenhandel beteiligt sind. Dennoch ist der Schmuggel nach wie vor eine der Haupteinkommensquellen für die bewaffneten Gruppen im nördlichen Mali.

Kenner der Region gehen davon aus, dass die meisten Kämpfer in Mali auf irgendeine Art und Weise vom Schmuggel profitieren – häufig durch die Gemeinschaften und die Stammesgruppen, auf die sich ihre Strukturen im Wesentlichen stützen. Das heißt nicht, dass man ganze Gemeinwesen mit diesen Geschäften in Verbindung bringen könnte, wie es manchmal in malischen und internationalen Veröffentlichungen beschrieben wird. Die Erlöse aus dem illegalen Handel – wie im Falle anderer Geschäfte – werden jedoch oft zwischen Familien und Netzwerken in den Gemeinwesen aufgeteilt. Dieselben Netzwerke versuchen, ihre Geschäfte und die Gemeinschaft vor Angriffen zu schützen, und sind bestrebt, ihre politische, wirtschaftliche und soziale Position zu festigen.

Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Algier im Juni 2015 steht der Versuch, das wirtschaftliche und politische Kräfteverhältnis zwischen den bewaffneten Gegnern auszugleichen, im Zentrum des Konflikts. Auf brutale Kämpfe zwischen der Koalition der Bewegungen des Azawad (CMA) und der Tuareg-Gruppierung Imghad mit ihren Verbündeten sowie einer breiteren „Plattform“ von Milizen folgten eine Reihe lokaler Pakte, von denen die ersten im Oktober 2015 in Anéfis unterzeichnet wurden. Die veröffentlichten Fassungen dieser Abkommen klingen reichlich vage. Doch sie enthalten Vereinbarungen zur Regierungsführung, zur Eingliederung in die Streitkräfte und zur Umsetzung des Abkommens von Algier sowie – laut Berichten – geheime Absprachen zu den Geschäftsinteressen der bewaffneten Verbände und ihrer wichtigsten Anführer. Das ist bemerkenswert, da es in der Führung einiger bewaffneter Gruppen, die diese Verträge unterzeichnet haben, Leute gibt, die mit dem illegalen Handel in Verbindung gebracht werden.

Die Übereinkommen waren ein notwendiger Schritt, um dem schwelenden gesellschaftlichen Konflikt im nördlichen Mali Einhalt zu gebieten. In der Theorie liefern sie die Blaupause, um allmählich Frieden und eine glaubwürdige Regierungsführung im Norden aufzubauen. Doch sie stützen sich auf ein fragiles Kräftegleichgewicht, das Positionen in den geplanten Übergangsbehörden ebenso umfasst wie die Eingliederung der Kämpfer in die malischen Streitkräfte, die Teilnahme am UN-Programm für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung sowie den Schutz der Handels- und Wirtschaftsnetzwerke. Wenn Frankreich und die UN sich nun stärker darum bemühen wollen, den bewaffneten Verbänden bei ihrer Finanzierung das Wasser abzugraben, werden sie dieses heikle Kräfteverhältnis und das Beziehungsgeflecht zwischen den bewaffneten Akteuren zunehmend stören.

Gefährliche Mission

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Für Frankreich hat sich das bereits früher als problematisch erwiesen. Im Dezember 2015 erklärten französische Kräfte, Kämpfer mit Verbindungen zum algerischen Islamisten Mokhtar Belmokh­tar getötet zu haben. Daraufhin beklagten arabische Kämpfer der regierungsnahen „Plattform“, dass stattdessen sie das Ziel der Angriffe gewesen seien – eine Situation, die kaum zu entwirren ist, da viele dieser Kämpfer in der Tat früher Belmokhtar und der Bewegung für Monotheismus und Dschihad in Westafrika (MUJAO) nahe standen.

2013 nahmen französische Truppen mutmaßliche MUJAO-Kämpfer in der Nähe der Grenzstadt In Khalil ins Visier – und hatten danach den Verdacht, von Vertretern der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) hinters Licht geführt worden zu sein, die aufgrund geschäftlicher Rivalitäten noch eine Rechnung mit den arabischen und Idnan-Tuareg-Händlern in der Stadt offen hatten. Nach dem Tod dreier französischer Soldaten durch eine Sprengfalle bei Tessalit im April 2016 nahmen die Behörden einige Tuareg vor Ort fest, die nach Beschwerden der MNLA und CMA rasch wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Die Durchsuchungen und das offensive Vorgehen sorgten unter Teilen der Tuareg-Bevölkerung für Angst und Fassungslosigkeit – selbst wenn einige oder alle Festgenommenen an dem Angriff beteiligt waren.

Autor

Andrew Lebovich

ist Gastwissenschaftler beim Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen (ECFR), der seinen Beitrag im Original veröffentlicht hat. Er ist gegenwärtig Doktorand für Afrikanische Geschichte an der Columbia University in New York.
Den bewaffneten Gruppen im Norden Malis ist es gelungen, ihre Stellungen zu behaupten und sich außerdem in die Geschäftsbeziehungen der Region und den Friedensprozess einzubringen. Ihre Geschäfte lassen sich kaum unterbinden, ohne gleichzeitig den Konflikt zwischen ihnen sowie die Auseinandersetzungen mit den internationalen Kräften und der  malischen Regierung neu anzufachen. Die Bemühungen, deren Autorität in der Mitte und im Norden des Landes wiederherzustellen, sind bestenfalls zu einem Stillstand gekommen.

In dem Versuch, die politische Ökonomie des Konflikts im Norden Malis zu verstehen, sollte die Wirtschaft nicht zu Lasten der Politik überbewertet werden. Bei dem prekären Kräftegleichgewicht im Norden geht es nicht nur um den Zugang zu Schmuggelrouten, sondern auch um politische und soziale Fragen von tiefgreifender Bedeutung: um das Streben nach Unabhängigkeit bei den einen, um bessere Repräsentation und Autonomie bei den anderen. Hinzu kommt das Bemühen, ehemals unterdrückten sozialen Gruppen oder Stämmen mehr Geltung zu verschaffen.

Diese politischen Probleme lassen sich nicht alleine damit lösen, dass Regierungsposten anders verteilt werden, Entwicklungshilfe gezahlt oder das Einkommen aus dem Schmuggelgeschäft verringert wird. Und solange sie ungelöst sind, lässt sich die verhaltene Aussicht auf Frieden in Mali wohl kaum verwirklichen.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.

Der Artikel wurde im Original vom European Council on Foreign Relations veröffentlicht.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2016: Tourismus: Alles für die Gäste
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